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Grenzgänger Marc Márquez: Wann kann er wieder jubeln?

Von Günther Wiesinger
Wann sehen wir Marc Márquez wieder jubeln?

Wann sehen wir Marc Márquez wieder jubeln?

Marc Márquez hat in sieben Jahre sechs MotoGP-WM-Titel gewonnen. 2020 erlebte er einen Tiefpunkt nach dem andern. Kein WM-Punkt, drei Operationen, zwei Knochentransplantationen, Zukunft ungewiss.

In den vier Jahrzehnten meines Berufslebens habe ich viele Rennfahrer kommen und gehen gesehen. Ich habe als Jugendlicher noch Asse wie Luigi Taveri und Hans-Georg Anscheidt in Aktion gesehen. Ich habe als Berichterstatter Phil Read noch miterlebt, dazu Giacomo Agostini, Barry Sheene, Kenny Roberts, Dieter Braun, Johnny Cecotto, Freddie Spencer, Mick Doohan, Wayne Gardner; später habe ich Asse wie Valentino Rossi, Casey Stoner und Marc Márquez beobachtet und bewundert.

Aber ich kann mich an keinen Motorradrennfahrer erinnern, der den GP-Sport so nachhaltig verändert hat wie Marc Márquez. Sein Fahrkönnen, seine Entschlossenheit, sein Siegeswillen, seine Risikobereitschaft, sein mangelhaft ausgeprägter Selbsterhaltungstrieb, sein Hang zur Perfektion und sein unerbittliches Konditions- und Fahrtraining haben das Niveau in der MotoGP in neue, höhere Sphären verschoben.

Márquez erkannte als erster Rennfahrer, dass dank der erstklassigen neuen Ausrüstung (verstärkte Stiefel, Handschuhe, Helm, Leder, Protektoren und Airbag) heute die meisten Stürze glimpflich verlaufen. Er lotete das Limit durch empirische Versuche aus, er erschuf sich auf der Rennstrecke seine eigene Welt, er lebte dann wie in einem Tunnel oder in einer Blase, er blendete das Drumherum manchmal aus, das führte immer wieder zu Stürzen, Black-outs und Bestrafungen, schon in der Moto2.

Wer dachte, der Spanier werde vor den großen Namen (Rossi, Lorenzo, Pedrosa, Doviziosousw.) in der MotoGP 2013 anfangs viel Respekt zeigen, irrte sich gewaltig. Während HRC-Chef Shuhei Nakamoto und Repsol-Honda-Teammanager Livio Suppo noch grübelten, ob der Moto2-Weltmeister von 2012 im ersten MotoGP-Jahr schon ein Rennen gewinnen könne, fuhr #MM93 beim zweiten Saison-Event in Texas schon allen Gegnern auf und davon.

Seither haben wir uns oft gewundert, wie lange diese Risikobereitschaft des achtfachen Weltmeisters immer glimpflich verlaufen und gutgehen würde.

Und wir haben uns manchmal nach mehr Abwechslung gesehnt, als Marc 2014 die ersten zehn Rennen gewann und 2019 zum Beispiel zwölf von 19.

Inzwischen muss ich erkennen: Ich habe in fast 50 Jahren keinen Rennfahrer erlebt, der nach einer eigentlich simplen Verletzung so dauerhaft außer Gefecht gesetzt wurde wie der Honda-Star (total 82 GP-Siege, 56 in der MotoGP), dass er quasi eine komplette Saison verpasst hat und dreimal am selben Oberarmknochen operiert werden musste.

Marc hat in der Vergangenheit oft viele Schutzengel gehabt. Oder das Glück des Tüchtigen. Dafür ist 2020 alles gründlich schief gegangen. Das Bike war schon beim Katar-Test im Februar nicht konkurrenzfähig, er musste in Jerez Kopf und Kragen riskieren.

Und der Weltmeister war nicht zufrieden, als er beim GP von Spanien an diesem 19. Juli nach dem Ausritt und Rückfall auf Platz 16 wieder an dritter Stelle hinter Quartararo und Viñales lag. Er wollte zumindest Zweiter werden. So nahm das Unheil seinen Lauf.

Klar, Marc Márquez ist ein unbeschreiblicher Grenzgänger, aber auch ein Fahrgenie, einsamer Könner. Man kann etliche seiner grenzwertigen Auftritte (Sepang 2015, Las Termas 2018) verurteilen und verabscheuen. Aber er hat Fahrer wie Jorge Lorenzo und Valentino Rossi entzaubert, Honda eine unnachahmliche Siegesserie beschert und einen neuen Fahrstil geprägt. Denn inzwischen gehört es zum guten Ton, einen Rutscher mit dem Ellbogen statt mit dem Knie abzufangen.

Stefan Bradl war 2011 in der Moto2-WM der Erzrivale von Marc Márquez. Er lag nach seinem Silverstone-Sieg 64 Punkte vor dem Spanier, in Motegi übernahm der Überflieger aus Cervera trotzdem die WM-Führung. Der Kampf wurde erbittert geführt, er war von gegenseitiger Abscheu geprägt.

Aber als Stefan Bradl 2018 als MotoGP-Testfahrer bei HRC mehr Einblick bekam und merkte, mit welch vorbildlicher Professionalität, mit welchen Ehrgeiz und Einsatz Marc seinem Beruf nachgeht, machte sich bald restlose Bewunderung breit.

In der Saison 2020 ging es drunter und drüber, kein Fahrer dominierte. Ein Sieg reichte Joan Mir zum Titelgewinn.

Das Motto: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Oder wie man in Österreich sagt: Wenn die Katze aus dem Haus ist, haben die Mäuse Kirtag.

Wir haben die Abwechslung in diesem Jahr genossen. Joan Mir hat die WM mit einem Punkteschnitt von 12,214 Zählen gewinnen. Marc Márquez 2019 mit einem Schnitt von eindrucksvollen 22,105.

Dazu kommt: Marc hat sich zu einer eindrucksvollen Persönlichkeit entwickelt, er ist ein vorbildlicher MotoGP-Botschafter geworden.

Allein deshalb will ich mir kein Rennen ohne ihn mehr vorstellen.

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