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Stefan Bradl: Ergibt sich für 2020 Chance bei Repsol?

Von Günther Wiesinger
Stefan Bradl in Aragón mit HRC-Direktor Takeo Yokoyama

Stefan Bradl in Aragón mit HRC-Direktor Takeo Yokoyama

Im GP-Paddock glaubt niemand mehr an eine zweite MotoGP-Saison von Jorge Lorenzo bei Repsol Honda. Sensationell: Stefan Bradl ist als Nachfolger im Gespräch.

Jorge Lorenzo hat in Silverstone und Misano zwei magere 14. Plätze fabriziert. Schon in Misano wollte er maximal 30 Sekunden auf den Sieger verlieren, es waren aber 47, in Aragón wieder 46 Sekunden. Lorenzo brachte die Werks-Honda auf den 20. und vorletzten Platz. Nur der Malaysier Hafizh Syahrin war langsamer.

Lorenzo gab auf die Frage von SPEEDWEEK.com, ob er 2020 bei Repsol fahren werde, nur ausweichende Antworten. «Ich bin ein Kämpfer. Aber ich habe große Mühe mit der Honda. Meine Situation ist nicht einfach. Klar, ich bin bei den Grand Prix unglücklicher als früher, als ich mit Yamaha oder Ducati gewonnen habe. Damals war es anders. Ein ehrgeiziger und konkurrenzfähiger Fahrer kann nicht happy sein, wenn er so weit hinten ins Ziel kommt. Viele Leute fragen mich, ob ich nach 2019 weiterfahre. Ich antworte ihnen: In meinem Kopf existiert die ‚Ich gebe auf’-Möglichkeit nicht. Dazu habe ich einen Vertrag für das nächste Jahr. Im Moment möchte ich ihn erfüllen.»

Auch wenn sich Lorenzo vorläufig keine konkrete Aussage entlocken lässt: Er wird nächstes Jahr nicht mehr fahren. Aber HRC wartet auf seine Kündigung. Lorenzo pokert jedoch und wartet darauf, dass ihn HRC wegen mangelhafter Leistungen für 2020 freistellt. Denn in diesem Fall müsste HRC voraussichtlich seine nächstjährige Gage bezahlen, die auf 3 bis 4 Millionen Euro geschätzt wird.

Deswegen lässt sich vorläufig keiner der beiden Vertragspartner wirklich in die Karten schauen.

Repsol-Honda-Teamprinzipal Alberto Puig ist anzusehen, dass sich Repsol Honda keine weitere Saison mit Lorenzo vorstellen kann, wenn bei den nächsten Grand Prix kein wundersamer Aufwärtstrend zu sehen ist. Aber dem Teamchef sind die Hände gebunden. «Es ist die Entscheidung von Jorge», erklärte Puig am Sonntag in Aragón im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Denn wir haben einen Zwei-Jahres-Vertrag mit ihm.»

Takeo Yokoyama, der einflussreiche Technical Director der Honda Racing Corporation, wollte zur Fahrerproblematik für 2020 in Aragón nicht Stellung nehmen.

Alex Márquez ist kein Kandidat mehr

Sobald die Trennung von Lorenzo feststeht, kann HRC offen über die Zukunftspläne sprechen. Momentan laufen alle Gespräche und Verhandlungen im Verborgenen ab. Trotzdem ist bekannt: Johann Zarco steht auf der Kandidatenliste, auch Moto2-WM-Leader Alex Márquez wurde ins Spiel gebracht.

Sein Manager Emilio Alzamora hat von diesen Plänen aber wieder Abstand genommen. Er ist überzeugt, dass die Werks-Honda momentan kein ideales Fahrzeug für einen MotoGP-Rookie ist, schon gar nicht, wenn er der kleine Bruder des großen Márquez ist.

Deshalb wollte er Alex 2020 bei Petronas Moto2 fahren lassen und dann 2021 bei Petronas die MotoGP-WM auf Yamaha. Aber Yamaha lehnte ab.

Die Aussichten von Johann Zarco bei Repsol-Honda sind seit Silverstone stark gesunken. «Ich lasse mir einen Finger abschneiden, wenn Zarco mit der Honda besser zurechtkommt als mit der KTM», lautet der Befund von Cal Crutchlow.

Auch Alberto Puig hat inzwischen seine Zweifel am Franzosen, der bei KTM in Ungnade gefallen ist – durch das pausenlose Absondern von kritischen Bemerkungen.

Sehr umfangreich ist die Liste der sinnvollen Kandidaten für den zweiten Repsol-Fahrer nicht. Takaaki Nakagami käme in Frage – aber er hat in der Moto2 nie überzeugt und in der MotoGP-Klasse bisher auch nicht.

Bleibt noch Stefan Bradl. Die Verpflichtung des Bayern wird inzwischen ernsthaft in Erwägung gezogen. Denn der siebenfache GP-Sieger hat bei seinen letzten fünf GP-Rennen drei Top-Ten-Plätze erzielt, Lorenzo 2019 noch keinen. HRC schätzt Bradls Testfahrerqualitäten, er versteht sich inzwischen prächtig mit Marc Márquez, sie sind sich bei der Weiterentwicklung immer einig. Bradl ist im Testteam von HRC ein wertvoller Faktor geworden. «Die Verantwortlichen von HRC bringen mir viel Anerkennung entgegen», freut sich Stefan, nicht erst seit Platz 3 beim Suzuka-8h-Rennen.

Lorenzo hingegen beschwerte sich am Sonntag nach Platz 21: «Seit Marc in die MotoGP-WM gekommen ist, wurde die Honda seinem Können, seinen Ansprüchen und seinem Fahrstil angepasst.»

Lorenzo kam ins Grübeln

Nimmt die Karriere von Stefan Bradl rund um seinen 30. Geburtstag noch einmal eine dramatische und überraschende Wendung?

Wegen des Jugendwahns hatte sich Stefan zuletzt keine Chancen mehr auf einen Vertrag als MotoGP-Fixstarter ausgerechnet. Die letzte komplette MotoGP-Saison bestritt er bei Aprilia 2016.

Bradl wirkte ehrlich erstaunt, als ihn SPEEDWEEK.com am Wochenende in Aragón mit dem Thema konfrontierte. «Mit mir haben die Honda-Verantwortlichen nur über einen neuen Testfahrer-Vertrag gesprochen», versicherte er glaubhaft.

Bradl hörte beim Technical Debrief nach dem FP2 am Freitag bei Lorenzo in der Box aufmerksam zu. Er bekam aus nächster Nähe mit, welch ratlosen Eindruck der Spanier bei seiner Crew hinterlässt.

Der fünffache Weltmeister ist nur noch ein Schatten seiner selbst.

Mit welchem Fahrerduo Repsol-Honda 2020 in die WM geht, wird sich nicht so rasch entscheiden. Die Ehe HRC/Lorenzo ist jedenfalls hoffnungslos zerrüttet.

HRC wird für das Übergangsjahr 2020 einen Fahrer brauchen, der mit Marc Márquez klarkommt, berechtigte Chancen auf die Top-Ten und bewiesen hat, dass ihm die Honda wie auf den Leib geschneidert ist. Bradl erfüllt alle Kriterien.

Honda muss jetzt abwarten. Die Japaner warten ab, ob Lorenzo seinen Vertrag für 2020 kündigt, wie es Johann Zarco bei KTM gemacht hat. Denn nur dann muss seine auf 3 bis 4 Millionen Euro geschätzte Fahrergage nicht bezahlt werden.

Wenn HRC den ersten Schritt macht, muss zumindest eine Millionen-Abfindung ausgehandelt werden.

Yamaha hofft, Zarco für das europäische Testteam engagieren zu können – anstelle von Folger. «Aber wir müssen die Entscheidung von HRC abwarten», sagte Yamaha-Renndirektor Lin Jarvis.

Die beiden Brustwirbelbrüche von Assen haben Jorge Lorenzo (32) ins Grübeln gebracht. In Silverstone Wochen sinnierte er vor vier Wochen: «Wenn du so eine schwere Verletzung hast, machst du dir Gedanken über das Leben und deine Karriere.»

Offenbar hat Lorenzo in der Rennpause intensiv darüber nachgedacht, ob er nach einem Jahr voller Verletzungen noch die nötige Leidenschaft, Opferbereitschaft und Risikofreudigkeit aufbringt, die bei einem ruhmreichen Team wie Repsol-Honda erwartet wird.

Die Gedanken von Lorenzo sind nachvollziehbar, nicht nur weil er bei Ducati in zwei Jahren 25 Millionen Euro verdient hat und längst ein gemachter Mann ist.

Gleichzeitig wirkt er momentan nicht wie ein fünffacher Weltmeister, der Frust und das abhanden gekommene Selbstvertrauen stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Der Ausnahmekönner schlägt sich mit Tito Rabat herum, seine Magie hat sich verflüchtigt.

Bei Repsol Honda schlägt ihm keine Nestwärme entgegen, dort wird vorrangig der magische Marc Márquez angehimmelt.

Jorge Lorenzo hat bisher nur deponiert, dass er diese Saison zu Ende fahren wird. Über 2020 hat er bisher wenig verlauten lassen. Wer eins und eins zusammenzählt, kann sich ausmalen: Die Nummer 99 wird am Jahresende zurücktreten.

Wobei sich manche Beobachter vorstellen können, dass Lorenzo nur ein Jahr pausiert, sich ein «Sabbatical» gönnt wie Formel-1-Star Alain Prost 1992 nach dem Rauschmiss bei Ferrari. Und womöglich kehrt Lorenzo 2021 mit Ducati Corse in die WM zurück. Dort hat er 2018 drei Rennen gewinnen. Ducati-Rennchef Gigi Dall’Igna schwärmt in den höchsten Tönen von Jorge.

Stefan Bradl wird am 29. November 30 Jahre alt. Er hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er gerne wieder Stammfahrer werden würde. Aber die Aussichten waren nach der Trennung vom Aprilia-Werksteam nach 2016 nie mehr wirklich rosig. Es gab für 2017 nur eine MotoGP-Möglichkeit bei Avintia Ducati, also bestritt er vor zwei Jahren für Honda die Superbike-WM und unterschrieb danach einen Vertrag als HRC-Testfahrer.

Bradl weiß: Andrea Dovizioso und Cal Crutchlow haben ihre besten MotoGP-Jahre nach dem 30. Geburtstag erlebt. Er fühlt sich fit wie nie zuvor.

Der Zahlinger hat sich in den Klassen 125 und Moto2 nie hinter Pol und Aleix Espargaró oder Andrea Iannone verstecken müssen. Und er ist der einzige Fahrer neben Lorenzo, der seit 2010 einen WM-Titelgewinn von Marc Márquez verhindert hat. Das war 2011 in der Moto2-Weltmeisterschaft.

«Ich brauche keinen weiteren Spanier in der MotoGP-WM», hat Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta kürzlich erwähnt.

Und Deutschland würde ein zweiter GP-Fahrer neben Schrötter 2020 wahrlich guttun.

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