Honda plant Krisenende: Neue MotoGP-Basis in Mailand
Um den beispiellosen Absturz der Honda Racing Corporation in der MotoGP-WM ranken sich zahlreiche Erklärungsversuche. Die Theorie von SPEEDWEEK.com-Mitarbeiter Michael Esdaile: Honda entwickelte das Motorrad in Dani Pedrosas Abwesenheit um Marc Marquez herum und bezahlte den Preis dafür, als sie dessen Input in eine Sackgasse führte, die Marquez letztlich selbst ausgebremst hat.
2019, im Jahr 1 nach Pedrosa, erzielte Marquez noch beeindruckende 18 Top-2-Ergebnisse, darunter zwölf Siege, und wurde zum sechsten Mal MotoGP-Weltmeister.
Dann folgte die Saison 2020, die aufgrund der behördlich verhängten Reisebeschränkungen (Corona) sehr seltsam war. In diesem Jahr, und der ähnlich bizarren Saison 2021, kristallisierte sich heraus, dass die langen und diskussionsintensiven Entscheidungswege bei den japanischen Herstellern nicht mehr zielführend sind.
Während Ducati, Aprilia und KTM in erstaunlichem Tempo immer neue technische Finessen austüftelten, verzettelten sich Honda und Yamaha in endlosen Videokonferenzen und litten darunter, dass die Ingenieure nicht mehr wie früher zwischen Japan und Europa pendeln konnten.
Als das Leben ab 2022 wieder seinen normalen Lauf nahm, waren Honda und Yamaha stark ins Hintertreffen geraten, was sich seither schonungslos offenbart.
Yamaha reagierte zu Jahresbeginn 2024 und übergab dem von Ducati kommenden Spitzentechniker Massimo Bartolini die Führung. Er ist direkt mit dem japanischen Projektleiter vernetzt, arbeitet aber von der Yamaha-Basis in Gerno di Lesmo nahe Mailand aus.
«Wir wollen damit schneller und aggressiver sein, was die Entwicklung betrifft. Es geht darum, nicht mehr so konservativ zu sein», sagte Yamahas scheidender Managing-Director Lin Jarvis damals.
Honda hat für seine Werksteams in der MotoGP- und Superbike-WM zwar eine Basis in Barcelona. Diese erfüllt aber vor allem einen logistischen Zweck, sämtliche neuen Teile und Innovationen kommen aus Japan.
Inzwischen findet auch beim größten Motorradhersteller ein Umdenken statt: HRC zieht einen neuen Standort für das Rennteam in Mailand in Norditalien auf.
Dazu passen übereinstimmende Berichte, dass sich HRC um die Verpflichtung von Techniker Fabiano Sterlacchini bemüht. Der Italiener kam im Sommer 2021 nach 17 Jahren bei Ducati in die KTM-Rennabteilung nach Munderfing und brachte einiges an Personal aus seinem Vertrauenskreis zu den Österreichern mit. Seine offizielle Stellenbezeichnung war Vizepräsident für Technologie im Straßensport, der Vertrag lief nach drei gemeinsamen Jahren Ende Juni 2024 aus. Im gegenseitigen Einvernehmen wurde keine Verlängerung angestrebt, Sterlacchini wollte zurück in seine Heimat.
Der Honda-Vorstoß in der Causa Sterlacchini ist strategisch bedeutend. Einerseits würde so verhindert, dass der Italiener sein umfangreiches Wissen über die Ducati-Desmo und die KTM RC16 zu anderen Konkurrenten transferiert. Zudem könnte Sterlacchini bei den Japanern die Entwicklung des neuen Motorrads für die ab 2027 kommende 850-ccm-Ära mitdirigieren.
Honda rüstet seit Monaten an entscheidenden Stellen auf. Für das Testteam wird ab 2025 neben dem Deutschen Stefan Bradl der spanische Haudegen Aleix Espargaro fahren, der seinen Crew-Chief Tony Jimenez und einen weiteren Mechaniker von Aprilia zu den Japanern mitbringt.
«Honda macht etwas, es ist nicht so, dass nichts passiert», unterstrich Bradl im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Nach außen macht es einen bitteren, einen erstaunlich schwachen Eindruck. Aber Honda ist Honda, das darf man nicht vergessen. Schaut euch an, was Honda in der Vergangenheit geleistet hat. Ducati hat auch zwölf Jahre gebraucht, bis sie wieder Weltmeister geworden sind und nach Stoner einen Fahrertitel geholt haben. Das war auch eine lange Durststrecke. Unterschätzt die Firma Honda nicht, deswegen darf auch keiner bei uns den Kopf in den Sand stecken. Es wird der Tag kommen, dass wieder etwas passiert.»