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Die wankenden MotoGP-Giganten brauchen Hilfe

Kolumne von Michael Scott
Fabio Quartararo und der hinter im stürzende Marc Márquez haben keinen leichten Stand

Fabio Quartararo und der hinter im stürzende Marc Márquez haben keinen leichten Stand

Während die europäischen Hersteller die MotoGP-WM dominieren, haben Yamaha und vor allem Honda große Mühe. Kolumnist Michael Scott geht der Frage nach, warum und wie den Japanern unter die Arme gegriffen werden sollte.

Wie sind die Helden gefallen. Das ist die einzig mögliche Interpretation der Nachricht, dass die Dorna darüber nachdenkt, Honda und Yamaha Zugeständnisse zu machen. Diese «concessions» sind nichts anderes als Ausnahmen der Regeln, die schwächeren Mittbewerbern eine Chance geben sollen, ihren Rückstand wettzumachen. Und die «Schwächeren» sind nun die langjährigen Motorrad-Grand-Prix-Giganten, die aktuell von den europäischen Herstellern und besonders Ducati eine ordentliche Abreibung verpasst bekommen.

Das riecht nach Verzweiflung, auf beiden Seiten. Nicht nur die Hersteller kommen ins Wanken, sondern auch die Dorna – potenziell zumindest. Die Regeln, die darauf ausgerichtet waren, den Level anzugleichen und die einst dominierenden Werksteam einzubremsen, um neue Marken anzulocken, sind über das Ziel hinausgeschossen.

Es besteht die Befürchtung, dass das taumelnde japanische Duo das Interesse verlieren und dem Beispiel von Suzuki folgen könnte – in Richtung MotoGP-Versenkung. Übrigbleiben würde eine Art Markenpokal, mit Ducati so weit das Auge reicht – eine andere Art der MotoGP-Versenkung.

Droht der MotoGP eine rein europäische Beteiligung?

Unwahrscheinlich? Nicht unbedingt. Die zwei japanischen Rennsportgiganten haben wahrlich zu kämpfen, was hauptsächlich auf den vor rund 20 Jahren eingeschlagenen Weg hin zu mehr Ausgeglichenheit zurückzuführen ist. Damals ließ die Dorna die Peitsche schwingen und drohte, den Prototypen-GP-Sport ganz zu beenden. Die Gefahr, auf seriennahen Rennsport umzusteigen, wurde durch die Einführung der ungeliebten CRT-Bikes mit den 1000-ccm-Superbike-Motoren untermauert.

Das ließ die Hersteller (wenn nicht sogar die Fans) aufhorchen, die daraufhin bereit waren, ein Crescendo an kostensenkenden «Dumbing down»-Regeln zu akzeptieren. Diese bewusste Vereinfachung, angefangen bei begrenztem Treibstoff und vorgeschriebenen Reifen, machte mit ihren zunehmend restriktiveren Vorgaben die Vorteile der Werksteams und verhältnismäßig überlegenen Budgets zunichte.

Jahr für Jahr wurde dieses Vorgehen weiter vorangetrieben: Auf die einheitliche Elektronik-Hardware folgte die vorgeschriebene Software, dann wurden die maximale Motorenanzahl pro Fahrer und Saison festgegelegt. Die Motorenentwicklung während der Saison ist eingefroren, die Triebwerke werden vor dem ersten Rennen verplombt. Später wurde auch nur noch ein Aero-Body-Update pro Saison erlaubt.

Von diesen Kostensenkungen profitierten die Independent Teams, während die technischen Limitierungen neue Werken anlockten – insbesondere Aprilia und KTM, aber nicht Kawasaki. Am wichtigsten aber war, dass diese Neueinsteiger dank des «concession»-Systems die schlimmsten Einschränkungen umgehen durften. Das gab ihnen die Chance, auf Honda und Yamaha aufzuschließen. Jetzt aber sind es die wankenden Giganten, die Hilfe brauchen, um wieder an Boden gutzumachen.

Erhebliche Vorteile für «concession teams»

Die Zugeständnisse bestanden aus mehreren Elementen. Auf sportlicher Seite genossen die «concession teams» absolute Testfreiheit, während den Werksteams und vor allem ihren Werksfahrern nur eine sehr begrenzte Anzahl an Tests erlaubt war.

Die technischen Privilegien waren von noch größerer Bedeutung. Vor allem war die Entwicklung der Motoren auch während der Saison frei. Während die etablierten Hersteller mit etwaigen Konstruktionsfehlern, die im Winter unterlaufen waren, leben mussten, konnten die «concession teams» so lange herumspielen, wie sie wollten. Dafür standen ihnen auch mehr Triebwerke pro Fahrer und Saison zur Verfügung.

Der «concession»-Status war so lange garantiert, bis ein gewisser Erfolgslevel erreicht wurde – gemessen in Form von «concession points», die mit Podestplätzen gesammelt werden.

Alle drei europäischen Marken – Ducati, Aprilia und KTM – profitierten von diesen zusätzlichen Freiheiten. Genauso erlangte Suzuki die Zugeständnisse wieder, nachdem sie sich technisch verirrt hatten.

Honda und Yamaha in der Sackgasse

Honda rutschte langsam, aber sicher tiefer ins Elend, seit sich Marc Márquez 2020 verletzt hat. Tatsächlich hatte diese Abwärtsspirale aber schon vorher begonnen – dank eines Fahrers, dessen Voltigier-Kunst Fehler in der Entwicklung übertünchte und sogar ein gewisses Maß an Selbstgefälligkeit förderte, das auf sie zurückfiel – und auf den Fahrer, dessen Siegeswillen zwar ungebrochen ist. Als einziger Trumpf blieben ihm aber ultra-riskante harte Bremsmanöver, die zu einer wahren Sturzserie führten.

Yamahas Niedergang verlief unauffälliger – dank ihres eigenen genialen Fahrers, Fabio Quartararo, der den Kurvenspeed eines ansonsten zunehmend deklassierten Motorrads für sich nutzte und sich 2021 zum Weltmeister kürte.

Die Anzeichen waren aber schon da: Die anderen Yamaha-Piloten hatten sichtlich Mühe, Fabios Ergebnisse zu erreichen, während die Konkurrenz ihre Bikes stetig verbesserte. Und jetzt ist «El Diablo» – genau wie Marc – dazu verdonnert, das Motorrad für eine unterdurchschnittliche Performance zu überfahren.

Wäre Hondas Schwachpunkt offensichtlich, wäre er auch leicht zu beheben. Ein Problem und vielleicht auch die Ursache der Misere liegt in der heftigen Reaktion beim ersten Aufdrehen des Gasgriffs, die das Bike instabil macht. Das könnte womöglich mit mehr Kurbelwellen-Schwungmasse entschärft werden, was gleichzeitig erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Aspekte des Handlings hätte.

Anders gesagt: Dürfte Honda mit der Motorenentwicklung experimentieren, könnten sie im schlimmsten Fall einen potenziellen Problembereich ausschließen oder im besten Fall ihr Problem sogar lösen – und Marc Márquez und seine angeschlagenen Markenkollegen vor weiteren Verletzungen bewahren.

Yamaha leidet unter einem generellen Mangel an Drehmoment und Leistung, der neue Motor brachte nicht den erhofften Vorteil. Die Entwicklung aber ist eingefroren, deshalb haben ihre zwei glücklosen Fahrer (zwei, weil das Kundenteam zu Aprilia übergelaufen ist) ebenfalls zu kämpfen.

Für beide Werke könnte die Möglichkeit, am Motor zu arbeiten, einen großen Unterschied machen. Hoffentlich. Denn es wäre nicht das erste Mal, dass Honda, die erfolgreichste Marke der seit 1949 bestehenden Weltmeisterschaft, sich zurückziehen würde. GP-Rennsport ohne Yamaha dagegen ist seit den 1970er-Jahren undenkbar.

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