Maverick Viñales: Wie es wirklich zum Eklat kam
Das Zerwürfnis zwischen Maverick Viñales und der Yamaha Motor Company hat für den 26-jährigen Spanier finanziell ziemlich schwerwiegende Auswirkungen. Von der 6,5-Millionen-Euro-Gage für 2021 wird er nach der Suspendierung für den Rest der Saison knapp die Hälfte verlieren. Dazu muss er die gesamte Yamaha-Gage für 2022 abschreiben. Also gehen ihm inklusive Erfolgsprämien bei Yamaha ca. 10 Millionen Euro durch die Lappen – wenn er weiter suspendiert bleibt.
Bei Aprilia winkt ein Jahressalär von ca. 1,5 Millionen. Die Italiener wussten, dass Viñales keinen anderen Platz in einem Werksteam finden würde. Bei den persönlichen Sponsoren (Monster) und den namhaften Ausrüstern (Arai-Helm, Alpinestars-Leder) wird Viñales wegen der schlechteren Erfolgsaussichten ebenfalls starke Einbußen hinnehmen müssen.
Wenn sie nach dem jüngsten Eklat mit ihm überhaupt weitermachen.
Maverick hat sich jedenfalls durch sein Benehmen in den letzten Wochen zum Gespött im Fahrerlager gemacht.
Schon im Mai erklärte der Monster-Yamaha-Werkspilot nach den ersten Unstimmigkeiten, er werde sich künftig gewisse Entscheidungen bei Vertragsunterzeichnungen besser überlegen müssen. Da kann es sich nur um eine Anspielungen auf die Yamaha-Verträge gehandelt haben. Der erste Deal galt für 2017/2018, dann folgten neue Vereinbarungen für 2019 und 2020, und bereits im Januar 2020 wurde ein neuer Zwei-Jahres-Vertrag für 2021 und 2022 besiegelt.
Nach diesen kryptischen Aussagen dürfte Viñales von Yamaha eine deutliche Zurechtweisung erhalten haben – die erste gelbe Karte, wenn man so will.
Denn er ruderte dann zurück und stellte es so dar, als habe sich diese Bemerkung auf die Jahre in der 125er- und Moto3-WM bezogen.
Dann betrieb Viñales, in Doha/Katar am 28. März 2021 noch GP-Sieger, beim GP von Deutschland Arbeitsverweigerung, indem er in jedem Training und im Rennen auf dem letzten Platz herumtrödelte.
Dabei war er wenige Tage zuvor in Montmeló beim Montag-Test noch Bestzeit gefahren und vorher im Rennen auf Platz 5 gelandet.
Vertragsauflösung in Assen
Am Wochenende nach Sachsen trumpfte Viñales in Assen in jeder Session mit der Bestzeit auf, im Rennen gelang ihm Platz 2 hinter seinem Teamkollegen Fabio Quartararo. Am Donnerstag ätzte Viñales Ende Juni bei der Dutch-TT: «Die Yamaha ist nur viermal im Jahr konkurrenzfähig.»
Zur Erinnerung: Yamaha hat in den letzten 13 Monaten zwölf GP-Siege errungen, auf allen möglichen Strecken, sogar in Doha. Und auch Ducati hat ein paar Strecken im Jahr, auf denen die Desmosedici im Normalfall nicht gewinnen kann.
Man muss fast vermuten, dass Maverick mit solch blödsinnigen Äußerungen die Freigabe beschleunigen wollte, weil er bei Yamaha zuerst im Schatten von Rossi stand und jetzt von Quartararo überstrahlt wurde. Jedenfalls redete sich der aktuelle WM-Sechste langsam um Kopf und Kragen.
Deshalb stimmten die Yamaha-Manager in Assen hastig einer Vertragsauflösung per Saisonende 2021 zu.
Viñales wurde dann sofort mit Aprilia Racing in Zusammenhang gebracht. Am Montag wurde der Ein-Jahres-Vertrag bestätigt.
Klar, Viñales hat in viereinhalb Jahren bei Yamaha einige Höhen und Tiefen erlebt. Die YZR-M1 war nicht immer der Gipfel der Konkurrenzfähigkeit. Dazu kam der Skandal mit den illegalen Ventilen 2020. Auch der High-Speed-Absprung vor der Kurve 1 wegen Bremsversagens in Spielberg 2020 war kein Honiglecken.
Aber für einen hochbezahlten Yamaha-Mitarbeiter ist es unverzeihlich, wenn er im GP der Steiermark vor zehn Tagen gewaltsam probiert, den 1000-ccm-Reihenmotor der M1 abzumurksen.
Viñales brachte das Triebwerk nach dem Re-Start immer wieder an den Drehzahlbegrenzer, fuhr im fünften Gang Vollgas über die Geraden statt im sechsten, dazwischen versuchte er auf den Geraden mutwillig den zweiten Gang bei Vollgas reinzudreschen.
Selbst bei der Rückkehr an die Box setzte er diese Zeremonie fort.
Zweimal Letzter innerhalb der letzten drei Grand Prix, Quartararo hingegen jeweils auf dem Podest, da drehte Viñales restlos durch.
«Man will sich gar nicht ausmalen, was passieren hätte können, wenn bei Viñales der Motor nach diesen Qualen explodiert und das Motoröl vor den folgenden Fahrern auf der Strecke versprüht worden wäre», grübelte ein hochrangiger Dorna-Funktionär.
Was war vorangegangen? Nach dem Abbruch (Crash von Dani Pedrosa und Lorenzo Savadori in Turn 3) verlangte Viñales von seiner Crew, sie sollte weder die Kupplung erneuern noch die Reifen. Sie hielt sich jedoch nicht an diese Anweisung, weil Viñales mit diesem System 2020 nach dem Neustart schlecht gefahren und zurückgefallen war.
Viñales war dann nervös und hektisch, weil die Crew seine Anweisungen ignoriert hatte. Er würgte vor lauter Aufregung am Startplatz den Motor ab – und musste dem Feld deswegen aus der Boxengasse nachhetzen. Er bildete wie auf dem Sachsenring das Schlusslicht, während Teamgefährte Fabio Quartararo wieder um einen Top-3-Platz kämpfte und seinen WM-Vorsprung auf Zarco auf 40 Punkte ausbaute. WM-Stand vor dem Österreich-GP: 1. Quartararo 172 Punkte. 6. Viñales 95.
Selbstkritik ist keine Stärke von Viñales, sonst hätte er sich nicht dauernd über alle möglichen Zulänglichkeiten beschwert. Obwohl er in viereinhalb Jahren im Yamaha-Werksteam acht GP-Siege gefeiert hat, Quartararo hingegen bei Yamaha sieben in zwölf Monaten.
Fabio Quartararo hat auf der Ducati-Strecke auf dem Red Bull-Ring für Yamaha 2019 und 2021 zwei Podestplätze errungen, Jorge Lorenzo einen im Jahr 2016. Viñales hat in fünf Jahren bei seinen sieben Rennen in Spielberg keinen einzigen Top-3-Platz eingeheimst.
«Das Unvermögen von Maverick gipfelte ja schon darin, dass er im Rennen vor einer Woche nicht einmal in der Lage war, einen Motor zu ruinieren», ätzte ein Kritiker.
Yamaha führte nach dem Steiermark-GP souverän in der Fahrer-WM, auch in der Team-WM und Konstrukteurs-WM lagen die Japaner an erster Stelle. Es winkte die erste Triple Crown seit 2015.
Und jetzt? Ducati hat die Führung in der Marken-WM übernommen, auch die Team-WM kann Monster Yamaha nicht gewinnen, wenn Cal Crutchlow dort für den Rest der Saison statt Vinãles einspringt.
Der Schaden, den Viñales bei Yamaha angerichtet hat, ist unermesslich.
Deshalb wird jetzt bis zum Wochenende beratschlagt, ob Viñales weiter suspendiert bleibt oder nicht.
Dieses blamable Zerwürfnis war der Gipfel der «bad news» für Yamaha und überstrahlt die beachtlichen Erfolge der letzten Tage, Wochen und Monate:
1. Franky Morbidelli verletzt und wegen der Knie-Operation mehr als zwei Monate außer Gefecht.
2. Karriere-Ende von Rossi per Saisonende 2021.
3. Petronas steigt beim SIC-Kundenteam nach drei Jahren als Hauptsponsor aus.
4. Suspendierung von Viñales.
5. Mühsame Fahrersuche bei Petronas-Yamaha für 2022.
6. Die Petronas-Yamaha-Fahrer-Wunschkandidaten Razgatlioglu, Marco Bezzecchi und Raúl Fernandez sagten alle ab.
7. Das vorstellbare Petronas-Yamaha-Fahrerduo 2022 für die MotoGP-WM mit Darryn Binder, Iker Lecuona oder Garrett Gerloff erinnert an das letzte Aufgebot.
Viñales: Erster, dann zweimal Letzter
Die Saison 2021 gestaltete sich für Viñales als wahre Achterbahnfahrt. Er siegte beim Auftakt auf dem Losail Circuit, dann wechselte er innerhalb von zwei Jahren zum dritten Mal den Crew-Chief, er heiratete und wurde erstmals Vater, er trödelte in Sachsen und in Spielberg vor einer Woche auf dem letzten Platz herum, zwischendurch löste er den Werksvertrag für 2022 auf.
Am vergangenen Samstag entschuldigte sich der Moto3-Weltmeister von 2013 für sein unprofessionelles Benehmen während des GP der Steiermark.
Nach Assen hatte sich Maverick auch schon bei den Fans entschuldigt und versprochen, an seiner Kommunikationsfähigkeit zu arbeiten. Sichtbare Erfolge dieser Bemühungen fehlen noch.
Irgendwann will man diesen ganzen Unsinn nicht mehr hören. Und da Viñales schon 2012 als Titelanwärter in der Moto3-WM einmal bei Blusens für ein Rennen (Sepang) Reißaus genommen hat, weil das Team und Honda ihn nicht zufriedenstellten, besteht wenig Hoffnung auf dauerhafte Besserung.
Man könnte jetzt zynisch behaupten, Aprilia habe zum Glück Erfahrung mit Wirrköpfen in der MotoGP. Andrea Iannone hat sich ja nicht zufällig den Künstlernamen «The Maniac» (der Wahnnsinnige, der Verrückte) ausgedacht.
Ich möchte festhalten, dass ich den zweifellos fahrerisch hoch begabten Maverick Viñales abseits vom Motorrad als liebenswürdige, sympathische Person kennengelernt habe.
Aber wer bei 6,5 Millionen Jahresgage mit seinem Arbeitgeber so umspringt, verdient kein Mitleid. Da kann man nur noch ungläubig den Kopf schütteln.
Die ganze Misere ging los, als Viñales nach der Saison 2019 seinen Vater Ángel wieder zurück in sein Umfeld holte und ihm gewisse Vollmachten gewährte.
Danach warf Viñales-Manager Paco Sanchez sofort den Krempel hin. Das war der Anfang vom Ende.