Jorge Martinez: «Márquez kreiert seinen eigenen Stil»
Jorge Martínez wurde in den 1980er-Jahren viermal Weltmeister. Sein Leben hat er der Welt auf zwei Rädern gewidmet. Er betreibt ein Moto3-KTM-Team (mit Arenas und Migno) und leitet eines der wichtigsten Privatteams in der MotoGP-Klasse: Das Ángel Nieto Ducati-Team mit Álvaro Bautista und Karel Abraham. «Aspar» spricht über das Rennen am kommenden Wochenende auf der historischen Silverstone-Rennstrecke und über Marc Márquez’ Führung in der Königsklasse.
Jorge, du hast mehr als dein halbes Leben im Paddock verbracht. Zuerst als Fahrer, dann als Teambesitzer. Wie hat sich die Weltmeisterschaft während all der Jahre verändert?
Sie hat sich stark verändert, in vielerlei Hinsicht. Meistens haben sich die Dinge zum Positiven verändert, obwohl auch einige Dinge verloren gegangen sind. Beispielsweise die Romantik, die es früher gab. Damals war alles intuitiver und nicht so technisch. Ich würde die großartige Entwicklung hervorheben, die in den letzten 25 Jahren passiert ist, seit es die Dorna gibt. Seit damals hat sich die Sicherheit auf den Rennstrecken und das Können der Fahrer merklich verbessert.
Während deiner Zeit als Rennfahrer konntest du Rennen in zwei verschiedenen Klassen am selben Tag gewinnen. Denkst du, dass das heute noch möglich wäre?
Ich glaube nicht. Es wäre fast unmöglich, weil damals alles ganz anders war. Heute gibt es viel mehr Gleichberechtigung beim Material. Auf technischer Ebene, aber auch was den Fahrstil und das Training betrifft.
Wie beurteilst du die Weltmeisterschaft in dieser Saison?
Wir geniessen eine der besten GP-Jahre. Die Vorschriften, die während der letzten paar Jahre eingeführt wurden, sorgen für mehr Ausgeglichenheit. In den kleineren Klassen ist das schon länger so.
In der MotoGP-Klasse hatten die Werksmaschinen immer einen kleinen Vorsprung. Es gab immer kleine Details, die anders waren, aber heutzutage haben wir 16 Piloten, die innerhalb einer Sekunde fahren. Das hat es vorher noch nie gegeben. Bei den Grand Prix in den Niederladen, in Deutschland, Tschechien und Österreich haben wir sehr schöne Rennen gesehen, bei denen viel überholt wurde. Wir erleben gerade die ausgeglichenste Saison, was die Rennfahrer und die Technologie betrifft.
Das nächste Rennen wird in Silverstone ausgetragen. Was erwartet uns auf der britischen Rennstrecke?
Ich glaube, mehr solche Rennen von der Sorte wie die letzten, die wir gesehen haben. Darauf hoffe ich auf jeden Fall, das wäre sehr gut für die Weltmeisterschaft. Diese Action unterhält die Fans. Und sogar die Fahrer, weil jemand aus einem privaten Team fast mit Lorenzo, Dovizioso und dem Rest mithalten kann. Ich spreche von Crutchlow, Petrucci, Zarco oder Bautista, der auf dem Sachsenring Fünfter wurde, als er um einen Podiumsplatz kämpfte.
Marc Márquez ist gut in die zweite Hälfte der Saison gestartet, aber Dovizioso und Lorenzo auch. Glaubst du, dass es noch einen anderen Fahrer geben könnte, der mit ihnen um den Titel kämpft?
Ohne Zweifel erleben wir gerade, wie Lorenzo mit der Ducati wächst und sich immer weiter entwickelt. Von Dovizioso hatten wir von Anfang an erwartet, dass er dieses Jahr ganz vorne sein würde.
Letztes Jahr war er neben Marc der schwierigste Gegner für die restlichen Piloten. Yamaha ist eine Enttäuschung. Wir werden sehen, ob sie einen Weg zurück zum Erfolg finden, weil es gut wäre, wenn Máverick (Viñales) und Valentino (Rossi) einen Schritt nach vorne machen würden. Allerdings ist das mitten in der Saison schwierig.
Am Samstagnachmittag schliessen wir im Team immer Wetten ab, wer es in die Top-Drei schaffen wird. Natürlich ist da Marc immer dabei, aber es ist nicht einfach, vorherzusehen, was am Sonntag passiert, da jeder Fahrer mitkämpfen kann.
Was sagst du zu dem, was Marc Márquez im Alter von 25 Jahren schon alles erreicht hat?
Er definiert eine Ära. Er war unglaublich, seit er in die WM gekommen ist. Er ist schon in der 125-ccm-Klasse herausgestochen, dann in der Moto2 und jetzt in der MotoGP. Er kreiert seinen eigenen Style, eine andere Art, mit dem Motorrad zu fahren. Er ist der Einzige, der keine Fehler macht. Er ist ein Rennfahrer, der allen Anderen einen Schritt voraus ist. Er hat einen grossen Punktevorsprung in der Gesamtwertung, aber er ruht sich nicht darauf aus. Er kämpft in jedem Rennen um den Sieg. Marc ist ganz klar die Messlatte in der MotoGP-Weltmeisterschaft.
Dani Pedrosa hat immer mindestens ein Rennen pro Jahr gewonnen, seit er in die MotoGP-WM aufgestiegen ist. Glaubst du, dass er noch einen Sieg holen wird, bevor die Saison zu Ende ist??
Ich hoffe es! Es würde mich wahnsinnig freuen für ihn, weil er es verdient. Dani hat seinen eigenen Stil entwickelt und in der MotoGP Geschichte geschrieben. Seine Entscheidung, am Ende der Saison als aktiver Rennfahrer zurückzutreten, sagt viel über ihn als Menschen aus. Er hat auf der Strecke bereits Beeindruckendes geleistet, aber er ist ein Fahrer, der es verdient, mindestens einen Grand Prix pro Saison zu gewinnen.
Mit einem Einheitsreifen-Hersteller und der Einheits-ECU gibt es weniger Spielraum als früher. Was macht momentan den Unterschied in der MotoGP aus?
Zweifellos sorgt die Elektronik für mehr Ausgeglichenheit in dieser Rennserie, aber die Reifen sind momentan sehr wichtig. Die richtige Wahl zu treffen, den richtigen Reifendruck zu finden, die ideale Temperatur zu erreichen, etc. Das sind die Punkte, die entscheidend sind für die Resultate bei einem Grand Prix.
Wie siehst du die Rolle von Alberto Puig als HRC-Teammanager?
Alberto ist jemand mit sehr viel Erfahrung, der schon fast alles gemacht hat: Er war ein siegreicher Fahrer, er hat junge Talente in kleinen Rennserien entdeckt, dann hat er Dani und viele andere Fahrer während der letzten Jahre begleitet. Er leistet großartige Arbeit und ich glaube, seine Entscheidung, Lorenzo unter Vertrag zu nehmen, war sehr, sehr mutig. Er muss nächstes Jahr mit zwei unglaublich guten Fahrern umzugehen wissen, die sich zusammen nicht weniger als 12 Titel zuschreiben können. Er muss mit zwei starken Charakteren und Spitzenklasse-Fahrern zurechtkommen.
Dein Team ist vor einem Jahr nach Ángel Nieto benannt worden. Glaubst du, Ángel war sich seiner Rolle als Vorreiter der vielen spanischen Fahrer in der Weltmeisterschaft bewusst?
Ich habe immer gesagt, dass Ángel zweifellos derjenige war, der den Grundstein in Spanien gelegt hat und der mit den Medien und den Sponsoren in den 1970er-Jahren gestritten hat, damit sie den Motorradsport unterstützen. Er hat das losgetreten, was der Sport heute für unser Land bedeutet.
Spanien ist jetzt das führende Land was Rennstrecken, Teams, Fahrer, Nachwuchsschulen, die Dorna, etc. betrifft. Es ist sehr schade, dass er nicht mehr unter uns ist, aber er wäre sehr glücklich, zu sehen, was jeder für ihn getan hat. Jeder erinnert sich an ihn und seiner Person wurden grosse Tribute gezollt.
Ich hatte das grosse Glück, gegen ihn antreten zu dürfen. Zum ersten Mal 1981, dann zwei Jahre lang als Teamkollege bei Derbi.
Ich hatte das Privileg, viel Zeit mit ihm zu verbringen. Bei der Arbeit, aber auch persönlich. Als er aufgehört hat zu fahren, haben seine Kinder in meinem Haus gelebt. Er war sehr freundlich und hatte einen guten Draht zu den Fans und zu den Leuten auf der Strasse.
Er wäre wahrscheinlich positiv überrascht, wenn er sehen könnte, was alles passiert ist, seit er von uns gegangen ist. Giacomo Agostini, der 15-fache Weltmeister, sagte während des Tributs für Ángel in Madrid: «Für mich werden sie in Italien nie so etwas machen.» Das sagt viel über Ángel aus. Er wurde bewundert – als Fahrer und als Mensch.
Was ist deine Vorhersage für die Top-Drei in der MotoGP-Weltmeisterschaft diese Saison??
Falls es keine unvorhersehbaren Überraschungen gibt, was ich nicht hoffe, wird der Titel in den Händen von Marc Márquez landen und bleiben.
Der zweite Platz ist schwieriger einzuschätzen, weil es dafür drei Anwärter gibt: Valentino, Lorenzo und Dovizioso. Wenn es so weitergeht wie bei den letzten paar Rennen, könnte Lorenzo Vizeweltmeister werden, Valentino Dritter und Dovi Vierter. Aber nichts ist offensichtlich.