Valentino Rossi: Der Superstar ohne Ablaufdatum
Sieg in Assen 2017: Valentino Rossi
Schon beim Katar-GP 2017 kamen einzelne Besserwisser zur Überzeugung, Valentino Rossi werde nach der Saison 2017 seine Karriere beenden, trotz eines gültigen Vertrags mit Movistar-Yamaha bis zum Saisonende 2018.
Denn er könne gegen die jungen Wilden die Weltmeisterschaft sowieso nicht mehr gewinnen und werde die Lust verlieren, wenn es in diesem Jahr wieder nicht klappen sollte, die Saison 2017 werde seine Abschiedstournee sein, wurde im März verzapft.
Diese Erzählungen erwiesen sich erwartungsgemäß als Humbug.
Und seit einigen Monaten betont Rossi, der im Februar 39 Jahre alt wird und 1996 in der Weltmeisterschaft (125 ccm) debütierte, dass er auch nach der Saison 2018 weiterfahren werde, wenn er noch schnell genug sei und gewinnen könne.
Naja, 2017 gelang Rossi zwar nur ein Sieg, aber er war 2014 bis 2016 dreimal hintereinander Vizeweltmeister, er kann immer noch in die erste Startreihe fahren und in den Rennen für Überraschungen sorgen.
«Rossi is a race day man», sagt Cal Crutchlow.
Der 115-fache GP-Sieger ist inzwischen der älteste MotoGP-Sieger, wir reden da von der neuen Viertakt-Ära, die 2002 begann.
Dass er seit 2009 keinen WM-Titel mehr gewonnen hat, verzeihen ihm die Fans, die er immer noch zu Hunderttausenden begeistert, wie kein Fahrer vor ihm.
Was bei der Entwicklung der M1-Yamaha 2017 schiefgelaufen ist, lässt sich schwer nachvollziehen.
Fakt ist: Rossi gewann seit Assen keinen Grand Prix mehr, bei Viñales riss die Siegesserie in Le Mans ab.
Wenn Johann Zarco jetzt in Valencia und Sepang an der 2017-M1 nichts auszusetzen hatte, so ist dies noch nicht sonderlich aussagekräftig. Auch Rossi und Viñales waren 2017 auf manchen Pisten und bei manchen Verhältnissen sehr konkurrenzfähig.
Entscheidung fällt im Frühjahr
Rossi wird also im Frühjahr entscheiden, ob er weitermacht. Bisher spricht nichts dagegen. Yamaha, Dorna, Dainese, agv, Michelin, alle rollen vor ihm den roten Teppich aus.
Die VR46 Riders Academy floriert, mit Franco Morbidelli hat sie den ersten Weltmeister hervorgebracht.
Das SKY VR46-Team in den Klassen Moto3 und Moto2 tut sich etwas schwerer, die Fahrer stehen zu sehr im Rampenlicht und unter Druck, deshalb blieben die Leistungen von Bulega und Migno hinter den Erwartungen. Jetzt wurden die Crew-Chiefs ausgetauscht. Mugello-Sieger Migno wurde ins Martinez-Team transferiert, dafür kommt Junioren-Weltmeister Dennis Foggia neu ins Moto3-WM-Team.
Natürlich überstrahlt Rossi mit seinen bald 39 Jahren immer noch die meisten Gegner, auch wenn er in der WM nur an fünfter Stelle gelandet ist.
Aber den Gefallen des Rücktritts wird er ihnen vermutlich auch nach der Saison 2018 nicht tun.
Ein bisschen treibt ihn die Sehnsucht an, Agostinis All-Time-Rekord von 122 GP-Siegen zu brechen. Wenn er bis Ende 2020 fährt, könnte es klappen.
Ein bisschen spornt ihn an, dass er bei günstigem Wind immer noch Titelchancen haben könnte, 2015 war ein guter Hinweis auf diese Möglichkeit.
Auch Márquez wird irgendwann einmal patzen, Dovizioso wird vielleicht nicht jedes Jahr sechs Rennen gewinnen, Viñales lässt sich bei Problemen oft zu rasch entmutigen.
Die Situation mit Maverick Viñales motiviert Rossi am meisten.
Er hat schon Fahrer wie Biaggi, Gibernau, Stoner und Lorenzo überdauert und Márquez oft herausgefordert.
Jetzt will er es auch Viñales zeigen.
Der Spanier schwächelte im letzten Saisondrittel gehörig. Er holte in den letzten sechs Rennen 60 Punkte, Rossi 51, obwohl er in dieser Phase einen Schien- und Wadenbeinbruch erlitt und auf Misano verzichten musste.
Bisher ist das Teamduell gegen Viñales recht gesittet verlaufen. Ganz anders als 2008 bei Lorenzo, als er den jungen Spanier als lästigen Eindringling betrachtete.
Heute weiß Rossi, dass Yamaha einen Siegfahrer für die Zeit nach ihm braucht, er ist gelassener geworden, er hat sich an WM-Niederlagen gewöhnt, nachdem er 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2008 und 2009 fast pausenlos Weltmeister in der Königsklasse war.
Rossi und Viñales: Respektvoller Umgang
Rossi und Viñales behandeln einander respektvoll, auch wenn sie sich auf der Piste manchmal heftig bekämpft haben. Es gab nachher im Parc Fermé immer eine Gesprächsbasis, es gab keine Mauer in der Box, man geht professionell mit der Situation um.
Jetzt hat die Nummer 46 acht Jahre lang keinen Titel gewonnen.
Als Lorenzo zu Yamaha kam, stand Rossi in der Blüte seiner Karriere, er war 29 Jahre alt.
Heute hat er den Zenit überschritten, er blickt ins Abendrot seiner fabelhaften Laufbahn, er hat die WM-Niederlagen gegen Hayden, Stoner, Lorenzo und Márquez weggesteckt und sich immer wieder aufgerappelt und neu motiviert.
Kein Fahrer hat mit 125 ccm, 250 ccm, 500 ccm, 990 ccm, 800 ccm und 1000 ccm GP-Siege errungen, auf Dunlop, auf Michelin, auf Bridgestone und jetzt wieder auf Michelin, mit einem Zylinder, mit zwei, mit vier, mit fünf und dann wieder mit vier Zylindern, mit Zweitaktern und ab 2002 mit Viertaktern.
Kein anderer hat so viele Wandel erlebt und so viele technische Revolutionen durchgemacht.
Für Rossi beginnt bald die 13. MotoGP-Saison bei Yamaha.
Er hat in den bisherigen zwölf Yamaha-Jahren in jeder Saison mindestens einen GP-Sieg errungen, 2013 und 2017 jeweils nur einen – in Assen.
Bisher galt Valentino als Rennfahrer ohne Ablaufdatum.
Klar, so eine Karriere bringt Neider hervor. Besonders wenn so ein Star viel Charisma hat, sich kein Blatt vor den Mund nimmt und seinen Einfluss immer wieder geschickt zu seunen Gunsten ausnützt,
Aber keiner kann sich so lange an der Weltspitze halten, wenn er nicht zu den Größten seiner Zunft gehört.
Wir können nicht in den Kopf von Valentino schauen.
Vielleicht sieht VR46 in den nächsten Monaten ein, dass die Zeit des Abschieds gekommen ist. Vielleicht will er in den Vierradsport umsteigen, bevor er 40 wird. Wenn wir ihm nach 2018 eine weitere Saison zubilligen, ist vielleicht der Wunsch Vater des Gedankens.
Denn eines lässt sich nicht bestreiten: Valentino Rossi belebt die Szene. Er ist für uns Berichterstatter immer ein gefundenes Fressen.
Eine Legende wie Messi und Bolt
Natürlich hat Rossi die Szene jahrelang belebt und geprägt und sie populär gemacht. Er zählt zu den prominentesten und beliebtesten Sportlern der Welt, er ist eine Legende und ein Ausnahmekönner wie Lionel Messi, Roger Federer, Marcel Hirscher oder Usain Bolt.
Aber ich gehöre nicht zu jenen Nörglern, für die sein Rücktritt einem Weltuntergang gleichkommt.
Der König ist tot, es lebe der König.
Das war das Motto in der Vergangenheit, wenn ein Regent abtrat und ein Machtvakuum drohte, ehe der neue König das Zepter übernahm.
Der Übergang in der MotoGP-Szene wird keine allzu tiefen Wunden reißen, denn eigentlich hat der neue Machthaber längst das Kommando übernommen. Marc Márquez hat in fünf Jahren vier Titel gewonnen.
Wir erleben in jeder Saison mindestens fünf bis sechs Titelanwärter, wir freuen uns über die Teilnahme von sechs Werken, die Situation ist bei weitem nicht so triste wie damals, als die Ära Roberts, Rainey, Lawson, Mamola, Schwantz, Gardner und Doohan zu Ende ging. Langweilige Fahrer wie Alex Crivillé und Daryl Beattie taugten für die Heldenrollen nicht.
Mit Persönlichkeiten wie Morbidelli und Miller, die erst 22 Jahre alt sind, wächst bereits die übernächste Generation heran.
Wenn Valentino Rossi abdankt, wird er uns sowieso als Teambesitzer, Yamaha-Botschafter und Dorna-Galionsfigur noch lange unterhalten und erhalten bleiben.
Außerdem werden uns Marc Márquez (24), Viñales (22), Zarco (27), Petrucci (27), Folger (24), Pol Espargaró (26), Lorenzo, Dovizioso & Co. mit ihren überragenden Leistungen noch eine Weile in Atem halten.
Um die neuen MotoGP-Herrscher muss uns nicht bange sein.