Ducati Desmosedici und V4R: Das sind die Unterschiede
Die Ducati Desmosedici und V4R
Beide Ducati-Werksrenner sind Motorräder mit V4-Motoren, doch schon die Planungsphase zum Aufbau der Motorräder lässt sich kaum vergleichen. MotoGP-Rennmotorräder sind Prototypen, die gemäß Reglement nicht auf einem Serienmotorrad basieren dürfen, bei den Superbike-Rennmaschinen ist es gerade umgekehrt: Sie müssen einem käuflichen Serienmotorrad entsprechen.
Wenn ein Hersteller mit einem neuen Motorrad an der Superbike-WM teilnehmen will, müssen vor Saisonstart 125 Stück gebaut sein, am Ende der ersten Saison 250, am Ende der zweiten Rennsaison deren 500. Diese müssen zum Stückpreis von aktuell maximal 44.000 Euro (inkl. Steuern) frei käuflich sein. Die Erbauer von MotoGP-Rennmaschinen bauen dagegen so viele, wie für den Renn- und Testbetrieb benötigt werden. Sie können ihre Maschinen anderen Teams verkaufen oder verleasen und sind dabei frei in der Gestaltung von Preisen und Bedingungen. Ducati zum Beispiel verleast die letztjährigen Werksrenner Desmosedici an die Teams Mooney VR46 und Gresini Racing.
Die Produktionsabläufe für ein Motorrad, von dem 500 Stück oder mehr gebaut werden sollen, unterscheiden sich fundamental vom Bau von MotoGP-Einzelstücken. In der MotoGP 2023 fahren vier Fahrer eine Ducati Desmosedici 23, dazu weitere vier Fahrer eine Desmosedici 22. Da pro Fahrer zwei Motorräder erlaubt und auch benötigt werden, dazu weitere Motorräder für das Testteam, wurden wohl auf die 2023er-Saison nicht mehr als ein Dutzend Desmosedici 23 gebaut. Für solche Stückzahlen macht zum Beispiel der Bau von Druckguss-Formen keinen Sinn, man stellt die Motorgehäuse im Sandgussverfahren her oder fräst sie aus Vollmaterial heraus. Für kleinere Teile bietet sich das Laserdruckverfahren an. Diese zeitaufwendigen Produktionsprozesse kommen nicht infrage, wenn mehrere Hundert Stück zu fertigen sind.
In der MotoGP ist die Anzahl der Motoren pro Saison und Fahrer per Reglement auf sechs beschränkt. Bei 19 Rennen pro Saison und zusätzlichen Testfahrten muss ein Motor vier Rennwochenenden ohne verschleißbedingten Leistungsverlust durchhalten. Ungleich höher sind die Anforderungen an ein Motorrad, das als Homologationsbasis für die Superbike-WM dient: Im Straßeneinsatz wird eine Lebensdauer von zehn Jahren oder 100.000 km erwartet. Ein Trackday-Fahrer, der dieses Hobby intensiv betreibt, will drei oder vier Saisons fahren können, bis er den Motor revidieren muss. Ducati gibt für die V4R eine Garantie von 24 Monaten ohne Kilometerbegrenzung.
Das Leistungsniveau kann deshalb in der MotoGP ungleich höher sein. Für die Desmosedici 23 werden 275 PS und eine Maximaldrehzahl von 18.000/min kolportiert. Bei gleichem Hubraum und den gleichen Massen für Bohrung x Hub – 81 x 48,4 mm – gibt Ducati für die Superbike-Homologationsmaschine Panigale V4R 240 PS bei 15.250/min an (mit Racing-Auspuff und speziellem Motorenöl), im sechsten Gang lässt die Elektronik 16.500/min zu.
Gigi Dall’Igna, General Manager von Ducati Corse, hätte den V4 der Desmosedici wohl längst noch kurzhubiger ausgelegt, doch das verbietet das MotoGP-Reglement. Mit der Beschränkung der Bohrung (von Vierzylinder-Motoren) auf 81 mm (und damit indirekt des Hubs) wurde die Entwicklung von immer höher drehenden Motoren eingebremst, mit dem Ziel, die Kosten nicht ausufern zu lassen. Höhere Drehzahlen ziehen immer auch höheren Verschleiß und damit höhere Kosten nach sich.
Für den Sportfahrer bietet Ducati als Großserienmotorrad die Panigale V4 an, mit einem Hubraum von 1103 ccm. Deren V4 bietet dank relativ kleinen Einlasskanälen und moderaten Ventilsteuerzeiten ein breites Drehzahlband, sanften Leistungseinsatz und gut dosierbare Power mit einem Spitzenwert von 215,5 PS bei 13.000/min unter Einhaltung von Euro5. Da das Hubraumlimit bei 1000 ccm liegt, darf dieser Motor nicht in der Superbike-WM eingesetzt werden.
Die in der Superbike-WM eingesetzte Ducati Panigale V4R kommt bei gleicher Bohrung von 81 mm und einem von 53,5 auf 48,4 mm verkürzten Hub auf die geforderten 998 ccm. Rechnerisch würden durch zehn Prozent weniger Hubraum rund 193 PS resultieren – für Spitzenplätze in der Superbike-WM viel zu wenig. Ducati hebt die Leistung der V4R durch zahlreiche, teilweise kostspielige Maßnahmen auf 240 PS bei 15.500/min an.
Für diesen rechnerischen Leistungssprung von 47 PS oder 24 Prozent braucht es unter anderem Titanpleuel, leichtere Kolben mit nur einem Kolbenring, einen Zylinderkopf mit größeren Kanälen und kürzeren Ansaugwegen, kompaktere Drosselklappengehäuse, eine für den Einsatz auf der Rennstrecke optimierte Elektronik und eine Trockenkupplung. Dazu kommen ein für den Renneinsatz optimiertes Aerodynamik-Paket, Lenkungsdämpfer, Gabel und Federbein von Öhlins und ein Fahrwerk, das zahlreiche Einstellmöglichkeiten bietet.
Ein Teil dieser Entwicklungsarbeit wurde wieder zunichtegemacht mit der Balance-Regel, die in der Superbike seit 2018 gilt: Ist ein Motorrad zu überlegen, wird dessen Maximaldrehzahl reduziert. Dies kam in diesem Jahr bei Ducati zur Anwendung: Nach den ersten drei Rennwochenenden wurde die Maximaldrehzahl der V4R von 16.100 auf 15.850/min reduziert, nach dem sechsten Meeting um weitere 250/min auf 15.600/min.
Die spezifischen Änderungen an der V4R machen nur Sinn im Rennsport, weshalb die meisten dieser Maschinen wohl von Rennteams und Rennfahrern gekauft werden – und von Sammlern. Auf der Straße und selbst an Track-Days ist die Panigale V4 bzw. V4S das für die meisten Fahrer besser geeignete Motorrad, zu haben ab 25.490 Euro. Für die Rennsport-Basis V4R sind in Deutschland 43.990 Euro hinzublättern, mit Racing-Auspuff und Karbon-Kupplungsdeckel sind gar 52.874 Euro fällig.
Als Anhaltspunkt, was eine MotoGP-Rennmaschine kostet, können die zwei RC16 Werksmaschinen von 2019 dienen, die KTM 2020 zum Stückpreis von 288.000 Euro anbot. Wir schätzen jedoch, dass die realen Herstellungskosten mit Seamless-Getriebe, pneumatischer Ventilsteuerung, Karbonbremsen und Magnesiumrädern, weiterem Leichtbau mit exotischen Materialien und inklusive der Entwicklungskosten von Elektronik und Aerodynamik bei mindestens einer Million Euro zu stehen kommen.