Stefan Bradl zu Repsol: Die Chancen bleiben intakt
Stefan Bradl auf der Repsol-Honda in Spielberg
Nach unserer gestrigen Meldung, wonach Stefan Bradl bei Repsol Honda als Nachfolger von Jorge Lorenzo in Erwägung gezogen wird, falls der 32-jährige Mallorquiner am Saisonende zurücktritt und sich mit HRC auf eine Vertragsauflösung einigt, gingen bei seinen Fans und Hatern die Wogen hoch.
Aber es bleibt eine unbestreitbare Tatsache: Der Moto2-Weltmeister von 2011 steht auf der nicht sehr umfangreichen Kandidatenliste und hat intakte Aussichen, 2020 seine sechste MotoGP-Saison als Stammfahrer bestreiten zu dürfen. Bradl fuhr 2012 bis 2014 bei LCR-Honda, danach das erste Halbjahr 2015 bei Forward-Yamaha, nachher eineinhalb Jahre im Aprilia-Werksteam. Er hat bisher 50 Top-Ten-Plätze in der Königsklasse errungen.
Moto2-WM-Leader Alex Márquez wird 2020 keine MotoGP-Motorrad fahren. Sein Manager Emilio Alzamora hat den Vertrag bei Marc VDS für die Moto2-Klasse verlängert.
Takaaki Nakagami wird als Anwärter für den zweiten Platz bei Repsol-Honda genannt. Die Japaner von HRC könnten sich vorstellen, ihn neben Marc Márquez fahren zu lassen. Doch LCR-Teambesitzer Lucio Cecchinello ist überzeugt: «Zu 99 Prozent fährt Taka wieder bei uns.»
Bei Johann Zarco, in Silverstone noch als klarer Favorit für die Lorenzo-Nachfolge gehandelt, sind die HRC-Chancen nach der Trennung von KTM gesunken. Er gilt als scher vermittelbar für ein Werksteam, weil er bei KTM jegliche Loyalität vermissen ließ und pausenlos über das Material wetterte, obwohl Pol Espargaró dreimal so viele Punkte einheimste wie er.
Außerdem muss Zarco in seinem persönlichen Umfeld etliche Umstellungen vornehmen und zur Ruhe finden, ehe er wieder zur alten Form zurückkehren kann. Wahrscheinlich wird ihm das nur auf einer Yamaha gelingen, meinen die Experten.
Auch Cal Crutchlow ist mit seinen bald 34 Jahren kein Kandidat für das Werksteam. Sein eigenartiger Charakter wird bei LCR toleriert, bei HRC und Repsol nicht.
Stefan Bradl befindet sich in einer beneidenswerten Situation. Die Position als HRC-Testfahrer macht ihm niemand streitig. Sie garantiert ihm zwei bis drei Wildcard-Einsätze pro Saison und brachte ihm 2018 und 2019 jeweils drei zusätzliche Grand Prix-Teilnahmen als Ersatzfahrer bei Marc VDS, LCR und Repsol ein.
Stefan kann jetzt in Ruhe abwarten, wie sich die Situation bei Lorenzo und HRC entwickelt. Zarco hat diese Zeit nicht, er muss in absehbarer Zeit bei Yamaha als MotoGP-Testfahrer zusagen. Sonst kriegt Jonas Folger womöglich den Job.
Lorenzo macht nicht den Eundruck, als habe er die Motivation für eine weitere Honda-Saison. Er will seinen Vertrag aber nicht kündigen, weil er die auf 3 bis 4 Millionen geschätzte Gage für 2020 gerne kassieren möchte und lieber auf eine Entlassung wartet.
Gleichzeitig will HRC keine zweite desaströse Saison mit dem Mallorquiner erleben. Vielleicht wird ihm HRC deshalb irgendwann nach dem Saisonende genervt den Laufpass geben.
Lorenzo wünscht sich offenbar beim Motor eine eigene Entwicklungsrichtung, aber das Reglement verlangt eine einheitiche Spezifikation für die Motoren desselben Jahrgangs ab dem ersten Saisonrennen.
HRC verlässt sich seit 2013 völlig auf die Fahrkunst von Marc Márquez. Bisher funktioniert dieses Konzept – 2019 winkt der sechste MotoGP-Titelgewinn in sieben Jahren.
Doch Honda ist es unter Nakamoto und Suppo jahrelang nicht gelungen, ein neues Talent neben Marc Márquez aufzubauen. Bei Stefan Bradl reichte die Geduld nur für drei Jahre, bei Jack Miller ebenfalls.
Ducati förderte in dieser Zeit Talente wie Iannone und Petrucci bei Pramac, Suzuki setzte mutig auf Alex Rins und Joan Mir. KTM verfügt über Eigenbau-Talente wie Oliveira und Binder und schnappte sich dazu Pol Espargaró, dem Yamaha in der MotoGP-WM keine große Zukunft zugetraut hat.
Klar, HRC könnte theoretisch einen Moto2-Helden wie den WM-Zweiten Navarro oder den WM-Dritten Fernandez bei Repsol ins kalte Wasser werfen. Aber wegen der Team-WM und der Konstrukteurs-WM braucht Honda verlässliche Punktelieferanten.
Außerdem: Augusto Fernandez hat einen kugelsicheren Vertrag beim Moto2-Team von Sito Pons für 2020. Und HRC sprengt keine Fahrer aus gültigen Verträgen. Das macht auch kein anderes renommiertes Werksteam.
Jorge Navarro kommt gar nicht in Frage. «Er hat bisher kein Angebot aus der MotoGP», sagte dessen Teamchef Luca Boscoscuro heute zu SPEEDWEEK.com.
Dazu kommt: Navarro hat mit Albert Valera denselben Manager wie Jorge Lorenzo und Jorge Martin. Valera wird also nicht Navarro (bisher nur zwei Moto3-GP-Siege) bei Repsol und HRC anbieten und ihn dort verheizen, solange sein Schützling Lorenzo bei HRC 3 oder 4 Millionen für 2020 in Aussicht hat.
Deshalb bleibt Stefan Bradl ein konkreter Anwärter für den Platz bei Repsol – falls sich Jorge Lorenzo und HRC nach der Saison 2019 trennen. Das sind Fakten. Kein Hirngespinst und kein Wunschdenken.
Die Verpflichtung eines Moto2-Fahrers birgt außerdem Risiken.
Denn nicht jeder Moto2-Held setzt sich in der MotoGP-Klasse auf Anhieb durch – wie man bei Weltmeister Pecco Bagnaia auf der Pramac-Ducati sieht. Er gewann 2018 acht Moto2-Rennen, Navarro hat noch gar keines gewonnen, Fernandez bisher drei.
Stefan Bradl lässt die Dinge auf sich zukommen. «Vorläufig gehe ich davon aus, dass ich 2020 wieder Honda-Testfahrer bin. Alles andere wird sich ergeben.»