Andorra bald keine Steueroase: MotoGP-Asse zittern
Andorra ist die Heimat viele MotoGP-Fahrer
Wenn man im MotoGP-Paddock die Autokennzeichen der Rennfahrer betrachtet, sticht immer wieder ein hellblaue Schrift auf weißem Untergrund ins Auge: Andorra.
Oft sind das wuchtige BMW X6 und andere Luxusgefährte für den Zwergstaat im Hochgebirge, der im Winter auch Ski-Weltcuprennen beherbergt, immer wieder Profiradrennen anlockt und im Grenzgebiet zwischen Spanien und Frankreich liegt, rund zwei oder zweieinhalb Autostunden von Barcelona entfernt.
Die Brüder Pol und Espargaró haben sich dort niedergelassen, Jack Miller, Bradley Smith, Héctor Barbera und Maverick Viñales, zuletzt auch Jorge Lorenzo. Auch das Avintia-Team mit Raúl Romero hat sich dort niedergelassen. Nur als Marc Márquez vor zwei Jahren ankündigte, er werde nach Andorra auswandern, brach in seiner Heimat ein Sturm der Entrüstung los.
Der sonst so unbekümmerte Marc Márquez brach in Tränen aus, als ihm von Fans und Medien vorgehalten wurde, er habe seine Schule und Ausbildung auf Kosten Spaniens genossen – und wolle jetzt keine Steuern mehr bezahlen. Also blieb er in Cervera und blecht weiter zähneknirschend 55 Prozent Einkommensteuer – bei mehr als 10 Millionen Euro Einkommen im Jahr.
Bei Jorge Lorenzo regte sich kein Mensch auf, als er sich jetzt in Andorra niederließ. Er hatte schon in den Jahren zuvor seinen Steuerwohnsitz in den Schweizer Tessin verlegt. So war er auch in der Nähe der Niederlassung von Yamaha Factory Racing in Gerno di Lesmo bei Monza.
Auch Dani Pedrosa wohnt offiziell in der Schweiz, Sete Gibernau hauste ebenfalls hier, Casey Stoner tat es, Scott Redding fährt mit Aargauer Kennzeichen und hat eine Schweizer Handy-Nummer, Roberto Rolfo schon seit bald 15 Jahren.
Andorra genießt für die Sportler einen unschätzbaren Vorteil: Es gab dort lange keine Einkommenssteuer. Erst allmählich werden Unternehmen um 10 Prozent ihres Gewinns geschröpft. Lorenzo bezahlt also für seine 12,5-Millionen-Gage von Ducati nur 1,250 Mio Steuern statt 6,875 Millionen.
Aber die Privilegien werden jetzt abgebaut.
MotoGP-Fahrer als Gipfelstümer
Andorra befindet sich in einem Hochtal der Pyrenäen. Mehr als ein Drittel des gebirgigen Landes liegt oberhalb der Waldgrenze; 65 Berggipfel übersteigen die 2000-Meter-Grenze. Der höchste Berg ist der Coma Pedrosa mit 2942 Metern. Der niedrigste Punkt ist 840 Meter hoch und liegt bei Sant Julià de Lòria an der spanischen Grenze. Die Grenze zu Frankreich erstreckt sich über eine Länge von 56,6 km, jene zu Spanien über 63,7 km.
Andorra wurde 1278 gegründet und ist flächenmäßig der größte unter den sechs europäischen Zwergstaaten. Es existiert auf der ganzen Welt kein anderer Staat, in dem zwei ausländische Amtsträger gemeinsam die Rolle des Staatsoberhauptes wahrnehmen – nämlich der Bischof von Urgell und der Präsident von Frankreich.
Andorra gilt nach wie vor als Steueroase. Zahlreiche Besucher kommen aber auch in die Pyrenäen, um billigen Alkohol und Tabaks einzukaufen. Der Tourismus, besonders der Wintersport, ist heute der wichtigste Wirtschaftsfaktor – zusammen mit dem Bankwesen.
Die Amtssprache ist Katalanisch, das Land hat eine Größe von 468 Quadrat-km und mehr als 78.000 Einwohner, das ergibt eine Besiedelung von 166,7 Einwohnern pro Quadrat-km.
Der ehemalige Motorradrennfahrer Ruben Xaus hat für neue Andorra-Bewohner sein Geschäftsmodell die Firma «QAND Move Management Services» gegründet.
Beim Wohnsitzwechsel von MotoGP-WM-Leader Maverick Viñales, der zuvor bei seiner Ex-Freundin in Italien wohnte, war Xaus federführend beteiligt; er stellte für seinen Landsmann auch die Kontakte zur Bank von Andorra her. Die Kooperationen laufen teilweise über Werbefilme und Print-Schaltungen. Mittlerweile hat ein erheblicher Teil des MotoGP-Paddocks seinen Wohnsitz in Andorra aufgeschlagen; bei den Superbike-Assen sind es zum Beispiel Chaz Davies und Leon Camier, bei den Supersport-Fahrern Broc Parkes und so weiter.
Ruben Xaus versichert, er habe fast all diesen Stars und auch Lorenzo den Wohnsitzwechsel schmackhaft gemacht. Auch Moto3-Star Jorge Martin und 21 Rennradprofis sowie mehrere Rallye-Piloten wohnen mittlerweile im Zwergstaat. Die Andorra Bank ist zudem auch in das jüngst eröffnete Lorenzo-Museum involviert.
Andorra: Bankgeheimnis bereits abgeschafft
Aber der Zwergstaat Andorra könnte als Steueroase bald ausgedient haben. Das Parlament dieser parlamentarischen Monarchie soeben verabschiedete ein Gesetz, wonach Steuerflucht künftig als Straftat geahndet wird. Das Votum erfolgte einstimmig.
Wer zwischen 75.000 und 150.000 Euro am Fiskus vorbeischleust, dem drohen drei Monate bis drei Jahre Gefängnis.
Für Summen von mehr als 150.000 Euro sind Haftstrafen zwischen einem und fünf Jahren vorgesehen. Diese Maßnahmen gelten auch für schwere Delikte wie die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zum Zweck der Steuerhinterziehung.
Ende 2016 hatte Andorra auf Druck der EU bereits das Bankgeheimnis abgeschafft. Das Generalrat genannte Parlament sprach sich einstimmig dafür aus, von Januar 2018 an den automatischen Informationsaustausch über Bankkonten von Ausländern einzuführen. Die «gläsernen Konten» halten auch im Hochgebirge Einzug.
Der in den Pyrenäen zwischen Spanien und Frankreich gelegene 78.000-Einwohner-Staat bemüht sich seit einigen Jahren um eine Politik der Öffnung und Transparenz. Deshalb hat die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Andorra bereits im Jahr 2010 von der Liste der nicht kooperativen Steuerparadiese gestrichen.
Einst trieb der Zwergstaat überhaupt keine Steuern ein. Die mittlerweile geltende Steuer für Unternehmen und Privatleute liegt bei zehn Prozent, die Mehrwertsteuer bei dürftigen 4,5 Prozent.
Das sind freilich immer noch paradiesische Zustände im Vergleich zur 55-Prozent-Einkommenssteuer im benachbarten Spanien.