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Jorge Lorenzo: Eintönigkeit, Charisma, Perfektion

Von Giovanni Zamagni
Am Startplatz in Jerez: Jorge Lorenzo

Am Startplatz in Jerez: Jorge Lorenzo

Jorge Lorenzo hat das Buch «Open» von Agassi gelesen und findet viele Gemeinsamkeiten zwischen Tennis- und Motorradsport.

Der amerikanische Tennis-Star André Agassi hat acht Grand-Slam-Turniere gewonnen und war lange die Nr. 1 in der Tenniswelt. Er war extrovertiert und passte in kein Schema. Jetzt hat der Ehemann von Steffi Grad eine Biografie geschrieben: Open. Sie hat sich weltweit millionenfach verkauft. Ein aufsehenerregendes Buch. Auch MotoGP-Weltmeister Jorge Lorenzo hat es gelesen und war beeindruckt. Gemeinsam mit ihm haben wir einige Passagen aus «Open» besprochen.

Jorge, André Agassi schreibt: «Man hat mich oft gefragt, wie das sei, in meiner Welt des Tennissports. Und ich habe nie die richtigen Worte gefunden, um es zu erklären und zu beschreiben. Jetzt kann ich es: Es ist in erster Linie zerfleischend, quälend, eintönig, überraschend, grauenvoll und aufregend.» Wie ist das Leben als Rennfahrer?
Es ist ein fortlaufendes Wechselbad der Gefühle. Einerseits gewöhnungsbedürftig, weil du immer die gleichen Flüge nimmst, in den gleichen Hotels übernachtest und die gleichen Rennstrecken siehst. Anderseits lernst du immer neue Menschen kennen. Die Situationen ändern sich stetig, dein Leben ist voll von Emotionen – guten und schlechten. Dieser eintönige Strudel oder Wirbel, wie es Agassi nennt, macht manchmal schon nachdenklich. Soll man mit der Rennerei aufhören, wieder frei sein, um nicht mehr unter diesem Druck zu stehen? Will man diese Sorge loswerden, um jeden Preis gewinnen zu müssen?
Jedoch all dies macht auch glücklich, das ist eben der Widerspruch.

Agassi geht noch weiter. «Wenn du gewinnst, wirst du stärker, sympathischer, schöner. Alle wollen dich kennen lernen. Auch berühmte Leute, die dich bisher nicht beachtet haben», sagt er. Er findet das surreal und gleichzeitig auch verständlich.

Die Leute wollen denen nahe stehen, die berühmt sind. Aber es stimmt, wenn du als 20. in deiner Welt etwas Aussergewöhnliches anstellst, interessiert es niemanden. Wenn du es als Nr. 1 machst, wollen es alle nachahmen, auch wenn es falsch ist. Das ist nun mal menschlich. Wir sind einfach so gemacht. Wenn wir jemanden sehen, der erfolgreich ist, ist er schöner, grösser, charismatischer.

Lassen wir Agassi zu Wort kommen: «Wenn dein ultimatives Objekt die Perfektion ist, wirst du dann erfolgreich sein? Dann verfolgst du etwas, das nicht existiert.» Jorge, ist es dir noch nie passiert, dass du einen Grand Prix verloren hast, weil du die Perfektion erforschen wolltest?
Es ist schon in Ordnung, die Perfektion zu erforschen, nur so kannst du dich verbessern. Sonst bleibst du auf dem gleichen Niveau stehen. Dieses Erforschen kann dich aber mental beunruhigen und auch mal bremsen. In Barcelona 2009, als mich Valentino in der letzten Kurve überholt hat, da habe ich zum Beispiel in den letzten zwei Kurven in erster Linie versucht perfekt zu sein, statt schneller. So hat mich Valentino besiegt.

Zurück zu Agassi: «Aufregung ist etwas Unterhaltsames. Manchmal rennst du deshalb auf die Toilette, ein anders Mal macht es dich zappelig. An gewissen Tagen bringt es dich zum Lachen. Was für eine Art von Aufregung du an dem Tag verspürst, ist das erste, was du merkst, bevor du auf den Platz gehst. Du musst die Art deiner Aufregung entschlüsseln, mental wie auch körperlich, du musst sie kontrollieren und für dich arbeiten zu lassen. Das ist der entscheidende Faktor. Du musst diese Energie positiv nützen.» Stimmt es, dass es verschiedene Arten von Aufregung gibt und dass es wichtig ist, sie unter Kontrolle zu bekommen?
Für mich nicht, da es immer mehr oder weniger die Gleiche ist. Im Normalfall bin ich jemand, der gerne viel scherzt. Aber wenn ich unter Spannung bin, scherze ich nicht mehr. Ich bin dann sehr konzentriert und spüre etwas in meiner Magengegend. Ich versuche  meine Aufregung positiv zu werten, wenn das nicht gelingt, verbrauchst du zu viel Energie.

Agassi weiter: «Beim Tennisspielen versuche ich mich ausserhalb des Courts mit möglichst vielen Leuten zu umgeben. Ich brauche deren Begleitung. Sie sind mein Gepäck, auch meine Gurus, mein Stab von Experten. Ich studiere sie und profitiere auf gewisse Art von jedem Einzelnen.» Braucht auch ein Rennfahrer viele Leute um sich herum?

Wenn du am Anfang deiner Karriere stehst und nicht viel verdienst, kannst du sie dir gar nicht leisten. Aber später, wenn du Geld hast, brauchst du einen guten Manager, der Sponsoren auftreibt und Verträge unterschreibt, denn du musst das Maximum aus deiner Karriere herausholen. Man braucht ein gutes Presseteam und jemand, der sich um deine Fitness kümmert. Es ist also einen Stab von Leuten nötig, die dir gewisse Probleme oder Lasten abnehmen, damit du dich auf das Wesentliche konzentrieren kannst.

Agassi behauptet: «Ich erinnere mich an alle meine 1000 Auftritte.» Erinnerst du dich an alle deine 182 Grands Prix?
Bis vor drei oder vier Jahren war es schon so. Jetzt denke ich, dass ich so zwischen 80 und 85 Prozent aller Rennen im Kopf habe. Die, die schon länger her sind, habe ich wohl vergessen...

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