MotoGP in der Coronakrise: Werden Gagen gekürzt?
Marc Márquez hat auch ohne Rennen einen Marktwert
In ihren 71 Jahren hat die Motorrad-WM viele unsichere Zeiten erlebt. Mehr als einmal kamen unvorhersehbare Szenarien dazwischen – rote Flaggen haben Rennen beendet, es gab GP-Verschiebungen oder gar Absagen. Die Liste der Ursachen ist lang und reicht von Wetterkapriolen bis zu politischen Unruhen, von Naturkatastrophen über Unfälle, über streikende Fahrer und Sicherheitsbedenken bis hin zu prekären Einrichtungen und finanzielle Streitigkeiten.
Nie zuvor war die Situation in diesen mehr als sieben Jahrzehnten aber so außergewöhnlich wie jetzt. Die rasante Ausbreitung des Coronavirus führte nicht nur zur Streichung eines MotoGP-Rennens, sondern brachte gleich die gesamte Motorrad-WM auf unbestimmte Zeit zum Erliegen. Wir sprechen hier über ein außergewöhnliches Maß an Außergewöhnlichkeit.
Wir stecken mitten in der Krise und keiner wagt daher, endgültige Antworten auf aufkommende Fragen zu geben. Werden die Fahrer für die Saison 2020 voll bezahlt? Welche Seite muss die Verluste, die von Covid-19 verursacht werden, tragen? Diese nie dagewesene Situation können wir nicht auflösen. Aber wir können juristische Logik und gesunden Menschenverstand einsetzen – zwei Dinge, die nicht immer Hand in Hand gehen.
Zunächst muss noch festgehalten werden, dass nicht einmal die Motorradhersteller wissen, wie sie mit dieser unsicheren Situation umgehen sollen. Sie kümmern sich noch nicht um die Rechtsfragen, weil WM-Promoter Dorna die Streichung der Saison bisher nie in Betracht gezogen hat und stattdessen betont, dass die WM 2020 stattfinden wird und alle Anstrengungen unternommen werden, damit alle geplanten Grand Prix durchgeführt werden können. Laut heutigem Stand wurde – abgesehen vom MotoGP-Rennen in Katar – nichts gestrichen. Und sogar Losail könnte irgendwann vor dem Ende der Weltmeisterschaft nachgeholt werden.
Anders gesagt: Keiner kann eine Entscheidung treffen, was das Erfüllen von Verträgen oder die Anwendung von restriktiven Klauseln angeht, weil alles noch offen ist. Aber die Weltmeisterschaft wird nur schwer ins Rollen kommen, der Start wird auf sich warten lassen. Um genau zu sein, bezieht sich der Start nur auf die MotoGP-Klasse, während die Moto2 und Moto3 einen Re-Start hinlegen werden müssen.
Asiatische Länder wie China, Singapur und Südkorea benötigten rund 50 Tage, um die Covid-19-Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Wenn wir dieselbe Zeitspanne auf Italien oder Spanien ummünzen, kommen wir auf Ende Mai. Aber derartig autokratische und militärische Maßnahmen sind hierzulande nicht vorstellbar.
Selbst wenn einige Länder vor dem Sommer wieder zur Normalität zurückfinden sollten, werden sportliche Großveranstaltungen nicht auf Anhieb stattfinden können, man denke nur an die Reisebeschränkungen.
Drei Szenarien für die Saison 2020
Zurück zu den Verträgen für die Saison 2020: Wenn die Weltmeisterschaft nur sehr spät in Fahrt kommt, kann es drei Szenarien geben.
- Die Weltmeisterschaft wird auf ein kürzeres Programm reduziert; 13 Rennen sind im Vertrag zwischen FIM und Dorna als Minimum festgeschrieben.
- Es werden zwei WM-Läufe pro Wochenende abgehalten, wie in der Superbike- oder Motocross-WM üblich.
- Die Grand Prix werden auf die Herbstmonate konzentriert und bis Weihnachten ausgedehnt; es wird ein Rennwochenende auf das nächste folgen, bis fast alle geplanten Rennen einen Platz gefunden haben.
Wenn fast die gesamte Weltmeisterschaft absolviert werden würde, ganz unabhängig von der Art und Weise, wären die Verträge zweifellos zu 100 Prozent erfüllt. Die Fahrer würden also ihre volle Gage erhalten.
Wenn nur die Hälfte der WM stattfindet, wäre es nur logisch, einen Vertragspassus anzuwenden, der auch greift, wenn die Fahrer durch Verletzungen oder aus anderen Gründen mehr als eine gewisse Anzahl an Rennen verpassen. Diese Klausel ist variabel, aber je nach Vertrag sind es meist drei oder vier Grand Prix. Die Rechnung ist einfach: Das Fixum wird durch die Anzahl der GP geteilt und die Betrag für die nicht bestrittenen GP wird abgezogen.
Sollte die Weltmeisterschaft wegen «höherer Gewalt» ganz ausfallen, würde das folgende Prinzip gelten: «Kein Rennen bedeutet keine Tätigkeit und daher keine Bezahlung.»
Diese wäre die Herangehensweise laut Rechtslage, aber für den vorliegenden Fall ist anzunehmen, dass eine «freundlichere» Lösung angestrebt werden wird. Aus den Gesprächen mit verschiedenen Teammanagern ist herauszuhören, dass die Hersteller die im Vertrag festgelegte Vergütung kürzen werden, sollte die Weltmeisterschaft in irgendeiner verkürzten Form durchgeführt werden.
Das Prinzip der Vernunft
Sollte die gesamte Saison 2020 ins Wasser fallen, wird das Leid wahrscheinlich geteilt. Anders gesagt: Weder der Arbeitgeber (der Hersteller oder das Team) würde 100 Prozent der Gage bezahlen, doch der Angestellte (der Fahrer) muss nicht auf 100 Prozent verzichten. Man muss davon ausgehen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen beiden Seiten von Dauer sein soll, weshalb keiner daran interessiert ist, die eigenen Interessen auf dem Rücken des anderen durchzusetzen.
Dasselbe Prinzip der Vernunft müssen die Fahrer im Umgang mit ihren persönlichen Sponsoren anwenden. Große Unternehmen wie die in der MotoGP-WM vertretenen Motorrad-Hersteller haben die finanziellen Möglichkeiten, um eine Krise wie diese zu überdauern. Aber die Situation gestaltet sich für kleinere Geldgeber ganz anders.
Helm- und Ausrüstungshersteller müssen jetzt mitansehen, wie ihr Business lahmgelegt wurde. Das gilt vor allem für Firmen, die im besonders stark vom Coronavirus betroffenen Italien beheimatet sind. Ihre Fabriken sind zu, die Produktion musste gestoppt werden. Keiner kauft etwas. Die Fahrer müssen in diesem Fall großzügig sein, mit Hausverstand verhandeln und das Profitdenken beiseitelassen.
Honda bildet eine Ausnahme
Der Vertrag eines Fahrers mit einem Hersteller ist im Grunde immer nach demselben Schema aufgebaut. Es gibt zwar einige unterschiedliche Klauseln, aber 90 Prozent davon sind identisch.
Nur Honda geht andere Wege: Sie trennen die Vergütung für die «image rights», die Bild- und Namensrechte, von der sportlichen Aktivität. Die finale Summe setzt sich zu ungefähr 30 Prozent aus der Rechtenutzung zusammen, die verbliebenen 70 Prozent entfallen auf das Konzept Rennsport. Das bedeutet zum Beispiel, dass – ganz abgesehen davon, ob Rennen stattfinden werden oder nicht – in der aktuellen Situation 30 Prozent garantiert sind, weil davon auszugehen ist, dass Honda die Márquez-Brüder weiter für die Promotion der eigenen Marke und Produkte einsetzt. Über die restlichen 70 Prozent wird (wie weiter oben beschrieben) verhandelt werden müssen.
Und mächtige Sponsoren wie Red Bull oder Monster? In diesem Fall muss man ganz klar unterscheiden, ob die Partnerschaft an das Team – Honda und Yamaha – oder die Fahrer geknüpft ist. Im zweiten Fall besagt die Vereinbarung, dass der Sponsor sich das Image und den Marktwert das Fahrers zu Nutze machen kann. Die finanziellen Aspekte des Vertrags werden also nicht zu 100 Prozent davon beeinflusst, ob Rennen gestrichen werden oder nicht.
Anders ist es bei den Teams: Die Verträge sind an die Anzhal der tatsächlich abgehaltenen Rennen und die Sichtbarkeit des Sponsorings gekoppelt. Es ist davon auszugehen, dass sich multinationale Unternehmen an die rechtlichen Richtlinien halten werden.
Dann gibt es noch kleinere Sponsoren, einige davon vereinbaren nur einseitige oder sogar mündliche Abkommen, andere Verträge bestehen immerhin aus 16 Seiten. Man muss auch die Art des Sponsorings unterscheiden.
Brillenausstatter sind zum Beispiel an einem Top-Atheten und seiner Präsenz auf den sozialen Netzwerken interessiert. In diesen Fällen werden einfach die Posts auf Instagram hochgeschraubt. Dann wird einem doch gleich klar, warum wir auf den Social-Media-Kanälen in den vergangenen Wochen absurde Dinge gesehen haben, oder?