MotoGP in Portugal – wo war Aleix Espargaro?
Tatsache ist, beim Auftakt-Wochenende in Katar war Aleix Espargaro der dominierende Pilot des Aprilia RS-GP Quartetts. Beim Sprint auf dem Podium und gegen Ende der Distanz der mit Abstand schnellste Fahrer im Feld – Espargaro machte eine erstklassige Figur. «Top Gun» Viñales steuerte seine RS-GP durchs Mittelfeld. Platz neun und zehn als achtbare, aber unauffällige Resultate.
Zwei Wochen später in Europa haben sich die Vorzeichen gedreht. Nun ist es Maverick Viñales, der aufspielt. In allen Sitzungen taucht Viñales weit bis ganz oben auf. Dem Teamkollegen nimmt er über die Veranstaltung stets eine halbe Sekunde pro Runde ab. Was angesichts der immer höheren Leistungsdichte mit rund zehn Plätzen zu übersetzen ist (Im Training in Portimão lagen 21 Piloten innerhalb 0,9 sec.).
Die bemerkenswerte Situation lässt Feststellungen zu, wirft aber zugleich Fragen auf. Zunächst steht fest: Aprilia ist konkurrenzfähig. Das Werksmotorrad aus Noale bietet einen sehr guten Kompromiss aus verwertbarer Power, Elektronik und Chassis. Die Komposition sorgt für hohes Tempo über eine Runde und ist zugleich in der Lage, diese über die Distanz im Sinne einer kalkulierbaren Reifenabnutzung zu kontrollieren. Was auch von Espargaro nach der Zieldurchfahrt in Portugal bestätigt wird: «Sehr gut und wichtig ist unser Motorrad auf verschiedenen Strecken und mit zwei verschieden Piloten um den Sieg kämpfen kann».
Wie aber ist es möglich, dass die Ergebnisse der Werksfahrer derart auseinanderdriften?
Fest steht, die beiden Spanier haben zwischen den GP-Wochenende nicht die Motorräder getauscht. Abgesehen von den völlig unterschiedlichen Einstellungen in etlichen Kategorien (Ergonomie, Federelemente, Aerodynamik, Elektronik), wäre ein solcher Wechsel organisatorisch nicht sinnvoll. In der Basis sind die beiden Werksrennen komplette identisch. Nicht auszuschließende Kleinsttoleranzen bei Werkstoffen sind auszuklammern.
Wenig hilfreich bei der Beantwortung sind auch die Trackhouse-Sateliten Miguel Oliveira und Raúl Fernandez. Trotz unterschiedlicher Spezifikationen (Oliveira steuert ebenfalls einer 2024 RS-GP) ist es keinem der privaten Aprilia-Piloten an der Spitze mitzumischen.
Jeder Motor wird penibel präpariert und überwacht. Beiden Piloten steht die gleichen Antriebsleistung zur Verfügung. Die Topspeed-Liste von Portimão belegt, dass die überragenden Rundenzeiten von «Top Gun» nicht auf mehr Leistung zurückzuführen ist. Angeführt wird die Auswertung übrigens von Miguel Oliveira mit 350,6 km/h. Auf Platz zwei: Aleix Espargaro. Viñales taucht mit knapp 2 km/h Rückstand im Mittelfeld auf.
Mehr Einfluss auf die Performance haben die Reifen. Trotz hoher Standards und akribischer Fertigungsprozesse kann nicht jeder Reifen auf die Tausendstel gleich funktionieren. Auch die Michelin-Slicks fallen aber als alleinige Antwort aus. Denn, es ist schlicht nicht realistisch, dass einer der Werksfahrer über ein gesamtes Wochenende konstant schlechter funktionierende Ware erhält.
Sind es also die Fahrer alleine? Auch das ist auszuschließen. Denn obwohl die Piloten Menschen und keine Roboter sind, alle versammelten Fahrer in der MotoGP sind so kalibriert, dass sie auf jeder Strecke immer am Limit unterwegs sind. Persönliche Befindlichkeiten, in unserem Fall also der Umstand, dass Viñales die Strecke in Portimão mehr mag als Espargaro, zählen nicht. Unendliche Beispiele belegen, dass Vorlieben nicht entscheidend sind. Um bei unserem Beispiel zu bleiben – 2023 war Viñales in Katar der schnellere Aprilia-Fahrer.
Die Strecke selbst hat aber einen Einfluss auf die MotoGP-Maschinen. Jede Rennbahn variiert in vielen Aspekten. Der gebotene Grip ist mitscheidend. Und hier harmonieren die Abstimmungen der Fahrer unterschiedlich mit der gebotenen Haftung. In schnellen Kurven, von denen es in Losail mehr als in Portimão gibt, werden andere Abstimmungen benötigt. Lässt es der Fahrer etwa in eine Vierte-Gang Kurve hineinlaufen, oder steckt er sein Bike brutal übers Vorderrad in eine Kehre – die Verteilung des Grips über das ganze Motorrad ist eine andere. Diese Grip-Balance entscheidet darüber, ob ein Pilot das richtige Gefühl, also volles Vertrauen, entwickelt.
Körpersensoren arbeiten anders als die einer technischen Messeinrichtung. Es ist also naheliegend, dass sich das Speed-Phänomen der beiden Aprilia-Werksfahrer zusammensetzt aus den unterschiedlichen Settings (gegeben auch durch Statur und Gewicht, Kraft, Fahrstil) als auch aus unterschiedlichen Interpretationen, der von Mensch zu Mensch anders eingestellten Körpersensoren.
Eine befriedigende Antwort mag das nicht sein. Eine Banale schon gar nicht. Aber dann wären wir ja auch nicht in der MotoGP. Und solange Menschen am Lenker der technologischen Übergeräte zaubern, wird es auch Resultate geben, die sich nicht sofort erklären lassen.