Pirro: Ducati hätte den Titel schon 2017 holen können
Neben dem Titel des Italienischen Superbike-Champions, den er auf der Strecke gewann, darf Michele Pirro als Ducati-Testfahrer von sich behaupten, in der vergangenen Saison auch an den Titelgewinnen von Pecco Bagnaia und Álvaro Bautista in der MotoGP- und Superbike-WM beteiligt gewesen zu sein. Ein beachtlicher Lebenslauf, in dem nach dieser Saison auch der erste MotoE-Titel stehen wird. Denn der Hersteller aus Borgo Panigale lieferte erstmals die Einheits-Bikes für die Elektro-Serie und Pirro ist auch auf der V21L als Tester im Einsatz.
«Man kann sagen, dass wir es nach vielen Jahren geschafft haben, in der MotoGP- und Superbike-WM zu gewinnen. Ich bin sehr glücklich, denn als ich Ende 2012 zu Ducati gekommen bin, hätte ich theoretisch nur ein Jahr Testfahrer sein sollen. Ich hatte bei Ducati unterschrieben, um Rennen zu fahren, aber dann ist Gigi Dall’Igna gekommen und alles hat sich verändert», erinnert sich Pirro im Gespräch mit SPEEDWEEK.com.
«Als Rennfahrer wurmt es mich, dass ich nie die Chance bekommen habe, eine komplette WM-Saison zu bestreiten, aber ich bin zufrieden, weil ich glaube, dass ich viel dazu beigetragen habe, Ducati auf diesen Top-Level zu bringen und mit vielen verschiedenen Piloten in der Superbike-WM und der MotoGP zu gewinnen.»
«Das war wichtig für mich, weil ich gekommen bin, nachdem Valentino Rossi gescheitert war. Es hieß damals: ‚Mit diesem Motorrad kann nur Stoner schnell sein.‘ Ich war immer der Meinung, dass ich ein normaler Fahrer bin, der wie Valentino und viele andere Fahrer das Gefühl zur Front braucht. Ich habe hart daran gearbeitet, um den Ingenieuren das zu vermitteln, was der Fahrer fühlt. Und das hat dazu geführt, dass das Motorrad immer besser wurde», schilderte Pirro.
«Die Ingenieure suchen die Antworten immer in den Linien, die sie auf dem Computerbildschirm ablesen, aber auf dem Motorrad sitzen Fahrer», fuhr Pirro fort. «Das war zu Beginn schwierig, weil es ihnen nur um die Zahlen ging, aber es war wichtig, sie dazu zu bringen, auch über das nachzudenken, was die Fahrer sagen. Das hat dazu geführt, dass immer besser gearbeitet wurde. Ich für meinen Teil habe immer versucht, mein Bestes zu geben. Und ich hatte dabei die Möglichkeit, mit großartigen Fahrern zu arbeiten – wie Dovizioso, Lorenzo, Casey, mit dem ich sechs Monate gearbeitet habe, Iannone…»
Einige Ingenieure glauben aber, dass ein Fahrer einfach ein weiterer Sensor am Motorrad ist. «Zu Beginn war es schwierig, mein Feeling zu vermitteln», bestätigte der 36-jährige Italiener. «Denn ich fahre eine Kurve zum Beispiel mit 100 km/h an, dann steigt ein anderer auf dasselbe Bike und schafft es nicht. Das einem Ingenieur zu erklären, ist nicht einfach. Sie sehen die Mathematik, aber sie sitzen auf einem Stuhl vor einem Computer. Es war schwierig, gegen die Zahlen am Computer anzukommen. Mit der Zeit habe ich aber ihr Vertrauen gewonnen und sie haben mir Glauben geschenkt.»
«Ich glaube, der große Unterschied war, dass wir die Herangehensweise verändert haben. Der Testfahrer war vorher ein Ex-Fahrer, der zwei oder drei Sekunden langsamer als die GP-Piloten war. Als ich zu Ducati gekommen bin, wollte ich Rennen fahren, also war ich bei jedem Test Feuer und Flamme, ich war schnell wie ein Rennfahrer. Wenn also etwas, das ich getestet hatte, zu den Grand Prix gebracht wurde, hat es für sie funktioniert. Und als ich selbst einen Grand Prix gefahren bin, war ich bei den anderen dabei. Das hat dazu geführt, dass sie mir das Vertrauen geschenkt haben.»
«Vor drei oder vier Jahren haben andere Hersteller begonnen, sich die Dienste von schnellen Testfahrern zu sichern. Das System hat sich ein wenig verändert. Ich glaube, das war ein bisschen die Wende, die Ducati herbeigeführt hat, weil wir nicht die Ressourcen von Honda und Yamaha hatten.»
«Man hat versucht, Jorge Lorenzo zu verpflichten, einen Fahrer, der den Unterschied machen sollte, aber er hatte Probleme. Danach hat man in die Jungen investiert – und es hat funktioniert», fasste Pirro zusammen.
Tatsächlich erlöste Pecco Bagnaia im Vorjahr Ducati mit dem zweiten Fahrertitel in der «premier class», ganze 15 Jahre nach Casey Stoner.
Hätte Ducati die WM-Krone nicht früher holen müssen? «Ich glaube, wir hätten 2017 mit Dovi gewinnen können. Wenn er auf Phillip Island ein bisschen besser abgeschnitten hätte, hätte er in dem Jahr gewinnen können. Aber die Weltmeisterschaft, die mir am meisten ‚wehtut‘, ist 2020, als Mir gewonnen hat. Auch 2021... Wenn Pecco in Misano nicht gestürzt wäre, hätte sich die Situation verändert.»
«Ich glaube, dass wir – neben der vergangenen Saison – noch zwei weitere Titel hätten gewinnen können», hielt der Ducati-Testfahrer fest. «In dem Jahr mit Dovi lag es vielleicht daran, dass er selbst nicht geglaubt hat, dass es möglich war. Es hätte gereicht, zwei Rennen etwas besser zu beenden, und das Endergebnis wäre anders ausgefallen. Das 2017er-Bike war dem Rest überlegen. Das Motorrad, das wir seit 2017 haben, ist das kompletteste, aber wenn du stürzt, wenn du Fehler machst... Und dann war da noch Marc Márquez.»
Die Erfolge des Ducati-MotoGP-Werksteams seit 2003
2003: Neun Podestplätze (1x Sieg, 2x zweiter Platz, 6x dritter Platz)
Loris Capirossi WM-Rang 4 mit 177 Punkten
Troy Bayliss WM-Rang 6 mit 128 Punkten
2004: Zwei Podestplätze (2x dritter Platz)
Loris Capirossi WM-Rang 9 mit 117 Punkten
Troy Bayliss WM-Rang 14 mit 71 Punkten
2005: Vier Podestplätze (2x Sieg, 1x zweiter Platz, 1x dritter Platz)
Loris Capirossi WM-Rang 6 mit 157 Punkten
Carlos Checa WM-Rang 9 mit 138 Punkten
2006: Neun Podestplätze (4x Sieg: Troy Bayliss siegte als Ersatzfahrer in Valencia, 4x
zweiter Platz, 1x dritter Platz)
Loris Capirossi WM-Rang 3 mit 229 Punkten
Sete Gibernau WM-Rang 13 mit 95 Punkten
2007: 18 Podestplätze (11x Sieg, 4x zweiter Platz, 3x dritter Platz)
Casey Stoner Weltmeister mit 367 Punkten
Loris Capirossi WM-Rang 7 mit 166 Punkten
2008: Elf Podestplätze (6x Sieg, 3x zweiter Platz, 2x dritter Platz)
Casey Stoner WM-Rang 2 mit 280 Punkten
Marco Melandri WM-Rang 17 mit 51 Punkten
2009: Neun Podestplätze (4x Sieg, 1x zweiter Platz, 4x dritter Platz)
Casey Stoner WM-Rang 4 mit 220 Punkten
Nicky Hayden WM-Rang 13 mit 104 Punkten
2010: Zehn Podestplätze (3x Sieg, 2x zweiter Platz, 5x dritter Platz)
Casey Stoner WM-Rang 4 mit 225 Punkten
Nicky Hayden WM-Rang 7 mit 163 Punkten
2011: Zwei Podestplätze (2x dritter Platz)
Valentino Rossi WM-Rang 7 mit 139 Punkten
Nicky Hayden WM-Rang 8 mit 132 Punkten
2012: Zwei Podestplätze (2x zweiter Platz)
Valentino Rossi WM-Rang 6 mit 163 Punkten
Nicky Hayden WM-Rang 9 mit 122 Punkten
2013: Kein Podestplatz
Andrea Dovizioso WM-Rang 8 mit 140 Punkten
Nicky Hayden WM-Rang 9 mit 126 Punkten
2014: Drei Podestplätze (1x zweiter Platz, 2x dritter Platz)
Andrea Dovizioso WM-Rang 5 mit 187 Punkten
Cal Crutchlow WM-Rang 13 mit 74 Punkten
2015: Neun Podestplätze (5x zweiter Platz, 4x dritter Platz)
Andrea Iannone WM-Rang 5 mit 188 Punkten
Andrea Dovizioso WM-Rang 7 mit 162 Punkten
2016: Zehn Podestplätze (2x erster Platz, 3x zweiter Platz, 5x dritter Platz)
Andrea Dovizioso WM-Rang 5 mit 171 Punkten
Andrea Iannone WM-Rang 9 mit 112 Punkten
2017: 15 Podestplätze (6x erster Platz, 4x zweiter Platz, 5x dritter Platz)
Andrea Dovizioso WM-Rang 2 mit 261 Punkten
Jorge Lorenzo WM-Rang 7 mit 137 Punkten
2018: 13 Podestplätze (7x erster Platz, 4x zweiter Platz, 2x dritter Platz)
Andrea Dovizioso WM-Rang 2 mit 245 Punkten
Jorge Lorenzo WM-Rang 9 mit 134 Punkten
2019: 12 Podestplätze (3x erster Platz, 3x zweiter Platz, 6x dritter Platz)
Andrea Dovizioso WM-Rang 2 mit 269 Punkten
Danilo Petrucci WM-Rang 6 mit 176 Punkten
2020: Drei Podestplätze (2x erster Platz, 1x dritter Platz)
Andrea Dovizioso WM-Rang 4 mit 135 Punkten
Danilo Petrucci WM-Rang 12 mit 78 Punkten
2021: 14 Podestplätze (6x erster Platz, 3x zweiter Platz, 5x dritter Platz)
Francesco Bagnaia WM-Rang 2 mit 252 Punkten
Jack Miller WM-Rang 4 mit 181 Punkten
2022: 17 Podestplätze (8x erster Platz, 3x zweiter Platz, 6x dritter Platz)
Francesco Bagnaia Weltmeister mit 265 Punkten
Jack Miller WM-Rang 5 mit 189 Punkten