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Nicky Hayden: Linkskurven, Titelgewinn & das Drama

Von Günther Wiesinger
Die Karriere von Nicky Hayden war von Höhen und Tiefen geprägt, aber er kämpfte sich immer wieder nach oben. Doch bei diesem letzten Wettkampf war er chancenlos.

Es ist eine Ironie des Schicksals, wenn ein Motorradrennfahrer, der jahrelang mit 300 oder 350 km/h über die Rennstrecken dieser Welt brauste, bei einem Rennradunfall sein Leben lassen muss.

Zwei Räder, das war Nickys Leben.

Die meisten seiner Verletzungen hat er sich beim Motocross, beim Supermoto und Dirt-Track-Fahren zugezogen.

Vater Earl hatte daheim in Owensboro in Kentucky für seine drei rennfahrenden Söhne prächtige Trainingsgelegenheiten gebaut, sogar eine Indoorbahn für Supermoto-Trainings.

Es kommen uns Parallelen zu Michael Schumacher in den Sinn, der ebenfalls sämtliche Formel-1-Abenteuer heil überlebte und dann beim Skifahren so schwer verunglückte, dass er zeitlebens ein Pflegefall bleiben wird.

Manche Motorsportfans werden sich vielleicht an den Franzosen Bob Wollek erinnern, der 30 Jahre lang Sportwagenrennen bestritt, 30 Mal nahm am er 24-h-Rennen von Le Mans teil, meistens als Porsche-Werksfahrer, er war beim Klassiker an der Sarthe einmal Zweiter. Und Wollek starb am 16. März 2001, als er nach dem Training zum 12-h-Rennen von Sebring in Florida mit dem Rennrad in sein Quartier radelte und mit einem Auto kollidierte.

Der japanische 500-ccm-Haudegen Norick Abe starb mit dem Motorrad auf der Autobahn. Die Formel-1-Piloten Graham Hill, Carlos Pace und Harald Ertl stürzten mit ihren Privatfliegern ab und starben, der schottische Rallye-WM-Star Colin McRae kam bei einem Helikopterabsturz ums Leben. Der österreichische Slalom-Skistar Rudi Nierlich starb im Auto, sein Skisprungkollege Alois Lipburger ebenfalls.

Nicky Hayden hatte Charisma, er war ein Muster an Coolness, er war nie raubeinig, vielleicht darf man ihn als den letzten Gentleman-Rider bezeichnen. Er hat den Gegnern auf der Piste nichts geschenkt, war jedoch abseits der Piste immer jovial, gut gelaunt und positiv eingestellt, er genoss das Leben und wurde bei Repsol-Honda (2003 bis Ende 2008) und bei Ducati Corse (2009 bis Ende 2013) in den goldenen MotoGP-Jahren zum mehrfachen Dollar-Millionär.

Trotzdem blieb Nicky immer bodenständig. Er nahm die Rückkehr zu den Superbikes 2016 nicht auf die leichte Schulter, er gewann für Honda einen SBK-WM-Lauf in Sepang und war betrübt, als die neue Fireblade bei den ersten fünf WM-Events in diesem Jahr nicht konkurrenzfähig war. «Ich bin 35 Jahre alt. Ich kann es mir nicht leisten, eine ganze Saison als Entwicklungsjahr zu verlieren», beschwerte er sich.

Der lebensfrohe Nicky ließ sich im GP-Sport 2003 als Rookie sofort die etwas anrüchige Startnummer 69 zuweisen, die wohl jetzt bis auf weiteres in der MotoGP-Klasse nicht mehr vergeben wird – wie die 58 von Marco Simoncelli.

Als gelernter Dirt-Track-Fahrer war Nicky Hayden ein Driftkünstler, es war ein einmaliges Schauspiel, seine Slides beobachten zu dürfen, seine Fahrzeugbeherrschung war phänomenal. Besonders auf Linkskurven war er in seinem Element, das gab er gerne zu, denn beim Dirt-Track geht’s auch immer links herum, deshalb bevorzugte er Strecken wie den Sachsenring und Laguna Seca, die gegen den Uhrzeigersinn befahren werden.

Bei den Grand Prix in Laguna Seca, wo er zwei seiner drei MotoGP-Rennen gewann, in Indianapolis, wo er dreimal aufs MotoGP-Podest fuhr, und in Austin/Texas flogen Nicky die Herzen zu, dort wuchs er über sich hinaus.

Jedes Zusammentreffen mit Nicky war eine Freude. Unvergesslich für mich bleibt sein erster Skitag bei der Ducati-Teampräsentation «Wrooom» in Madonna di Campiglio 2009, wo er sich einfach die Latten anschnallte und sich furchtlos auf dem kürzesten Weg ins Tal stürzte. Schwünge machte er nur in dringenden Notfällen, dazu fehlte ihm die nötige Carving-Technik, auf einen Skilehrer verzichtete er; er wollte nicht am Kinderhang üben und Zeit vergeuden. Nicky gefiel der Speed, Kurven und Schwünge im Schnee waren meistens mit Sturzgefahr verbunden, deshalb zog er die direkte Linie vor, am Abend des ersten Tages hielt er im Top-Speed mit den Besten mit.

Die Rückkehr zu Red Bull

Der MotoGP-Weltmeister von 2006 freute sich über den Einstieg von Red Bull beim Honda World Superbike-Team für 2017 und 2018. «Ohne Sponsor hat das Bike scheiße ausgesehen», stellte Nicky beim Australien-GP 2016 unverblümt fest, als er Dani Pedrosa bei Repsol-Honda ersetzte. Er sollte sein letzter GP-Einsatz bleiben.

Nach der Entlassung bei Ducati Ende 2013 hatte sich Nicky bei Honda noch einmal auf ein MotoGP-Abenteuer eingelassen, aber das Open-Class-Bike entpuppte sich als Riesenreinfall. HRC-Chef Nakamoto posaunte bei der Präsentation des Production-Racers, Testfahrer Casey Stoner würde mit diesem Fahrzeug in Motegi nur 0,3 Sekunden langsamer fahren als mit der Werks-Honda, obwohl diese einen pneumatischen Ventiltrieb und ein Seamless-Getriebe hatte, das Open-Bike hingegen nicht.

Tatsächlich verlor Hayden beim ersten 2014-Test in Sepang am ersten Tag drei Sekunden auf die Bestzeit. Nicky wetterte: «Diese Honda hat keine Power. Wir verlieren 0,3 Sekunden nicht pro Runde, sondern auf der kürzesten Geraden.»

Hayden freute sich dann im vergangenen Winter, als er von Red Bull auch einen Personality-Sponsorvertrag bekam, denn er warb schon bis Ende 2008 für den Energy-Drink-Konzern, doch bei Ducati wurde ihm dieser Deal untersagt, die Italiener waren damals mit Gatorade verbündet.

2006 gewann Nicky Hayden als erster Amerikaner seit Kenny Roberts junior (im Jahr 2000) den WM-Titel in der Königsklasse. Valentino Rossi hätte damals in Valencia ein fünfter Platz zum Titelgewinn genügt, aber der Yamaha-Star wollte gewinnen – und stürzte auf Platz 5.

Papa Earl, der in Owensboro eine Gebrauchtwagenfirma namens «Second Chance Cars» betreibt, war außer sich vor Freude, die ganze Familie fieberte damals an der Repsol-Honda-Box mit. Earl fing Nicky in der Auslaufrunde ab, der neue Weltmeister wurde von einem Weinkrampf geschüttelt, der seinen Fans ewig in Erinnerung bleiben wird.

Unmittelbar nach dem Rennradunfall am vergangenen Mittwoch, als kaum verlässliche Informationen zum Verletzungsgrad veröffentlicht wurden, hoffte die Motorsportwelt noch auf ein kleines medizinisches Wunder. Ich erinnerte mich an Alex De Angelis, der nach dem Motegi-Crash 2015 auch in Lebensgefahr schwebte und vier Wochen nach dem Unfall in Valencia wieder durchs GP-Fahrerlager spazierte.

Aber in den Tagen nach Nickys Unfall verdüsterte sich die Situation. Als der Begriff «Polytrauma» erstmals kommuniziert wurde, musste jedem Berichterstatter, Rennfahrerkollegen und Fan klar werden, dass mit dem Schlimmsten zu rechnen sei. Denn damit war klar: Mindestens zwei lebenswichtige Organe waren hoffnungslos beschädigt. Am Freitag kam ans Tageslicht: Es wurden praktisch keine Gehirnströme mehr gemessen, Nicky war bereits klinisch tot, er wurde von einer Herz-Lungen-Maschine künstlich am Leben gehalten.

«Ride on, Kentucky Kid», war in den Social-Media-Plattformen zu lesen. Aber dieser letzte Wettkampf war für die Nr. 69 nicht zu gewinnen.

Es ist immer schwer, in so einer Situation die richtigen Worte zu finden. Das Schicksal macht uns oft sprachlos.

Ein österreichischer Kabarettist hat vor seinem nahen Tod folgenden Satz von sich gegeben: «Ich wünsche mir, dass ihr nicht so lang über mich weinen werdet, wie ihr mit mir gelacht habt.»

Ich bin überzeugt, Nicky hätte diesem Satz sofort zugestimmt.

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