«Fast Freddie» Spencer und die alberne Penalty-Farce
Wer für das Verteilen der Strafen an die Fahrer zuständig ist, wird nie einen Beliebtheits-Wettbewerb gewinnen. Er könnte aber sehr wohl darauf hoffen, sich Respekt zu verdienen.
Leider Gottes scheint im Falle von Rennlegende Freddie Spencer selbst der Respekt verflogen. Einst wurde er «Fast Freddie» genannt, dank seines großartigen Talents auf einer Werks-Honda, mit der er auf atemberaubende Weise drei WM-Titel holte und diese bemerkenswerte Fähigkeit demonstrierte, auf kalten Reifen einfach zu enteilen. Nach der jüngsten Penalty-Vergabe an Fabio Quartararo tauften ihn aufgebrachte Internet-Nutzer bereits in «Farce Freddie» um.
Nun ja, das ist ein Fall vulgärer Entgleisung, typisch für die Internet-Trolls. Das schüttelt man am besten gleich wieder ab. Härter traf wohl die beißende Rüge der Yamaha Racing-Spitze, die dem FIM MotoGP Stewards Panel in einer öffentlichen Stellungnahme schwerwiegende Unbeständigkeit und mangelnde Fairness vorwarf. Zudem verurteilte Yamaha ein System, im dem die Entscheidungen des Panels keiner Erklärung oder Begründung bedürfen und keine weiteren Instanzen zulassen.
Sie handeln nach ihren eigenen Regeln.
Der Unmut hatte sich im Laufe einer Saison angestaut, in der es bereits viele Strafen gab, von denen einige eher willkürlich vergeben wurden, während es andere Male verpasst wurde, erwartete Penaltys zu verhängen. Das Fass lief am vergangenen Sonntagnachmittag gegen 15.30 Uhr über, fast zwei Stunden nach dem Ende des MotoGP-Rennens in Assen.
Es war der Moment, in dem die Stewards mitteilten, dass WM-Leader Fabio Quartararo für den nächsten Grand Prix in Silverstone am 7. August einen Long-Lap-Penalty aufgebrummt bekam, weil er «überambitioniert eine Berührung [mit Aleix Espargaró] verursacht hatte, was dessen Rennen schwerwiegend beeinflusste.»
Quartararo – der zu diesem Zeitpunkt an dritter Stelle lag, während der führende Pecco Bagnaia sich anschickte, dem Feld zu enteilen – hatte in der fünften Runde in der langsamen Haarnadel-Kurve 5 innen zum Manöver gegen Aleix Espargaró angesetzt, als er die Kontrolle über die Front verlor. Er kollidierte mit Espargaró und stürzte. Der Spanier blieb zwar auf seiner Aprilia sitzen, wurde aber ins Kiesbett gedrängt und fiel bis auf Rang 15 zurück. Nach einer heroischen Aufholjagd landete er am Ende des 26-Runden-Rennens noch auf Platz 4.
Ein Rennunfall? Es sah danach aus.
Es war mit Sicherheit ein weniger großer Schnitzer als der Fehler von Nakagami, der zwei Rennen zuvor beim Catalunya-GP von Startplatz 12 losgefahren und auf wenigen Metern bis auf Rang 4 vorgestoßen war, ehe er hart in die Bremse griff und – genauso wie Fabio – über die Front stürzte. Die Folgen waren schwerwiegender.
Abgesehen davon, dass sich der LCR-Honda-Pilot selbst verletzte, räumte er auch noch Titelkandidat Pecco Bagnaia ab, der aus der ersten Reihe gestartet war, und Alex Rins, der sich eine Handgelenksfraktur zuzog.
Beide Fahrer waren, milde gesagt, angefressen. Es war ein haarsträubender Fehler. «Taka» war zu schnell und zu spät dran, im kurz nach dem Start dicht gedrängten Feld, und zerstörte ihr Rennen.
Wenn in diesem Fall keine Strafe ausgesprochen wird, wann dann?
Die Stewards sahen es anders. Es war nur ein «Rennunfall». Eine Sanktion also nicht erforderlich.
Und was die Rechtfertigung für diese eigenwillige Sichtweise angeht… Nun ja, das ist nicht Teil ihrer Arbeit.
Wenn dieses Vorgehen schon unerklärlich war, dann ist noch viel unverständlicher, warum Fabios Ausrutscher in Assen auf eine andere Weise beurteilt wurde.
Ich schaute mir beide Vorfälle mehrmals an – zugegeben ohne all die Kameraeinstellungen, die den Stewards zur Verfügung stehen – und mir fällt es wirklich schwer, es nicht zutiefst widersprüchlich und in der Folge auch unfair zu sehen.
Es gab in diesem Jahr auch andere Beispiele – unbestrafte Zwischenfälle genauso wie kleinere Vergehen, die sanktioniert wurden. Jack Miller etwa bekam zweimal einen Long-Lap-Penalty auferlegt.
Yamaha-Rennchef Lin Jarvis hütete sich vor persönlichen Angriffen und drückte lediglich seine «Enttäuschung» über die Ungleichheit aus. Diese mangelnde Beständigkeit in den Entscheidungen würde «die Fairness in der MotoGP und das Vertrauen in die Stewards» zerstören. Mindestens drei schwerwiegendere Zwischenfälle, die Ausfälle und Verletzungen zur Folge hatten, wurden 2022 «ungestraft gelassen».
All das, ohne die Chance auf eine Überprüfung oder einen Rekurs. Denn seltsamerweise ist diese Art von Penalty laut Regelwerk nicht anfechtbar.
Jarvis prüfte daraufhin, ob die Angelegenheit nicht in höherer Instanz behandelt werden könnte. «Wir wollten das Thema grundsätzlich beim CAS (Court of Arbitration of Sport) zur Sprache bringen», ließ er schriftlich mitteilten. Aber diesen Weg versperrte dieselbe skurrile Regelung, die diese Art von Entscheidung unantastbar macht.
«Exakt aus diesem Grund sollten die Stewards korrekte, ausgewogenen und konstante Entscheidungen treffen», schloss Jarvis.
Quartararo seinerseits meldete sich über die sozialen Netzwerke zu Wort: «Glückwunsch an die Stewards für den großartigen Job. Beim nächsten Mal werde ich nicht mehr versuchen zu überholen, sondern daran denken, keinen Penalty zu bekommen.»
Hört, hört.
Es macht keinen Spaß mitanzusehen, wie das Ansehen einer Rennfahrer-Legende beschädigt wird – auch wenn Freddie in diesem Fall gewusst haben muss, was ihn erwarten würde.
Ich werde aber nie müde werden, die Leser an die Ironie des Schicksals zu erinnern, die er selbst zweifellos am liebsten vergessen würde… Wären Freddie Spencer und seine Kollegen im FIM MotoGP Stewards Panel auch schon 1983 im Einsatz gewesen, wäre er nicht Weltmeister geworden. Denn seine Attacke gegen Kenny Roberts in der letzten Runde des Schweden-GP, die Kenny zum unschuldigen Opfer machte, würde heute wegen Überschreiten der «track limits» bestraft werden. Durch eine Rückversetzung auf Platz 2 hätte Spencer den Titel gegen den Yamaha-Star um einen Punkt verloren. So gewann er ihn mit 144 zu 142 Punkten.