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Joan Mir: 48 Punkte Rückstand in WM-Titel umgewandelt

Von Nora Lantschner
Joan Mir: Seit dem 15. November 2020 MotoGP-Weltmeister

Joan Mir: Seit dem 15. November 2020 MotoGP-Weltmeister

2020 war sein Jahr: Der 23-jährige Joan Mir kürte sich in seiner erst zweiten MotoGP-Saison zum Weltmeister. Der Saisonstart verlief für den Suzuki-Werksfahrer allerdings genauso holprig wie die Anfänge seiner Karriere.

Joan Mir ist der erste Weltmeister der «premier class», dem ein Saisonsieg zum Triumph reichte. Das entspricht in der verkürzten Corona-Saison 2020 einer Siegquote von nur 7,14 Prozent. Immerhin zwei Siege sammelten auf dem Weg zum Titelgewinn Nicky Hayden 2006 (11,76 Prozent der Saisonrennen), Umberto Masetti 1952 (25 Prozent) und 1950 (33,33 Prozent) sowie Leslie Graham 1949 (33,33 Prozent).

Bezeichnend für den unvorhersehbaren Saisonverlauf 2020 mit neun unterschiedlichen Siegern in 14 Rennen: Der spätere Titelträger lag nach dem dritten Grand Prix in Brünn bereits 48 Punkte hinter dem WM-Leader Fabio Quartararo zurück. Es folgte eine rekordverdächtige Aufholjagd, mit der Mir auch die Marke von Marc Márquez knackte – 2017 machte der Repsol-Honda-Star einen Rückstand von 37 Punkten auf Maverick Viñales weg.

So wird dem Suzuki-Werksfahrer 2020 trotz der ungewöhnlichen Umstände für immer in Erinnerung bleiben: «Das ist etwas, wofür ich mein ganzes Leben lang gekämpft habe. Seit ich zehn Jahre alt war, hatte ich diesen Traum und habe nie aufgegeben», suchte er nach dem frühzeitigen Titelgewinn beim Valencia-GP nach Worten.

Die holprigen Anfänge des MotoGP-Weltmeisters 2020

Joan Mir wurde am 1. September 1997 in Palma de Mallorca geboren. Die familiäre Vorbelastung des inzwischen zweifachen Motorrad-Weltmeisters hielt sich in Grenzen: Sein Vater Joan betreibt einen Surf- und Skateshop. Mit sechs Jahren bekam der Junior dann aber doch sein erstes Motorrad, eine Polini. Ein Jahr später folgte eine Honda QR.

Erst sein Cousin Joan Perelló, der zwischen 2009 und 2011 in der 125er-WM unterwegs war, weckte in Joan Mir das Interesse am GP-Sport. Nach einem Zwischenstopp in Chicho Lorenzos Schule nahm ihn dann 2009 der Motorsportverband der Balearen unter die Fittiche. Dort traf Mir auch auf Dani Vadillo, der ihn fortan zehn Jahre lang begleiten sollte.

Die ersten Titel errang Mir im Bankia-Cup in der Klasse XL 160 (2011) und im MotoGP PreGP 125-Cup (2012). Die folgenden zwei Jahre 2013 und 2014 im Red Bull Rookies-Cup beendete er auf den Gesamträngen 9 und 2 (hinter Jorge Martin).

Trotzdem war der talentierte Spanier für 2015 schwer vermittelbar, wie sein Manager Paco Sánchez später verriet: «Ich bin zu jedem GP-Team der Moto3 und Moto2 gelaufen, habe angeklopft und Joan angepriesen für 2015. Niemand wollte ihn. Auch in der Supersport-WM bestand kein Interesse. Aber seine Eltern hatten kein Geld, wir konnten nur das Talent des Fahrers anbieten.»

Mir sollte dann mit dem Leopard Team in der CEV-Meisterschaft unterkommen, aber der Sponsor sprang im letzten Moment ab.

«Schließlich habe ich etwas Geld aufgetrieben und Joan in eines der ärmsten CEV-Moto3-Teams gesteckt. Er musste 2015 mit einem Ioda-Bike von 2012 fahren, und das gegen die Teams von Alzamora-Monlau und Ajo Motorsport, die quasi mit WM-Material unterwegs waren. Trotzdem hat Joan Mir die ersten zwei Rennen gewonnen. Danach war ich restlos von seiner Schnelligkeit überzeugt», erinnert sich Sánchez.

Nach vier Siegen beendete Mir die Moto3-Junioren-WM 2015 schließlich auf Gesamtrang 4. Als sich dann Leopard-Honda-Fahrer Hiroki Ono verletzte, wurde Mir kurzfristig als Ersatz zum Australien-GP gerufen. Nach Startplatz 15 wurde er bei seinem WM-Debüt auf Rang 6 liegend in einen Sturz verwickelt. Eindruck hinterlassen hatte er trotzdem. 

Erst mit 18 Jahren WM-Stammfahrer

Leopard Racing holte Mir dann für 2016 fix in die Motorrad-WM. Beim Österreich-GP feierte er im Rookie-Jahr seinen ersten GP-Sieg, er beendete die Saison nach insgesamt drei Podestplätzen und einer Pole-Position auf Gesamtrang 5 und sicherte sich damit den Titel «Rookie of the Year».

Ein Vorgeschmack auf das, was kommen sollte: 2017 fuhr der Mallorquiner mit zehn Siegen und insgesamt 13 Podestplätzen in 18 Grand Prix unaufhaltsam dem Moto3-Titel entgegen.

In der Moto2-Klasse gab Mir nur ein einjähriges Gastspiel mit dem Marc VDS Team, denn bereits nach seinem 42. Grand Prix hatte der Spanier im Juni 2018 einen MotoGP-Werksvertrag bei Suzuki in der Tasche. Honda zeigte kein Interesse an ihm.

Nach vier Moto2-Podestplätzen (den ersten davon schon im fünften Rennen in Le Mans) und Gesamtrang 6 verabschiedete er sich als bester Rookie des Jahres in die höchste Klasse der Motorrad-WM.

«Rennen für Rennen, Jahr für Jahr wurde ich schneller und konnte mich schneller an das Motorrad anpassen. Dadurch bin ich so schnell weitergekommen. Das war der Schlüssel, um den MotoGP-Titel im zweiten Jahr zu holen», erklärte Mir rückblickend. «Wir haben vielleicht eine zweite Moto2-Saison geopfert, ich hätte in dieser Klasse gerne zwei Jahre verbracht, aber es war nicht so ideal und wir haben die richtige Entscheidung getroffen, nach dem einen Jahr aufzusteigen.»

«Es war ziemlich mutig in dem Moment zu Suzuki zu wechseln. Ich hätte mir dieses Potenzial mit dem Motorrad im zweiten Jahr noch nicht erwartet», ergänzte Mir, der 2019 mit gerade einmal 21 Jahren sein MotoGP-Debüt gab.

Suzuki gibt Mir die MotoGP-Chance

Schon nach dem ersten Jahr standen beim Neuzugang im Suzuki-Werksteam zehn Top-10-Ergebnisse und WM-Rang 12 zu Buche, wobei er nach seinem Crash beim Montag-Test von Brünn zwei Grand Prix verpasste. Von den Neulingen war 2019 nur Fabio Quartararo besser, der sieben Mal auf dem Podest stand. Mir hatte dagegen Rang 5 auf Phillip Island als persönliche Bestleistung vorzuweisen.

Damit gehörte der Spanier beim verspäteten Start der MotoGP-Saison 2020 nicht zu den Top-Favoriten, aber er lief ab dem Österreich-GP zur Höchstform auf, als er seinen ersten von sieben MotoGP-Podestplätzen holte. Beim Steiermark-GP brachte ihn noch der Rennabbruch um die Chance auf seinen ersten Sieg in der Königsklasse.

Als sich Mir in der WM-Tabelle nach vorne schob, gab er offen zu, den Druck zu spüren, betonte in seiner gelassenen und überlegten Art aber gleichzeitig immer wieder, dass er die gute Ausgangslage als positiven Druck empfinde.

Er ließ sich auch nicht aus dem Konzept bringen, als er ständig auf den noch fehlenden MotoGP-Sieg hingewiesen wurde. Beim Europa-GP setzte er am 8. November dann einen eindrucksvollen Schlussstrich unter die immer wieder aufkeimende Frage, ob der Suzuki-Werksfahrer auch ohne MotoGP-Sieg einen würdigen Weltmeister abgeben würde. Eine Woche später verwandelte er den ersten Matchball in Valencia mit einem fehlerlosen und intelligenten Rennen souverän.

«2018 hat mir Suzuki die Chance gegeben – und nun bin ich zwei Jahre später der Weltmeister. Ganz ehrlich, das hatte ich erst später erwartet», gestand Mir.

Mit 23 Jahren und 75 Tagen ist er der siebtjüngste Weltmeister in der Geschichte der «premier class» und erst der vierte Spanier – nach Alex Crivillé, Jorge Lorenzo und Marc Márquez.

Joan Mir ist der erste Moto3-Champion (die Klasse wurde 2012 eingeführt), der sich auch in der höchsten Klasse der Motorrad-WM durchsetzt, und der erste MotoGP-Weltmeister aus dem Red Bull Rookies Cup.

Für Suzuki ist es der erste Titel seit 20 Jahren – noch dazu im Jahr des 100-jährigen Firmenbestehens und 60 Jahre nach dem Debüt im Rennsport. Über alle GP-Klassen ist Joan Mir erst der zehnte unterschiedliche Weltmeister für den japanischen Hersteller – nach Kenny Roberts Jr. (500 ccm: 2000), Kevin Schwantz (500 ccm: 1993), Franco Uncini (500 ccm: 1982), Marco Lucchinelli (500 ccm: 1981), Barry Sheene (500 ccm: 1976, 1977), Dieter Braun (125 ccm: 1970), Hans-Georg Anscheidt (50 ccm: 1966, 1967, 1968), Hugh Anderson (125 ccm: 1963, 1965; 50 ccm: 1963, 1964) und Ernst Degner (50 ccm: 1962).

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