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Marc Márquez: Wer bringt den Superstar zur Vernunft?

Von Günther Wiesinger
Hart aber fair: Dovizioso vor Márquez und Rossi in Katar 2018

Hart aber fair: Dovizioso vor Márquez und Rossi in Katar 2018

Bei Marc Márquez brannten in Argentinien die Sicherungen durch. Nicht zum ersten Mal, sein Sündenregister ist umfangreich. Andrea Dovizioso und Jorge Lorenzo hingegen sind vorstrafenfrei.

Wie wird die MotoGP-Zukunft nach dem turbulenten MotoGP-Rennen von Las Termas/Argentinien aussehen? Wie werden die Gegner nach den diversen Eskapaden von Weltmeister Marc Márquez ihr Verhältnis zum Repsol-Honda-Star künftig gestalten?

Wie sich Jorge Lorenzo, Aleix Espargaró und Co. gegenüber Márquez verhalten werden, lässt sich schwer abschätzen.

Die meisten werden sich zurückhaltend benehmen, es ist in den sozialen Medien und in den Interviews schon genug Schmutzwäsche gewaschen worden.

Aber es könnte sich eine italienische Front (Rossi, Petrucci) gegen die Spanier bilden.

Es wird an den Sponsoren und Teamverantwortlichen liegen, für eine De-Eskalation und eine rhetorische Abrüstung zu sorgen.

Valentino Rossi wird sich in dieser Hinsicht freilich nicht an die Zügel nehmen lassen.

Er hat bei Marc Márquez lange genug zugeschaut; er hat so manches Manöver des aufmüpfigen Herausforderers als jugendlichen Leichtsinn hingenommen.

Aber mit 25 Jahren, nach sechs Weltmeistertiteln und 170 GP-Einsätzen, 61 Siegen und 103 Podestplätzen, sollte sich Márquez die Hörner längst abgestoßen haben.

Rossi hat schon mit Biaggi, Gibernau, Lorenzo und Stoner gepflegte Feindschaften unterhalten. Er wird jetzt auch bei Marc Márquez, den er bisher als außergewöhnlichen Motorradrennfahrer respektiert hat, alle Schranken der Diplomatie und Rücksichtnahme niederreißen, zumindest abseits der Piste.

Mit 39 Jahren und bald 24 GP-Jahren will sich Valentino Rossi vom spanischen Weltmeister nicht den Spaß verderben lassen.

Rossi: Kurzer Prozess mit Gibernau

Als Sete Gibernau beim Katar-GP 2004 mit einem Honda-Protest dafür sorgte, dass sein Titelrivale Rossi vom letzten Startplatz wegfahren musste, weil seine Yamaha-Mannschaft seinen dreckigen Startplatz mit Besen und durchdrehenden Scooter- Hinterrädern gesäubert hatte, was nicht erlaubt ist, war das Verhältnis zwischen Sete und Valentino für immer ruiniert.

Bei Pressekonferenzen wandte Rossi seinem Rivalen nachher demonstrativ immer die Schulter zu, er sprach seinen Namen nicht mehr aus, er behandelte Gibernau wie Luft.

So eine private Vorzugsbehandlung könnte Rossi jetzt auch Marc Márquez angedeihen lassen.

Aber was passiert auf der Strecke?

Da werden wir künftig immer die Luft anhalten, wenn sich die beiden Streithähne in die Quere kommen.

Rossi hat einmal die Nerven weggeschmissen, als ihn der Spanier 2015 in Sepang provozierte.

Márquez hat schon viel mehr auf dem Kerbholz.

Klar, kein Mensch gesteht gern Fehler ein. Schon gar nicht ein Überflieger wie Marc Márquez, dem bisher im Rennsport fast alles gelungen ist.

Aber nach dem Abwürgen des Motors auf dem Startplatz in Las Termas hätte der Weltmeister laut Reglement aus der Boxengasse starten müssen. Und zwar erst nachdem der letzte Fahrer den Scheitelpunkt von Turn 1 passiert hatte...

Diese Misere wollte der Honda-Star vermeiden, denn er brauchte den ersten Saisonsieg, er wollte die Ducati-Schwäche in Südamerika ausnützen.

Der Rest ist bekannt: Drei Strafen in 40 Minuten, Rang 19, null Punkte.

Rossi ärgert sich zurecht, er wurde um zehn Punkte gebracht.
Aleix Espargaró ärgert sich weniger, weil seine Aprilia nachher sowieso streikte. Sein Schaden durch den Bodycheck von Márquez ist also in der Punktetabelle nicht ersichtlich.

Marc Márquez: Schwarze Flagge wäre berechtigt gewesen

Momentan lassen sich wenige Experten ausfindig machen, die für die rücksichtslose Fahrweise von Marc Márquez in Las Termas Verständnis aufbringen.

Es stellt sich die Frage, ob auch ein weniger prominenter Fahrer als Márquez bei so einem Startvergehen mit einer «ride through»-Strafe davongekommen wäre, die ihn bald wieder auf Platz 5 brachte – wenn auch nach einer beispielslosen Demonstration seines Fahrkönnens und seiner Risikobereitschaft.

Die schwarze Flagge wäre nach dem von der Nummer 93 verursachten Startchaos wohl berechtigt gewesen.

Vor allem, weil wir es mit einem Wiederholungstäter zu tun haben. Er wird von hemmungslosen Kritikern in den sozialen Medien sogar als «Gefährder» eingestuft, ein Begriff, der bisher nur im Zusammenhang mit Terroristen in Verbindung stand. 

Es fällt allmählich schwer, eine Übersicht über das Sündenregister von Marc Márquez zu bewahren, die Engländer nennen es «Dangerous and Dirty Riding Record». Für unsere Auflistung geben wir keine Garantie auf Vollständigkeit.

Das GP-Sündenregister von Marc Márquez

– Philip Island 2011: In der Auslaufrunde des ersten freien Trainings Rattapark Wilairot voll hinten drauf gefahren. Der Thailänder wurde schwer verletzt, Márquez auf den letzten Startplatz verbannt. Im Rennen trotzdem auf Platz 3 hinter De Angelis und Bradl gelandet.

– Katar 2012: Tom Lüthi von der Strecke gedrängt.

– Catalunya 2012: Pol Espargaró abgeräumt.

– Motegi 2012: Es kam im freien Training (!) in Turn 7 zu einer Kollision mit Mika Kallio (Marc VDS). Die Race-Direction ließ den Vorfall ungeahndet als «racing incident» durchgehen. Es war aber ein freies Training! «Er ist direkt auf meinen Hinterreifen gefahren», erinnert sich der Finne Kallio. Marc VDS-Teamprinzipal Michael Bartholemy sprach von einem «selbstmörderischen Angriff».

– Valencia 2012: Im Training Simone Corsi abgeschossen, auf den letzten Startplatz strafversetzt, im Moto2-Regenrennen trotzdem Sieger.

– Jerez 2013: Rücksichtslose Attacke (Rossi-style 2005 gegen Gibernau) in der Zielkurve gegen Lorenzo.

– Silverstone 2013: Im Warm-up gelbe Flaggen nach Cal Crutchlow-Crash missachtet und die Streckenposten extrem gefährdet.

– Aragón 2013: Mit Dani Pedrosa kollidiert, ein Sensorkabel an dessen Honda beschädigt, dadurch wurde die Traktionskontrolle außer Kraft gesetzt, Pedrosa flog ab und und musste das Rennen aufgeben. Die Titelchance war futsch.

– Phillip Island 2013: Marc Márquez verpasste das Zeitfenster für den Pflicht-Boxenstopp zum Bikewechsel nach Runde 9 oder 10. Schwarze Flagge – Disqualifikation.

– Argentinien 2015: Zwischenfall mit Rossi, den Italiener von hinten gerammt.

– Assen 2015: Rossi in der Schikane vor Start/Ziel durchs Kiesbett geschickt.

– Sepang 2015: Die eigenen Siegchancen völlig vernachlässigt, in erster Linie Rossi kompromisslos am Einholen von Lorenzo gehindert, ehe Rossi zu einem Revanchefoul griff und Márquez abdrängte, bis er stürzte.

– Sachsenring 2017: Ohne dringende Not Maverick Viñales gerammt.

– Argentinien 2018: Im FP1 einfach in eine Gruppe von vier Fahrern gefahren, die Regeln der Startaufstellung missachtet, Aleix Espargaró gerammt, Smith beim Überholen berührt, Rossi abgeschossen.

Wir hatten viel Glück, dass sich bei diesem Manövern bisher niemand erstnhaft verletzt hat. Aber muss erst etwas passieren, bis Márquez mal gesperrt wird, fragen sich viele Fans, die sich an die traurigen Vorkommnisse um Marco Simoncelli 2011 erinnern.

Ich weiß, dass Rossi (er fährt seine 24. GP-Saison) in der Vergangenheit auch manchmal hart gefahren ist und Fehler gemacht hat – wie 2011 mit Casey Stoner in Jerez. Aber die Sündenliste von Márquez ist beträchtlich länger.

Vor allem: Andrea Dovizioso gewann im Vorjahr sechs Rennen, er wurde Vizeweltmeister – und kämpft auch jetzt um den Titel.

Bei «Dovi» fällt mir jedoch aus dem Stegreif kein schmutziges, leichtsinniges oder rücksichtsloses Manöver ein. Beim dreifachen MotoGP-Weltmeister Jorge Lorenzo eigentlich auch nicht, bei Dani Pedrosa schon gar nicht.

Besonders ein Fahrer mit dem Können und Talent von Marc Márquez sollte auch ohne Fouls zum Erfolg kommen.

Klar, es geht um Ruhm, Ehre und um viel Geld.

Aber Motorradwettbewerbe galten bisher nicht als Kontaktsportart.

Ja, dank Airbag, Rückenschutz, Protektoren, widerstandsfähigen Helmen, robusten Handschuhen und Stiefeln, neuesten Lederkombis und umfangreichen Sturzräumen ist die Verletzungefahr geringer geworden. Trotzdem wollen wir keine Amokfahrten wie in Las Termas sehen.

Deshalb muss die Race Direction jetzt Fingerspitzengefühl beweisen – und notfalls irgendwann ein Exempel statuieren, wenn Dorna, Honda und Repsol den Weltmeister nicht zur Vernunft bringen.

Marc Márquez muss sich jetzt entscheiden: Will er als unbelehrbarer Rüpel oder als womöglich erfolgreichster Motorradrennfahrer der Geschichte in Erinnerung bleiben?

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