Jorge Martín: «Gewinnen können vielleicht 8 Fahrer»
Bei aller Hektik, bei allem Drama im Finale der letzten Saison passierte eines doch nie: Es wurde zu keiner Sekunde unfair. Das Ducati-Duell zwischen Pecco Bagnaia und Jorge Martín geriet nie außer Rand und blieb ein entschlossen geführtes Duell unter Freunden bis zum letzten Rennen, mehr noch: Bis nach der Zieldurchfahrt, die Bagnaia als Weltmeister bestätigte. Dass es schlussendlich ein schlechter Hinterreifen war, der die WM entschied: Jorge Martín hat das mittlerweile abgehakt, «selbst, wenn ich noch immer auf eine Erklärung Michelins warte, was mit meinem Reifen im Finale tatsächlich faul war.»
Was viele vielleicht nicht mehr so am Schirm haben: In den Saisonen 2015 und 2016 waren Martín und Bagnaia Teamkollegen im Aspar-Team von Jorge Martínez auf Mahindra. Der um ein Jahr, zwei Wochen und einen Tag ältere Bagnaia hatte während der gemeinsamen Moto3-Zeit die Überhand über den Spanier. Einst teilte man sich an Rennwochenenden sogar ein Zimmer. Aus dieser Zeit stammt ihr gutes Verhältnis bis heute. «Wir waren damals wirklich eng,» erinnert sich Martín jüngst im Alpinestars-Podcast.
Als Bagnaia zu VR46 in die Moto2 wechselte und Martín zu Gresini sah man einander zwar nicht mehr so häufig, doch der gute Draht ging nie verloren. Ausgerechnet gegen den einstigen Zimmerkollegen um den Titel der MotoGP zu kämpfen war für Jorge etwas Besonders: «Pecco ist ein Champion, und ich hatte immer großen Respekt vor ihm. Heute ist er dreifacher Weltmeister, und ich werde alles unternehmen, um ihn zu schlagen.»
Dass nun erstmals beide in der MotoGP mit identischem Material starten, nämlich auf der brandneuen Ducati Desmosedici 2024, sollte ihm in die Karten spielen, meint Martín: «Wenn wir uns die letzte Saison ansehen, war er in der ersten Hälfte viel schneller als ich. In der zweiten Hälfte hat es sich umgedreht. 2024 starten wir von Beginn an vom selben Level.»
Was er aus dem WM-Fight des letzten Jahres mitnimmt? «Du musst ruhig bleiben, wirklich konzentriert. Darfst dir keine Fehler erlauben. Und letztes Jahr habe ich noch zu viele davon gemacht.»
Jedes Wochenende um Siege
Fehlervermeidung und Konstanz seien der Schlüssel zum WM-Titel 2024, meint er: «Wenn wir den Sepang-Test als Referenz nehmen: Demnach haben 8 Fahrer das Potenzial, Rennen zu gewinnen. Aber Weltmeister wird jener Fahrer werden, der am konstantesten hoch punktet. Du musst bei jedem einzelnen Rennen in der Position sein, um den Sieg kämpfen zu können, und zwar sowohl im Sprint als auch im Grand Prix, sonst wird das nichts.»
Da nimmt sich der Spanier auch gleich selbst an der Nase: «Letzte Saison hatte ich einfach zu viele Probleme – aber ich war an jedem Wochenende schnell. Das ist schon mal gut fürs Selbstvertrauen. Mein Ziel muss lauten, die Fehler zu reduzieren und im Zweifelsfall auch mal einen zweiten, dritten, vielleicht sogar fünften Platz zu akzeptieren.»
Mit einer Saison, die aktuell 21 Rennen lang dauern soll, je nachdem, ob der Kasachstan-GP stattfindet: Wie bereitet man sich darauf vor? «Es ist ein Ganzjahres-Job. Wir trainieren von Januar bis November. Für Training ist während der Saison immer Zeit reserviert. Es ist das Leben, das manchmal zu kurz kommt. Wir opfern alle viel für unseren Sport. In der Sommerpause im Juli bleibt uns vielleicht eine Woche, um am Strand zu liegen.»
Doch Martín weiß genau, warum er sich die Knochenmühle antut: «Ich habe noch fünf, sechs, vielleicht neun Jahre als Rennfahrer in mir, so genau weiß das keiner. Wenn ich eines Tages aufhöre, will ich das in dem Bewusstsein machen, alles, aber wirklich alles gegeben zu haben und dafür hoffentlich mit dem WM-Titel belohnt worden zu sein.»