Marelli-Software: «Honda arbeitet Tag und Nacht»
LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello erhoffte für seinen Haudegen Cal Crutchlow vor einem Jahr für die Saison 2015 einige Podestplätze wie in dessen Tech3-Yamaha-Saison 2013, als der Brite beim GP von Deutschland schon den vierten Top-3-Platz eroberte.
Als WM-Achter mit einem Podestplatz erfüllte Cal Crutchlow die Erwartungen nicht, denn 2015 war ein mühseliges Jahr für die Honda-RC213V-Truppe.
Das zeigte sich auch an Mac Márquez, der 2014 stolze 13 WM-Rennen gewann, 2015 nur fünf.
«Ausserdem braucht Cal immer einige Zeit, bis er sich an ein neues Fabrikat gewöhnt hat, das war bei Yamaha so und bei Ducati auch», hält Teambesitzer Cecchinello fest.
Auch beim Sepang-Test begann Crutchlow als Zehnter des ersten Tages mit 1,9 sec Rückstand zögerlich. Am zweiten Platz rückte er auf Platz 5, war aber schon zweitbester Fahrer mit den harten B-Compound-Reifen von Michelin. Und am dritten Tag übertraf Cal die Erwartungen: Er lag lange vor Márquez an dritter Stelle und wurde dann vom Repsol-Honda-Star nur um 0,101 sec übertrumpft und auf Platz 4 verwiesen.
«Am ersten Tag war alles neu für uns. Wir haben uns bemüht herauszufinden, wie diese neue Einheits-Elektronik funktioniert. Bevor wir uns zum Bespiel auf eine grosse Änderung beim Set-up der Traction-Control einliessen, haben wir uns Zeit genommen und ein paar kleine Schritte gemacht. Wir haben also länger gebraucht, um bei der neuen ECU auf ein Level zu kommen, das Cal gefiel, mit dem er etwas anfangen konnte», verriet Cecchinello gegenüber SPEEDWEEK.com.
Dazu hatten etliche Teams (Repsol-Honda, Ducati und Aprilia) im November noch einen Drei-Tage-Test n Jerez absolviert, bei dem die Honda-Kundenteams fehlten – auch Marc VDS.
«Ausserdem wissen wir von Cal, dass er nicht gern Risiken eingeht, wenn das Bike noch nicht ordentlich abgestimmt ist. Er gibt erst dann 100 Prozent, wenn er das Motorrad richtig spürt und wenn ein Anlass dazu besteht. Also nicht unbedingt am ersten Tag nach der Winterpause», erklärte Lucio, der selbst sieben 125-ccm-GP-Siege gefeiert hat.
Befindet sich die Motorsteuerung von LCR auf demselben Level wie jene von Repsol? Bekommen die Kundenteams von HRC alle Daten? Oder müssen wie selber erarbeitet und eingespeist werden?
Cecchinello: «Wir sind bei der Software jetzt auf Entdeckungsreise. Diese Software muss man sich als grosse Box vorstellen, für die jeder Hersteller einige Applikationen beisteuert. Das sind Werkszeuge, um diese Software zu verbessern. Da die Honda-Ingenieure aus dem Werksteam keine Erfahrung mit dieser Marelli-ECU haben, besteht jetzt Aufholbedarf.»
Aber Honda hatte doch zwei Jahre lang vier bis fünf Open-Class-Fahrer mit der Einheits-ECU? «Das ist richtig», räumt Cecchinello ein. «Aber die HRC-Techniker haben sich nicht sehr darum gekümmert. Sie haben diese ECU aus irgendeinem Grund nicht stark beachtet. HRC hatte 2015 wichtigere Prioritäten, deshalb wurde dieser Software wenig Zeit gewidmet. Ausserdem wusste die HRC-Mannschaft, dass die 2016-Software ein Upgrade von der 2015-Open-Class-Software sein würde. Jetzt haben sie gemerkt, dass sie es mit einer sehr, sehr grossen Box zu tun haben, in der sich eine Menge Applikationen befinden. Jetzt muss herausgefunden werden, was diese Applikationen erlauben und welche Vorteile in ihnen stecken. Es muss entdeckt werden, welchen Input die anderen Werke geleistet haben und was damit bezweckt wurde. Die Honda-Ingenieure studieren diese Software noch.»
Cecchinello: «Wir haben von HRC für Sepang einige Mappings erhalten. Einige Mappings haben wir selber entwickelt. Man kann sagen, dass wir Tag für Tag sehr regelmässig neue Mappings von Honda erhalten. Sie arbeiten unermüdlich. Ich kann dir verraten, dass ich die Box in Sepang zweimal um 4 Uhr früh und einmal um 1.30 früh verlassen habe. In der HRC-Box herrschte zu diesem Zeitpunkt jeweils noch emsige Betriebsamkeit.»
Lucio hebt sein Iphone vom Schreibtisch auf und und scrollt durch die Fotodateien. Dann zeigt er ein paar Bilder aus der Sepang-Box; sie zeigen eine stockfinstere Nacht und die beleuchteten Boxen von LCR und Repsol. «Das war in der Nacht auf Mittwoch um 2 Uhr früh», stellt er fest. «An allen anderen Boxen war es längst finster. Honda arbeitet fleissig.»