Fix: MotoGP-Finale nicht in Valencia

Rossi gegen Márquez: Es passierten viele Fehler

Von Günther Wiesinger
Warum wurden die drei Strafpunkte für Valentino Rossi so rasch nach dem Sepang-GP verhängt? Wie kann die Urteilsfindung künftig verbessert werden?

Die MotoGP-Weltmeisterschaft hat ein unwürdiges Ende gefunden. Und natürlich gibt es keinen Alleinschuldigen, viele der Beteiligten haben Fehler gemacht.

Marc Márquez kann nicht leugnen, dass er sich in Malaysia in die Dienste von Jorge Lorenzo gestellt hat. Er liess ihn in Runde 2 wehrlos überholen und fuhr dann jede Runde eine Sekunde langsamer als Teamkollege Dani Pedrosa.

So eine schwache fahrerische Leistung hat er in den drei MotoGP-Jahren nie abgeliefert. Zufall? Nein, es war die blindwütige Rache für Rossis Vorwürfe vom Donnerstag in Malaysia, er sei schon in Australien für Lorenzo gefahren. Er muss triftige Gründe für seine Beschuldigungen gehabt haben.

Hat Valentino in Phillip Island Gespenster gesehen? Oder war Márquez dort und in Sepang von allen guten Geistern verlassen?

Die friedvolle Fahrt des entthronten Champions in Valencia entsprach jedenfalls nicht seinen üblichen Gepflogenheiten. Rossi attackierte er in Assen 2015 in der letzten Runde vor der letzten Kurve noch an einer Stelle, wo kein Mensch mehr einen anderen ausbremsen kann. Rossi richtete sein Bike auf, fuhr schnurstracks ins Ziel, der Honda-Pilot schaute verdattert – aber Rossi siegte.

Márquez war blamiert – wie in Argentinien, wo er im Duell gegen den Yamaha-Star dessen Hinterrad berührte und umschmiss.

«Márquez ist der einzige Fahrer, der bei einem misslungenen Überholmanöver dem Gegner die Schuld gibt», ätzte Rossi in Sepang über diese Vorfälle.

Rossi-Feind Casey Stoner nimmt Márquez in Schutz. Er sagt, in den letzten fünf oder acht Jahren habe in Valencia immer jener Fahrer gewonnen, der von der Pole-Position in Führung gegangen sei.

Gut. Kann sein. Aber Lorenzo musste mit einer gewissen Sicherheitsmarge fahren, Marc Márquez hatte nichts zu verlieren.

Trotzdem war von seinem unbändigen Siegeswillen nichts zu sehen.
Das lässt uns vermuten: Er wollte sein Werk zu Ende bringen.

Auch Rossi ist kein Unschuldsengel. Aber er war nach dem Phillip-Island-GP überzeugt, Márquez verhalte sich im WM-Fight nicht neutral und hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg.

Und er bugsierte Márquez beim Sepang-GP in Runde 7 in Turn 14 neben die Ideallinie, auf dass er Schwung verliere und auf der Geraden seine Power nicht ideal ausnützen könne. Es kam zu einer Kollision, Márquez stürzte.

Rossi fühlte sich provoziert, er reagierte mit einem Foul.

Márquez hatte aber die Möglichkeit, sein Motorrad zwei Zentimeter von Rossis Yamaha fernzuhalten, er entschied sich für die riskantere Aktion – wie oft in seinem Leben als Gratwanderer. Márquez ist in diesem Jahr an den GP-Weekends genau 13 Mal ohne fremdes Zutun gestürzt, das darf man auch erwähnen.

Race Direction ist nicht unabängig

War Rossis Aktion von Sepang verzeihlich? War sie strafwürdig? Waren die drei Strafpunkte berechtigt? Darf eine solche Kurzschlusshandlung am Schluss über den Ausgang einer WM-Saison entscheiden?

Diese Frage stellt sich jetzt auch Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta, dessen prachtvolle Rennserie im Finale in einen Scherbenhaufen zerfallen ist.

Wenn man diese Eskalation nach dem Sepang-GP jetzt in Ruhe betrachtet, dann frage ich mich: Warum musste das Urteil zum Vergehen von Rossi in Malaysia innerhalb einer Stunde zusammengeschustert werden?

Professionelle Richter urteilen erst, wenn alle Beweise auf dem Tisch liegen und gewürdigt werden können, wenn Für und Wider ausreichend abgewogen wurden. Deshalb wollte das Oberste Sportschiedsgericht CAS auch nicht innerhalb weniger Tage beurteilen, ob die Verbannung Rossis auf den letzten Startplatz gerechtfertigt sei. Das endgültige Urteil wurde aufgeschoben.

Die Urteilsfindung im GP-Sport ist fragwürdig. Da gibt es die Race Direction, und es existiert eine FIM-Jury, an die bei einem Einspruch unmittelbar nach einem Urteil nach dem Rennen appelliert werden kann.

Nun, die FIM-Funktionäre sind ehrenamtliche Ahnungslose, das ist bekannt. Alle Funktionäre von IRTA und FIM werden letztendlich von der Dorna bezahlt, die im Jahr mehr als 7 Millionen Dollar für die kommerziellen GP-Rechte an die FIM überweist.

Wie unabhängig können also der überaus bemühte Race Director Mike Webb und ein Safety Officer Franco Uncini samt Dorna-Berater Loris Capirossi agieren?

Gilt nicht das Motto: Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe?

Also wurde in Malaysia ein Urteil zusammengeschustert, das einen faulen Kompromiss darstellte. Rossi sollte bestraft werden, aber die WM sollte trotzdem erst in Valencia entschieden werden.

Warum hat man nicht zehn Tage beraten und eine gerechtere Lösung gesucht?

Geht nicht?

Haben nicht Márquez (wegen der Attacke gegen Pedrosa) und Cortese (wegen der Attacke gegen De Angelis) nach dem Aragón-GP 2013 ihre Strafpunkte auch erst zehn Tage später am Donnerstag beim nächsten Grand Prix in Malaysia erhalten?

Auch Jorge Lorenzo hat Fehler gemacht, wenn auch keine allzu weitreichenden. Er hat auf dem Podest in Malaysia die Daumen nach unten gereckt. Und er hat nachher über Rossi gelästert, sein Teamkollege habe 2013 in Valencia keine Anstalten gemacht, ihm beim Titelfight gegen Márquez zu helfen. Alte Ärgernisse, zwei Jahre wurden sie unter den Tisch gekehrt.

Diesmal stand Rossi als Steigbügelhalter nicht zur Verfügung. Hat sich Jorge deshalb einen anderen Verbündeten gesucht?

Viele Fragen, keine Antworten.

Die Honda-Manager machten ebenfalls Fehler. Statt die Situation zu beruhigen, bezeichnete Nakamoto den populären Rossi als Streetfighter. Dann behauptete, er könne anhand der Daten beweisen, dass Rossi nach Márquez getreten habe. Den Beweis blieb er schuldig.

Die Yamaha-Manager hielten sich nobel zurück. Da war höchstens zu hören: «Dass Márquez in Sepang jede Runde eine Sekunde auf Dani verloren hat, vermittelt einen leichten Beigeschmack.»

Warum der Motorradsport so beliebt ist

Jetzt fordern ernsthafte Experten wie Randy Mamola, die MotoGP-WM müsse von der Sporthoheit strenger reguliert werden – wie die Formel 1.

Falsch. Nein, danke. Die Formel 1 wurde tot reguliert. Weil niemand mehr überholte, wurden Tankstopps, Reifenwechsel und schliesslich sogar das Drag Reduction System (DRS) eingeführt. Selbst die Teambesitzer haben den Überblick über Token und die Ursachen der ewigen Rückversetzungen verloren.

Der Motorradsport ist nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil hier der Kampf Mann gegen Mann dominiert, weil hart am Limit gefahren wird, weil die Fahrer nicht in einen Panzer aus Karbonfiber sitzen, sondern ihre Knöchel, Schlüsselbeine und Handgelenke als Knautschzonen darbieten.

Ein Sport für wahre Männer.

Klar, es muss gewisse Verhaltensregeln geben.

Aber Capirossi hat sich 1998 gegen Harada zum Weltmeistertitel gerempelt, sein Foul wurde nicht geahndet. Phil Read hat 1973 in Imatra den finnischen Yamaha-Fahrer Teuvo Länsivuori vom Motorrad gerempelt, damit sein MV-Agusta-Teamkollege Agostini die 350er-WM gewinnt.

Heute wird nicht einmal toleriert, wenn ein aufgebrachter WM-Leader die Ideallinie verlässt.

Casey Stoner hat Recht, wenn er die Entscheidungen der Race Direction als nicht stabil, als nicht ausgeglichen und als inkonsequent bezeichnet.

Jorge Lorenzo wurde 2006 nach einem Foul in Motegi für Japan gesperrt.

Wenn Rossis Manöver wirklich so schlimm war, hätte er ebenfalls eine Sperre davontragen müssen.

Das wäre aber schlecht fürs TV-Geschäft gewesen.

Dazu reden beim Urteil womöglich noch Fahrer wie Capirossi mit, der sich 1998 selbst zum WM-Titel gerempelt hat und 1990 in Australien durch eine italienische Allianz gegen Hans Spaan und Stefan Prein 125-ccm-Weltmeister geworden ist. Die Landsleute Gresini, Romboni und Gramigni traten damals als Scharfrichter auf, einer fuhr Prein gleich am Startplatz den Schalthebel weg.

Und 1982 beim 250-ccm-WM-Finale in Hockenheim stellte sich ein halbes Dutzend Franzosen bei Tournadres Kampf um die 250er-WM gegen Toni Mang, um dessen Titelgewinn zu vereiteln. Einer nach dem anderen liess Landsmann Jean-Louis Tournadre vorbei, bis der Yamaha-Fahrer genug Punkte für den Titelgewinn hatte.

Strategische Allianzen wurden also auch in der Vergangenheit geschmiedet. Sie sind verwerflich, werden sich aber nicht vermeiden und verbieten lassen.

Und wenn Rossi wegen Herbeiführens eines Sturzes in Sepang drei Strafpunkte bekam: Wie viele Penalty Points kriegt dann der neue Reifenlieferat Michelin für die 25 Stürze in zwei Tagen beim Valencia-Test?

Eines ist klar: Das Klima zwischen Rossi und Márquez bleibt auch 2016 vergiftet. Honda wird den Spanier weiter vehement verteidigen, was auch immer er anstellt.

Rossi und Lorenzo sind erwachsen, sie werden sich arrangieren.
Márquez muss noch kapieren, dass die MotoGP-WM kein Krieg ist, sondern ein sportlicher Wettbewerb.

Er hat sich jedenfalls in den letzten zwei Wochen keine Freunde gemacht. Ein wahrer Champion sollte nicht nur grenzenlose Bessenheit, viele Siege und WM-Titel vorweisen, sondern auch Charisma und ein bisschen Sportsgeist.

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