Gespann-WM nach dem Becker-Drama: Wie geht es weiter?
Kurt Hock/Enrico Becker
«Es ist ein Problem der FIM», erklärte Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta gegenüber SPEEDWEEK.com auf die Frage, ob der verheerende Unfall der deutschen Seitenwagen-Asse Kurt Hock/Enrico Becker im zweiten Qualifying beim Grossen Preis von Deutschland auf dem Sachsenring vom 12. Juli Konsequenzen für die Zukunft haben werde.
Der 32jährige Beifahrer Enrico Becker starb bei diesem tragischen Unfall an der Unfallstelle; der 53-jährige LCR-Suzuki-Pilot Kurt Hock liegt weiterhin im Klinikum Chemnitz im Koma.
«Ich werde so bald als möglich mit FIM-Präsident Vito Ippolito über die Seitenwagen sprechen. Diese Weltmeisterschaft steht unter der Obhut der FIM. Sie entscheidet über das Reglement und den Kalender», sagt Carmelo Ezpeleta. «Mich hat dieses Unglück tief erschüttert. Wir von der Dorna haben die Seitenwagen immer wieder ins GP-Programm aufgenommen, wenn es Anfragen gab. In diesem Jahr zum Beispiel in Assen und auf dem Sachsenring. Uns darf also niemand vorwerfen, wir würden diese Rennserie vernichten.»
Aber die kommerziellen Belange des Motorrad-GP-Sports wurden 1992 von der FIM an die Firmen Dorna und Two Wheel Promotions (längst Eigentum der Dorna) verkauft. Und wegen der geringen Nachfrage der GP-Promoter in Ländern wie in Italien, Spanien und bei den Übersee-Rennen wurden damals nur noch die drei Soloklassen ins GP-Programm aufgenommen.
Die Gespanne traten danach bei der Superbike-WM auf und bei anderen Anlässen wie der IDM, die Blütezeit ging zu Ende, die Promoter kamen und gingen, die Vermarktung wurde immer schwieriger.
Nach dem Unfall der sechsfachen deutschen Vizemeister Hock/Becker wurde vermutet, der Crash in Turn 12 sei auf ein technisches Gebrechen zurückzuführen.
«Ich weiss nicht einmal, wer in der Gespann-WM für die Technische Abnahme verantwortlich ist. Wir auf jeden Fall nicht», erklärte Ezpeleta.
Tatsache ist: Am Montag nach dem GP von Deutschland nahm in den meisten Tageszeitungen die Berichterstattung über den Unfall mehr Raum ein als die Reportagen über die drei Solo-WM-Rennen.
Wenn wir die Aussagen der Verantwortlichen richtig interpretieren, wird in Zukunft keinen Seitenwagen-WM-Lauf mehr im Rahmen eines Motorrad-GP stattfinden.
Ralph Bohnhorst, 1991 Seitenwagen-GP-Sieger auf dem Hockenheimring und seit 2012 als FIM-Funktionär für die Geschicke der Seitenagen-WM zuständig, ist seit dem Unfall am 12. Juli für die Medien nicht mehr zu sprechen.
Wir hätten Bohnhorst (er lässt die Gespann-WM auch auf umstrittenen Pisten wie auf dem Schleizer Dreieck fahren) gerne gefragt, warum er rund zwei Stunden nach dem Unfall gegenüber einem SPEEDWEEK.com-Mitarbeiter fälschlicherweise die Gerüchte über den Tod von Fahrer Kurt Hock betätigt hatte.
Ich erinnere mich an einen ähnlich tragischen Seitenwagen-Unfall beim Hockenheim-GP 1994, als die Internationale Sidecar Racing Association den Briten Simon Prior bereits am Sonntag als tot meldete; der Brite erlag aber erst am Montag seinen Verletzungen. Auch der Österreicher Christian Parzer wurde damals von offizieller Seite als «lebensgefährlich verletzt» bezeichnet, an seinem Aufkommen werde gezweifelt, wurde den Journalisten aufgetischt.
Zwei Stunden später traf ich Parzer in Socken im Fahrerlager. Er war unverletzt aus dem Krankenhaus geflüchtet und hatte sich von einem Taxi ins Fahrerlager bringen lassen.
Von Seiten des aktuellen deutschen GP-Veranstalters SRM (Sachsenring Rennstrecken Management GmbH), der auch fürs Rahmenprogramm verantwortlich ist, heisst es bis heute, es sei vor 22 Uhr von offizieller Stelle nie von zwei Toten gesprochen worden.
Wenn Bohnhorst kein Offizieller ist, wer dann?
Wir sind heute auf ein Zitat von Ralph Bohnhorst aus dem Jahr 2012 gestossen. «Die Medienarbeit der FIM zum Thema Seitenwagen-WM ist sehr dürftig. Dies muss und wird sich ändern», kündigte er damals tatendurstig an.
Im selben Interview sagte «Bohni» 2012, er wolle die Gespanne 2014 zurück nach Laguna Seca bringen.
Dabei fand damals nicht einmal ein WM-Lauf in Grossbritannien statt, im Mutterland der Dreiräder.
Und jetzt drohen auch noch Assen und Sachsenring aus dem Kalender zu fallen.
In den letzten 20 Jahren haben die Seitenwagen-WM-Befürworter kein wirklich tragfähiges Konzept für ihre Rennserie gefunden, es wurde viel gestritten, die teilweise zwielichtigen Promoter kamen und gingen.
Für die Seitenwagen-Gemeinde sind die Schuldigen an der Misere längst ausgemacht. Es sind dieselben wie vor 20 Jahren. Die bösen Medien.
Es war schon bei den alten Griechen so, dass die Überbringer der schlechten Nachrichten zur Verantwortung gezogen wurden – und nicht deren Verursacher.