Toto Wolff (Mercedes): Formel 1 reizvoller als MotoGP
Der einst erfolgsverwöhnte Mercedes-F1-Teamprinzipal Toto Wolff hat kürzlich bei vielen Motorsportfans für Kopfschütteln gesorgt. Der Wiener, ausser in Spielberg 2021 noch nie als Gast bei einem MotoGP-Event aufgefallen und eventuell etwas frustriert, weil seine Fahrer Lewis Hamilton und George Russell in diesem Jahr auch nach zwölf Grand Prix noch sieglos sind, kritisierte in einem Interview mit der «Tiroler Tageszeitung» die Geschehnisse in der MotoGP-WM, vielleicht um ein bisschen von den eigenen schwachen Ergebnissen abzulenken.
Wolff hält das MotoGP-Konzept mit 21 Sprint Races in der Saison 2023 für nicht besonders sinnvoll und lobt die Formel-1-Methode, die 2022 drei Sprint-GP vorsah und in diesem Jahr sechs.
«Ich kann da nur für mich sprechen, aber ich halte sehr viel von Traditionen. Man weiß dann immer, am Sonntag wird um 15 Uhr gestartet. Wenn der Grand Prix in Asien steigt, muss man früh aufstehen, wenn der in den USA abgehalten wird, dann später. Ich verfolge die MotoGP und mag sie wirklich gerne, aber ich kapiere da vieles nicht mehr. Am Samstag jammert der Fahrer, am Sonntag ist er aber wieder glücklich. Du kommst da nicht mehr mit. Das taugt mir überhaupt nicht. Die MotoGP zeigt gerade, wie man es nicht macht.»
Naja, man kann das Geschehen auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
Denn Spannung, Spektakel, Rad-an-Rad-Kämpfe und Abwechslung bilden wichtige Bestandteile im Motorsport-Business. Und während zum Beispiel 2020 bei 14 MotoGP-Events neun unterschiedliche Sieger hervorgebracht wurden, haben wir in der Formel 1 im letzten Jahrzehnt viele dominante Phasen und Seriensiege eines einzelnen Herstellers erlebt.
Während zuletzt am 25. Juni 2023 in Assen beim MotoGP-Rennen am Sonntag die ersten fünf Fahrer nur durch 1,9 Sekunden getrennt wurden, siegte Max Verstappen gestern in Belgien vom sechsten Startplatz mit 22,305 Sekunden Vorsprung vor seinem Teamkollegen Sergio Perez. Eine Woche vorher in Ungarn gewann Weltmeister Max Verstappen mit 33,731 Sekunden Vorsprung auf Lando Norris (McLaren). Er ist auf dem Weg zum dritten WM-Titel hintereinander kaum zu stoppen.
In der MotoGP gab es seit 2019 mit Marc Márquez (Honda), 2020 mit Joan Mir (Suzuki), 2021 mit Fabio Quartararo (Yamaha) und Pecco Bagnaia (Ducati) hingegen vier unterschiedliche Titelgewinner auf vier verschiedenen Fabrikaten.
Kein Wunder, wenn zuletzt die Grand Prix auf dem Sachsenring und Assen ausverkauft waren und auch in Jerez und Le Mans die Zuschauerrekorde purzelten.
Noch ein Detail zum Belgien-F1-GP: Lewis Hamilton brachte den besten Mercedes mit 49,671 sec Rückstand ins Ziel, Teamkollege George Russell büsste 63,101 sec ein.
Merke: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Seit Beginn der Turbohybrid-Ära in der Formel 1 im Jahr 2014 sind 194 WM-Läufe ausgetragen worden. In Klammern haben wir vermerkt, wie viele unterschiedliche Fahrer in jeder Saison gewonnen haben.
2014: 19 WM-Läufe (3 unterschiedliche Sieger)
2015: 19 (3)
2016: 21 (4)
2017: 20 (5)
2018: 21 (5)
2019: 21 (5)
2020: 17 (5)
2021: 22 (6)
2022: 22 (5)
2023: 12 (2)
In dieser Zeitspanne hat Mercedes 112 GP-Rennen gewonnen, Red Bull Racing 57. Also zusammen 169 von 194.
Ferrari kam auf 21 Siege, AlphaTauri auf 1, McLaren auf 1, Racing Point (heute Aston Martin) auf 1, Alpine auf 1.
Im erfolgreichsten Jahr von Mercedes (2016) siegten die Silberpfeile bei 19 von 21 Grand Prix gewonnen (90,48 %).
Im erfolgreichsten Jahr von Red Bull Racing (2022) hat das rot-weiß-rote Team 17 von 22 Rennen für sich entschieden (77,27 %).
Beim MotoGP-Event in Assen landeten vor fünf Wochen übrigens drei verschiedene Fabrikate auf den ersten fünf Plätzen: Bagnaia siegte vor Bezzecchi (beide Ducati); Aleix Espargaró (Aprilia) landete auf Patz 3 vor Brad Binder (KTM) und Jorge Martin (Ducati). Mit Nakagami (8./Honda), Morbidelli (9./Yamaha) und Augusto Fernández (10./GASGAS) brausten alle drei weiteren Hersteller unter die Top-Ten.
Carlos Ezpeleta, Chief Sporting Officer der Dorna, Inhaber der kommerziellen MotoGP-Rechte, verteidigte im Gespräch mit SPEEDWEEK.com das Konzept der Formel 1 auf zwei Rädern.
«Jeder hat seine eigene Meinung», stellte Carlos Ezpeleta fest. «Ich stimme zu, dass es sehr wichtig ist, die grundlegenden Bestandteile des Sports möglichst einfach und leicht verständlich zu halten. Das war einer der Beweggründe, warum wir uns für dieses neue MotoGP-Format entschieden haben. Der Zeitplan sieht bei allen Events identisch aus, das Qualifying gilt für beide Rennen. Der Sprint geht über die halbe Distanz und deshalb werden nur die halben Punkte verteilt, also zwölf für den Sieger und so weiter bis Platz 9.»
In der Formel 1 sieht der Zeitplan und das Programm unterschiedlich aus, je nachdem, ob der Grand Prix ein Sprint Race beinhaltet oder nicht. Die F1-Sprints 2023 fanden übrigens in Baku, Spielberg und Spa-Francorchamps statt.
«In der Formel 1 qualifiziert man sich am Freitag für den Sonntag, am Samstag qualifizierst du dich für den Samstag, du bekommst einen Punkt für die schnellste Rennrunde und so weiter. Keiner kann behaupten, das sei leichter zu verstehen als das MotoGP-Konzept», entgegnete Dorna-Sportdirektor Ezpeleta.
MotoGP-Ergebnisse, Assen (25. Juni):
1. Bagnaia, Ducati, 26 Rdn in 40:37,640 min
2. Bezzecchi, Ducati, + 1,223 sec
3. Aleix Espargaró, Aprilia, + 1,925
4. Brad Binder*, KTM, + 1,528
5. Martin, Ducati, + 1,934
6. Alex Márquez, Ducati, + 12,437
7. Marini, Ducati, + 14,174
8. Nakagami, Honda, + 14,616
9. Morbidelli, Yamaha, + 29,335
10. Augusto Fernández, KTM, + 33,763
11. Savadori, Aprilia, + 35,084
12. Raúl Fernández, Aprilia, + 39,622
13. Bradl, Honda, + 42,504
14. Folger, KTM, + 45,609
– Di Giannantonio, Ducati, 8 Runden zurück
– Lecuona, Honda, 12 Runden zurück
– Oliveira, Aprilia, 14 Runden zurück
– Bastianini, Ducati, 20 Runden zurück
– Viñales, Aprilia, 23 Runden zurück
– Quartararo, Yamaha, 24 Runden zurück
– Zarco, Ducati, 24 Runden zurück
– Miller, KTM, 25 Runden zurück
*= ein Platz zurück («track limits»-Vergehen)
Ergebnisse MotoGP-Sprint Assen (24. Juni):
1. Bezzecchi, Ducati, 13 Rdn in 20:09,174 min
2. Bagnaia, Ducati, +1,294 sec
3. Quartararo, Yamaha, +1,872
4. Aleix Espargaró, Aprilia, +2,245
5. Brad Binder*, KTM, +4,582
6. Martin, Ducati, +5,036
7. Viñales, Aprilia, +5,876
8. Bastianini, Ducati, +10,102
9. Alex Márquez, Ducati, +10,525
10. Marini**, Ducati, +10,556
11. Miller, KTM, +11,191
12. Nakagami, Honda, +11,473
13. Zarco, Ducati, +15,439
14. Augusto Fernández, KTM, +17,754
15. Morbidelli, Yamaha, +19,508
16. Savadori, Aprilia, +19,664
17. Marc Márquez, Honda, +19,916
18. Raúl Fernández, Aprilia, +20,583
19. Oliveira, Aprilia, + 24,269
20. Lecuona, Honda, +24,727
21. Folger, KTM, +32,056
22. Bradl, Honda, +35,372
– Di Giannantonio, Ducati, 10 Runden zurück
*= erhielt 3 sec Strafe
**= erhielt 0,5 sec Strafe
WM-Stand nach 16 von 40 Rennen:
1. Bagnaia, 194 Punkte. 2. Martin 159. 3. Bezzecchi 158. 4. Binder 114. 5. Zarco 109. 6. Marini 98. 7. Miller 79. 8. Aleix Espargaró 77. 9. Quartararo 64. 10. Alex Márquez 63. 11. Morbidelli 57. 12. Viñales 56. 13. Rins 47. 14. Augusto Fernández 42. 15. Nakagami 34. 16. Di Giannantonio 34. 17. Oliveira 27. 18. Bastianini 18. 19. Marc Márquez 15. 20. Pedrosa 13. 21. Savadori 9. 22. Folger 9. 23. Raúl Fernández 8. 24. Pirro 5. 25. Petrucci 5. 26. Mir 5. 27. Bradl 5.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati, 285 Punkte. 2. KTM 153. 3. Aprilia 121. 4. Honda 89. 5. Yamaha 82.
Team-WM:
1. Prima Pramac Racing, 268 Punkte. 2. Mooney VR46 Racing 256. 3. Ducati Lenovo Team 222. 4. Red Bull KTM Factory Racing 193. 5. Aprilia Racing 133. 6. Monster Energy Yamaha 121. 7. Gresini Racing 97. 8. LCR Honda 84. 9. GASGAS Factory Racing Tech3, 51. 10. CryptoDATA RNF 39. 11. Repsol Honda 20.