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Jan Witteveen: «Fahrer wie Márquez sind zu mächtig»

Von Günther Wiesinger
Der langjährige Aprilia-Renndirektor Jan Witteveen ist überzeugt: «Hätte sich ein Pilot wie Álvaro Bautista auf dem Startplatz in Argentinien so aufgeführt wie Marc Márquez, er hätte sofort die schwarze Flagge bekommen.»

Jan Witteveen, von 1989 bis 2004 Renndirektor und Chefkonstrukteur bei Aprilia Reparte Corse in Scorzé mit mehr als 120 GP-Siegen und 23 Weltmeistertiteln, ist immer noch ein aufmerksamer Beobachter der GP-Szene.

Er kam 2018 auch zum Katar-GP und ist als neuer Generalsekretär der Hersteller-Vereinigung MSMA im Gespräch.

«Die Topfahrer in der MotoGP haben zu viel Macht und zu viel Einfluss. Hätte sich ein Fahrer wie Álvaro Bautista auf dem Startplatz in Argentinien so aufgeführt wie Marc Márquez, er hätte wohl sofort die schwarze Flagge bekommen», vermutet der Niederländer. «Es geht alles über die Fahrer, die ganz Kommunikation geht über die Fahrer. Sie bekommen dadurch eine zu große Bedeutung. Früher war das System ausgewogener. Da haben neben den Fahrern auch die Teams, die Funktionäre, die Reifenhersteller und die Rennleitung eine gewisse Bedeutung gehabt. Da ist alles in geordneten Bahnen abgelaufen. Das hat gut funktioniert.»

Was sich auf dem Grid in Las Termas abspielte, war außergewöhnlich und in dieser Form noch nie passiert.

Denn zuerst einmal standen in Las Termas 23 der 24 Fahrer mit Regenreifen auf dem Grid, nur Pramac-Ducati-Pilot Jack Miller stand mit Slicks auf der Pole.

«Wenn das keine ernsthaften Konsequenzen hat, was Marc Márquez auf dem Startplatz gemacht hat, dann macht bald jeder Fahrer, was er will», befürchtet Witteveen. «Wenn ein Fahrer etwas tut, was gefährlich und nicht in Ordnung ist, muss man das härter bestrafen. Marc Márquez hat am Start den Motor abgewürgt. Er hat dann die Maschine angeschoben und ist entgegen der Fahrtrichtung auf seinen Startplatz zurückgekehrt.

Normal hätte der Repsol-Honda-Pilot die Hand heben und auf Anweisungen der Funktionäre warten müssen.

Dann wäre ein Startabbruch erfolgt, eine weitere Besichtigungsrunde zurückgelegt, das Rennen noch einmal um eine Runde verkürzt und Márquez in die Boxengasse verbannt worden. Weil er am Grid nicht startbereit war, was eine Strafe zur Folge haben muss. Dieses übliche Vorgehen ließ aber Márquez nicht zu, weil er zwar kurz die Hand hob.

«Márquez hat die Maschine in Gang gebracht, stand dann allein vor dem Grid. Sprang wieder aufs Motorrad und fuhr gegen die Fahrtrichtung zurück auf seinen Platz. Dafür hätte es meiner Ansicht nach sofort Konsequenzen geben müssen. Man hätte ihn nicht von seinem Platz starten lassen dürfen, ist meine Meinung. Wie gesagt: Man hätte ihn sofort disqualifizieren müssen. Wenn ein anderer Fahrer das gemacht hätte, sagen wir Bautista, wäre das genauso gelaufen? Das bezweifle ich.»

Marc Márquez musste wissen, dass er nicht über dem Recht steht und nicht gegen die Fahrtrichtung kutschieren darf.

Aber er scherte sich nicht darum und pochte auf seinen Prominenten-Status.

Und die Race Direction konnte gar nicht schnell genug reagieren, deshalb gab es erst nachher die Durchfahrtsstrafe, die Márquez aber nicht einbremste. Im Gegenteil.

«Im Grunde wurde in dieser ungewöhnlichen Situation von der Race Direction eine vernünftige Lösung gefunden. Es war auch richtig, dass man Miller einen gewissen Vorsprung eingeräumt hat. Aber im Reglement steht: Du darfst nicht gegen die Fahrtrichtung fahren. Wenn er das Bike geschoben hätte, wäre es etwas Anderes gewesen.»

Ab er in diesem Durcheinander wurden viele Motorräder vom Grid nicht in die Box geschoben, manche Piloten tuckerten offensichtlich an die Box zum Räderwechsel– auch gegen die Fahrtrichtung, um Zeit zu gewinnen. Andere Maschinen wurden geschoben.

Aber es waren 23 Fahrer unterwegs, im Nachhinein ließ sich nicht feststellen, wer den Motor in Gang gesetzt hatte.

Also wurde ein Auge zugedrückt, sonst hätte man das halbe Feld bestrafen müssen.

Witteveen: «Die namhaften Fahrer fühlen sich berufen, sich aufzuführen, wie es ihnen passt. Und meistens kommen sie damit durch. Denn wenn der Übeltäter Márquez heißt, dem steht man anders gegenüber, als wenn es ein unbekannter Fahrer ist. Ab und zu muss man das kritisieren und aufdecken. Für mich spielt es keine Rolle, wenn manche Leute nicht meiner Meinung sind.»

In den Sozialen Medien gehen seit dem Argentinien-GP die Wogen hoch.

Manche Ex-GP-Fahrer wie Clive Horton verteidigen den Weltmeister. «Ich mag Márquez», stellte der Engländer fest. «Am Sonntag war er fokussiert, geladen und angriffslustig. Du kannst von einem Menschen, der so intensiv auf seine Aufgabe konzentriert ist, der so unter Feuer steht und so von körpereigenen Chemikalien wie Adrenalin und Dopamin angetrieben wird, nicht verlangen, dass er sich rational verhält. Das kannst du nicht mit einer Person vergleichen, die gemütlich daheim vor dem Fernseher sitzt. Die GP-Funktionäre waren am Sonntag für die meisten Fehler verantwortlich. Aber sie haben dadurch gleichzeitig für eine fidele, aufregende Action gesorgt.»

Aber es gab auch besorgte Wortmeldungen. «Eines Tages wird er einen umbringen», erklärte der ehemalige GP-Mechaniker Derek Booth.

Da Marc Márquez schon seit 2012 als Wiederholungstäter gilt, werden für ihn härtere Strafen gefordert als für Fahrer, die bisher nie auffällig geworden sind.

Und natürlich wurde Marc Márquez von manchen Fans auch in Schutz genommen. «Er hat sich im Rennen bei Aleix Espargaró entschuldigt und bei Rossi, da wollte er nach dem Rennen in die Yamaha-Box gehen, aber das wurde ihm nicht gestattet», geben die Márquez-Parteigänger zu bedenken.

Aber mit einer Entschuldigung kann es bei so ein Benehmen nicht getan sein. Rossi hat zehn mögliche Punkte nur wegen Márquez verloren. Márquez hat seine Punkte wegen unverantwortlicher Fahrweise verspielt, die drei Strafen nach sich zog.

Und wenn es Márquez wirklich leid tat: Warum hat er nach seinem Grid-Chaos noch Aleix gerammt? Und dann noch Valentino?

Und warum zeigte er dann nach dem Rennen nicht die Spur von Einsicht?

Márquez ist im Vorjahr bei 28 Stürzen unversehrt geblieben. Seine abgefangenen Slides sind legendär. Das grandiose Können des 26-jährigen Spaniers ist unbestritten.

Aber er bringt nicht nur sich selbst in Gefahr.

Das ist das Thema.

Und deshalb verstehe ich, wenn Valentino Rossi Angst verspürt, sobald der rücksichtslose Márquez in seiner Nähe auftaucht.

Die Nachzügler fuhren ja aus guten Grund gleich drei oder vier Meter zur Seite, als die Nummer 93 erschien.

Klar, Rossi hat in 24 GP-Jahren auch schon ein paar Manöver auf dem Kerbholz, über die man diskutieren kann. Aber nicht annähernd in dieser Häufung wie Márquez.

Rossis Missetaten oder Fehler von Jerez 2005 bis Jerez 2011 kann ich aus dem Stegreif aufzählen. Bei Márquez haben wir so manche Aktion längst aus dem Gedächtnis verloren.

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