Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

Wird Alex Márquez zum Sargnagel für die HRC-Manager?

Von Günther Wiesinger
Weil die HRC-Manager den Abgang von Marc Márquez per Saisonende fürchten, agieren sie wie ein Panikorchester. Doch bisher hat sich an der Performance nichts verändert.

Wenn der größte Motorradhersteller der Welt in der prestigeträchtigsten globalen Motorradrennserie drei Jahre in der Konstrukteurs-WM den letzten Platz belegt, bei einzelnen Rennen gar nicht punktet, ein ganzes Jahr lang bei 20 Rennen nie gewinnt, total nur zwei Podestplätze erobert und in der Fahrer-WM auf die Ränge 13 (Marc Márquez), 16 (Pol Espargaró), 17 (Alex Márquez) und 18 (Taka Nakagami) abdriftet, ist Feuer am Dach. «Es herrscht Panik», war zuletzt über die HRC-MotoGP-Truppe zu hören.

Kein Wunder: Denn Marc Márquez ist beim letzten Test vor der Saison auf Platz 14 gelandet, er rechnet bei den ersten Rennen bestenfalls mit Plätzen zwischen 5 und 10.

Alle kühnen Versprechungen der HRC-Manager bezüglich Material-Verbesserungen haben sich bisher als leere Phrasen erwiesen.

Jetzt folgt der nächste Schritt: Kalex engineering, ein Acht-Mann-Betrieb in der deutschen Provinz, hat den Auftrag zum Design und Bau von Alu-Chassis für die Honda RC213V erhalten. Die ersten Exemplare könnte Stefan Bradl beim Jerez-GP (28. bis 30. April) als Wildcard-Pilot einsetzen. Die restlichen Honda-Fahrer (Marc Márquez, Mir, Rins und Nakagami) könnten beim Montag-Test in Jerez am 1. Mai damit fahren. Die Schwingen stammen bereits seit September von Kalex. 

Man kann sich vorstellen: Bei Kalex in Bobingen wird momentan täglich bis spät in die Nacht gearbeitet. Denn es müssen allein 40 Rolling-Chassis für die Moto2-WM hergestellt werden. Nur zwei Moto2-Teams fahren nicht mit Kalex: Speed-up und Forward.

Kalex-Geschäftsführer Alex Baumgärtel legt übrigens Wert darauf, als Motorradhersteller bezeichnet zu werden; er will nicht als Chassis-Lieferant abgestempelt werden. «Denn wir liefern den Teams alles bis auf den Motor. Und es gibt einige namhafte Motorradhersteller, die einen Teil der Motoren bei Mitbewerbern oder Partnern einkaufen.»

Außerdem: Im Juni 2015 überlegte der Kalex-Chef im Interview mit SPEEDWEEK.com sogar, sich künftig bei der Dorna für die Herstellung der Moto2-Einheitsmotoren zu bewerben.

Bisher baute TSR die Honda-MotoGP-Chassis

Viele Kontrahenten bezeichnen den Deal von HRC mit Kalex als «unglaublich», denn die stolzen Japaner kostet es viel Überwindung, Know-how aus Europa einzukaufen.

Dabei ist die gesamte Zweitakt-Technologie von MZ schon in den  frühen 1960er-Jahren in einer Nacht- und Nebel-Aktion vom ostdeutschen MZ-125-Werksfahrer Ernst Degner an Suzuki verhökert worden.

Außerdem: Auch Ducati hat nach 2012 die MotoGP-Alu-Chassis auch drei Jahre lang bei Suter Technology in Turbenthal/CH herstellen lassen.

Aber Ducati hatte damals nach jahrelanger Verwendung von Stahlrahmen und Karbon-Monocoques wenig Know-how bei der Entwicklung von Deltabox-Alu-Rahmen. Dazu verkaufte Ducati damals 40.000 Motorräder; Honda setzt 17 Millionen Stück ab.

Doch auch die bisherigen MotoGP-Chassis von Honda wurden nicht «in-House» gebaut, sondern bei der Zulieferfirma TSR in Suzuka, die für HRC (in Saitama daheim) auch in der Langstrecken-WM ein Team betreibt und in der WM jahrelang Moto2-Fahrwerke einsetzte, zum Beispiel beim JiR-Team von Luca Montiron.

Die Firma TSR hatte immer eine besondere Nähe zu Honda und der Research & Development-Abteilung (R&D) von HRC, weil der Vater von TSR-Firmenchef Masahiko Fujii mit Firmengründer Soichiro Honda eng befreundet war.

HRC: Wann begann der Abstieg?

Langjährige Beobachter der Szene sind der Meinung, der Niedergang von HRC habe mit dem Erscheinen von Shuhei Nakamoto begonnen, der aus der Formel 1 kam und von dort Tetsuhiro Kuwata mitbrachte. Kuwata trat der Honda Racing Corporation 2011 als «Chief Engineer of Technology Development Division» bei.

Der Japaner begann seine Tätigkeit für Honda Motor im Jahr 2000; er kümmerte sich im Automobile R&D Centre um das Formel-1-Projekt, als Engine Development Engineer und Test Team Lead Engineer. In der MotoGP-Fraktion landete er 2010 als Control Strategy Development Engineer, ehe er 2016 zum HRC-Direktor befördert wurde und fortan als General Manager der «Race Operations Management Division» weltweit alle HRC-Rennaktivitäten überwachte.

Nakamoto wurde Ende 2016 in Pension geschickt. Unter Kuwata wurden nicht zuletzt dank des Fahrgenies Marc Márquez von 2013 bis 2019 in sieben Jahren sechs MotoGP-Weltmeisterschaften gewonnen.

Aber seit drei Jahren hat HRC-Direktor Kuwata kein Rezept gegen die Überlegenheit der Kontrahenten Ducati, Yamaha, Aprilia und KTM gefunden. Es wurde außerdem jahrelang verabsäumt, neben Marc Márquez einen neuen, jungen Siegfahrer aufzubauen, was allen anderen Mittbewerbern zweifellos gelang. Man denke nur an Joan Mir (Suzuki), Fabio Quartararo (Yamaha), Pecco Bagnaia und Enea Bastianini sowie Jorge Martin (Ducati), Aleix Espargaró (Aprilia), an Miguel Oliveira und Brad Binder (KTM).

Man muss kein Prophet sein, um Honda auch für 2023 ein Scheitern bei der Titeljagd vorauszusagen.

Es herrscht bei HRC inzwischen ein Betriebsklima, das dauerhaft kaum Spitzenleistungen zulässt, schon gar nicht mit zweitklassigem Material.

Allen Honda-Fans, die bei Yamaha ähnliche Auflösungserscheinungen orten, sei in Erinnerung gerufen: Yamaha hat in den letzten drei Jahren in der Fahrer-WM die Ränge 2, 1 und 2 erreicht und in der Konstrukteurs-WM dreimal in Serie den zweiten Platz erobert. Dazu kommen die Plätze 2 in der Team-WM 2020 (mit Petronas-Yamaha) und 2020 (mit Monster Yamaha).

Den Vergleich zwischen Honda und Yamaha in der Superbike-WM ersparen wir uns lieber. Die HRC-Bilanz hat in der SBK längst makabre Ausmaße angenommen.

«Niederfallen ist keine Schande, liegenbleiben aber schon», hat Winston Churchill gesagt.

Nach drei mageren Jahren wäre es höchste Zeit, dass der Slogan «Honda enters, Honda wins» wieder Gültigkeit bekommt.

Aber wenn man einen Blick auf die Gegenwart wirft, bekommt man den Eindruck: Der Tausch Takeo Yokoyama gegen Ken Kawauchi und alle anderen bisher getroffenen Maßnahmen zeigen in der MotoGP-Performance null Wirkung.

Wir wissen: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Es werden also bei HRC bald noch mehr Köpfe rollen, bevor es Marc Márquez endgültig zu dumm wird.

«Wenn Alex Márquez auf der Gresini-Ducati GP22 weiter zehn Plätze vor seinen Bruder fährt, wird er HRC zerstören», vermutet ein Insider.

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