Frischer MotoGP-Wind – und die üblichen Verdächtigen?
Was liegt zum 75-jährigen GP-Jubiläum in der Luft? Nun ja, es sind vor allem Flügel und Winglets, Spoiler und Spoons, eigenwillig designte Sitzeinheiten und gewölbte Formen, die ein wenig den Eindruck erwecken, als würden die Verkleidungen unter schleichender Fettleibigkeit leiden.
Es gab ein paar Überraschungen, als sich die neuesten MotoGP-Bikes in der vergangenen Woche beim offiziellen Sepang-Test erstmals in diesem Kalenderjahr der Konkurrenz stellten. Nicht zuletzt Rookie Pedro Acosta, der beeindruckend schnell war und nach dem Warm-up beim Shakedown am ersten IRTA-Testtag nur von Vizeweltmeister Jorge Martin übertrumpft wurde.
Nicht weniger bemerkenswert: Eine leistungsstärkere und abgespeckte Honda machte einer der größten (Zeit-)Sprünge, Joan Mir war eine gute Sekunde schneller als auf seiner Qualifying-Runde beim Malaysia-GP 2023. Allerdings fehlten ihm damit noch immer knapp sieben Zehntel auf die Spitze.
Weniger überraschend: Die Ducati-Dominanz setzte sich an den drei Testtagen bedrohlich fort. Die Top-10 der kombinierten Zeitenliste blieben unter Pecco Bagnaias Pole-Rekord aus dem vergangenen November, einer 1:57,491 min. Die Top-4 knackten mit den ersten 1:56er-Zeiten auf dem Sepang International Circuit bei optimalen Bedingungen sogar die nächste Marke: Bagnaia, Martin, Bastianini und Alex Márquez.
Allesamt auf Desmosedici-Maschinen, die ersten Drei auf dem jüngsten GP24-Modell aus Borgo Panigale. In den Top-10 fanden sich sechs Ducati-Piloten wieder. «Best of the Rest»: Aprilia-Kapitän Aleix Espargaró als Fünfter und Red Bull-KTM-Werksfahrer Brad Binder als Siebter. Der erstaunliche Klassenneuling Acosta (Red Bull GASGAS Tech) als Neunter und die erste Honda in den Händen von Mir komplettierten die Top-10.
Die jüngsten Blüten der Aerodynamik-Entwicklung
Bisher lassen sich nur Tendenzen aus den Tests ablesen. Zwei weitere Testtage in Katar (19. und 20. Februar) stehen noch aus, ehe das erste Aero-Paket und die Motorenspezifikation und für die gesamte Saison festgelegt werden müssen (mit Ausnahme von Honda und Yamaha, deren Motorentwicklung dank der neuen «concessions» nicht eingefroren wird).
Einige der extravaganteren Aero-Entwicklungen könnten auch noch verschwinden, bevor es ins erste Rennwochenende geht. Wie extravagant? Ungemein, wenn man etwa an den Briefkasten-Aufsatz von KTM am Kotflügel denkt. Dieser führte zu wilden Spekulationen, ob mehr, aber kleinere Flügel, weniger Widerstand bedeuten als ein großer Frontflügel, und ob ein Winglet mit dieser neuen Art der Befestigung effektiver sei als die im Vorjahr von Ducati eingeführten «fork wings», die am oberen, gefederten Teil des Gabelbeins angebracht werden.
Die Antworten sind spekulativ, aber wichtig. Ein höherer Anpressdruck («Downforce») bei aufgerichtetem Motorrad verringert die Wheelie-Neigung in der Beschleunigung, erhöht aber den Luftwiderstand. Es sind also PS nötig, um das auszugleichen. Es ist hinlänglich bekannt, dass Ducati über ausreichend Leistung verfügt, und auch KTM scheint eine Menge Power zu haben. Aber es ist doch bezeichnend, dass Yamaha weit hinter dem Trend zurückhängt, wenn es um die mittlerweile so aufwendigen Aero-Pakete geht. Ja, Fabio Quartararos Topspeed war gut – aber eben ohne viel Flügelwerk.
Um den Abtrieb in Schräglage zu verbessern, entwickeln die MotoGP-Hersteller ebenfalls fleißig weiter. Zusätzliche Aufsätze am Vorderrad und an der Schwinge ergänzen die bauchigeren Formen der «ground effect»-Verkleidung mit der markanten Stufe an der Seite, die sich nun auch bei Ducati durchzusetzen scheint.
Márquez mahnt: Mehr Formel 1, weniger Show
Längst nicht alle sind Freunde dieser rasanten Aerodynamik-Entwicklung. Marc Márquez sprach mit seiner Kritik wohl vielen aus der Seele, gerade weil die Überholmanöver und damit der Rennsport darunter leiden. «Wir gehen in Richtung Formel 1. Die Show war früher besser», gab der spanische Superstar am Rande des Sepang-Tests zu bedenken. Die Wings würden zwar die Rundenzeit Zehntel um Zehntel verbessern, «für die Zuschauer ist das aber nicht spürbar.»
Einige der jüngsten Auswüchse: Ducati kombiniert die Diffusoren («downwash ducts») hinter dem Vorderrad mit einer bauchigeren Seitenverkleidung samt markanter Stufe und zusätzlichem Lufteinlass. Bisher war es entweder Diffusoren oder «ground effect»-Stufe. Die «downwash ducts» sollen bei unterschiedlichen Schräglagenwinkel Anpressdruck erzeugen. Die stark gewölbte Seitenverkleidung soll für noch höhere Downforce sorgen, allerdings nur in starker Schräglage.
Abenteuerlich auch das Design der Sitzeinheiten: Honda brachte eine ausgeklügelte Kombination aus zusätzlichen Stegosaurus-Zacken und einem horizontalen Flügel am Heck. Der mehrkanalige Heckspoiler an den KTM erinnert längst an die F1-Wagen. Aprilia dagegen ließ sich für das neue Heck offenbar vom Batmobil inspirieren – und Aleix Espargaró wünscht sich von seinen Ingenieuren für den Katar-Test sogar noch einen zusätzlichen Flügel! Da wirkt das schlichte Yamaha-Heck in dieser Gesellschaft schon ausgesprochen altmodisch.
Yamaha und Honda im Aufwind?
Unter dem Strich handelt es sich immer noch um Motorräder und für die japanischen Hersteller gab es zumindest ein paar ermutigende Anzeichen, nicht zuletzt dank der Freiheiten, die ihnen das neue «Concessions»-System gewährt – unter anderem keine Testbeschränkungen und kein Einfrieren der Motorentwicklung.
Yamaha ist überzeugt, dass der jüngste Motor – der letzte im Feld mit dem Reihen-Vierzylinder-Konzept – eine Leistungsverbesserung brachte, auch wenn sich Quartararo besorgt darüber äußerte, wie weit seine Mannschaft im Bereich der Elektronik hinterherhinke – «Jahre über Jahre», erklärte er in seiner Presserunde in Sepang.
Der Weltmeister von 2021 landete auf Rang 11 der kombinierten Zeitenliste, mit 0,85 Sekunden Rückstand. Sein neuer Teamkollege Alex Rins lag als 16. am Ende 1,2 Sekunden zurück. Es sieht nicht danach aus, als sei Yamaha in diesem Jahr schon wieder bereit für den Titelkampf.
Hondas neuer Motor wurde von den Fahrern als spürbare Verbesserung gelobt, vor allem dank einer sanfteren und berechenbareren Gasannahme und der verbesserten Leistung. Neuzugang Luca Marini kann den Vergleich nur mit seiner letztjährigen Ducati ziehen und meinte: «Der Unterschied ist ziemlich groß.»
Im Gegensatz zum Vorjahr einigten sich die vier Honda-Piloten dieses Mal auf Anhieb auf eine der (leichteren) Chassis-Varianten. Vielleicht noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass HRC Kalex-Mitbegründer Alex Baumgärtel als Berater verpflichtet hat.
Aprilia war noch alles andere als bereit, dennoch war zumindest Aleix Espargaró schon schnell. KTM hielt im vorderen Feld gut mit und machte beim ersten Test im Vergleich zum Vorjahr einen stärkeren Eindruck. Diese Verbesserungsrate sollten die Österreicher auch beibehalten, denn die Ducati-Armada war kaum zu bremsen.
Die letztjährige Desmosedici GP23 ist immer noch gut genug, um zu gewinnen; die neue GP24 scheint gleich auf Anhieb noch einmal ein Schritt nach vorne zu sein. Die einzige Schwäche des Herstellers aus Borgo Panigale: Zu viele schnelle Fahrer, die sich gegenseitig die Punkte wegnehmen werden. Und einer davon ist Marc, der Gnadenlose…
MotoGP-Test Sepang, kombinierte Zeiten (6. bis 8. Februar):
1. Bagnaia, Ducati, 1:56,682 min
2. Martin, Ducati, + 0,172 sec
3. Bastianini, Ducati, + 0,233
4. Alex Márquez, Ducati, + 0,256
5. Aleix Espargaró, Aprilia, + 0,409
6. Marc Márquez, Ducati, + 0,588
7. Binder, KTM, + 0,625
8. Di Giannantonio, Ducati, + 0,661
9. Acosta, KTM, + 0,683
10. Mir, Honda, + 0,692
11. Quartararo, Yamaha, + 0,843
12. Viñales, Aprilia, + 0,846
13. Nakagami, Honda, + 1,083
14. Miller, KTM, + 1,169
15. Bezzecchi, Ducati, + 1,185
16. Rins, Yamaha, + 1,197
17. Zarco, Honda, + 1,260
18. Oliveira, Aprilia, + 1,318
19. Marini, Honda, + 1,326
20. Crutchlow, Yamaha, + 1,991
21. Augusto Fernández, KTM, + 2,058
22. Savadori, Aprilia, + 2,132
23. Pirro, Ducati, + 2,183