Seitenwagen-WM: Gespann-Papst Louis Christen ist 75
Louis Christen (li.) mit Bruno Holzer beim Sidecar-Festival 2020 in Oschersleben
31 WM-Titel konnte die kleine aber hochtechnisierte Manufaktur aus dem schweizerischen Rheineck in den letzten gut 40 Jahren in der Sidecar-Kategorie feiern. Hinzu kommen alle vier Weltcup-Titel in den Jahren von 1997 bis 2000, als die Seitenwagen keinen WM-Status hatten. Fahrer wie Rolf Biland, Egbert Streuer, Steve Webster, Tim Reeves, Ben Birchall und Pekka Päivärinta gewannen allesamt mehrere Titel mit Fahrwerken aus dem Hause LCR. Im vorigen Jahr gewannen Louis Christens Landsleute Markus Schlosser/Marcel Fries ihren ersten Sidecar-WM-Titel mit einer LCR-Yamaha.
Obwohl es immer ein paar weitere Hersteller gab und gibt, setzt nach wie vor das Gros der Szene Sidecars des ständigen Entwicklers und Tüftlers Louis Christen ein. Das ist international wie national so, angefangen von der Weltmeisterschaft über die nationalen Serien auf fast allen Kontinenten. 1971 baute Louis Christen sein erstes Chassis in Monocoque-Bauweise für seinen Formel V und fuhr in dieser Serie, aus der ab 1973 die Formel SuperV wurde, selbst bis 1975 auf vier Rädern.
1976 folgte das erste LCR-Gespann mit genietetem Alu-Blech und 1978 feierte Louis Christen seinen ersten großen Erfolg im Gespannsport, als Bruno Holzer/Charly Meierhans in Spa-Francorchamps den ersten Grand-Prix-Sieg auf einer LCR-Yamaha errangen. Am Saisonende wurden sie WM-Dritte.
Ein Jahr war die Seitenwagen-Weltmeisterschaft zweigeteilt. In der Klasse B2A fuhren herkömmliche Gespann und in der B2B tummelten sich neuartige teilweise recht abenteuerliche Konstruktionen. In dieser hatten Bruno Holzer/Charly Meierhans am Jahresende die meisten Punkte eingefahren eröffneten somit den Reigen an LCR-WM-Titeln.
Seit dem wuchs die Titelsammlung stetig. «Ich konzentrierte mich dann auf den Gespannsport. Das ist so eine Nische, die ich optimal bedienen wollte. Früher habe ich auch mal Fahrwerke für Solo-Motorräder gebaut. Auch hier waren wir sehr erfolgreich. So haben wir mal an einem Tag drei GP-Siege errungen», blickt Louis Christen auf eine sehr bewegte Phase seines Schaffens zurück. Für die 80- und die 125-ccm-Klasse sowie die Seitenwagen baute er Chassis, sodass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Fahrerlagers mit LCR unterwegs waren.
Den Dreifach-Triumph bescherten Louis Christen am 3. August 1986 Ian MCConnachie bei den 80ern auf einer Krauser, August Auinger bei den 125ern mit seiner MBA-Bartol und bei den Seitenwagen Egbert Streuer(/Bernhard Schnieders mit ihrer LCR-Yamaha. Für Zündapp, dem Vorgänger der 80er-Krauser, baute Louis Christen von Beginn an die Fahrwerke.
«Aber wir hatten einen schweren Stand gegen die Werke. So durfte es später, als Honda wieder in die 125-ccm-Klasse kam, nicht sein, dass ein schneller und erfolgreicher Pilot mit einem LCR-Rahmen gewinnt. Diese Fahrer wurden dann teilweise mit Material blockiert und haben dann aus Furcht nicht mehr bei mir bestellt. Werksmotoren mussten halt in Werksrahmen erfolgreich sein. Daraufhin habe ich den Solomotorrädern abgeschworen und mich lieber auf die Gespanne konzentriert», erzählte der heutige Jubilar einst.
Den Bau eines Gespannes beziffert er mit rund 400 Arbeitsstunden. Die Produktionszeit bei den Zulieferern ist dabei nicht mitgerechnet.
Doch auch im Dreiradsport fand Louis Christen immer wieder neue Herausforderungen. So setzte er nicht ausschließlich auf die uns bekannten langen Gespanne. Auch bei den in England, und hier speziell auf der Isle of Man, weit verbreiteten kürzeren und wendigeren so genannten F2-Gespannen avancierte er schnell zum Marktführer. «Nun, man muss halt immer am Ball bleiben, die Gespanne stets weiter entwickeln und ganz genau zuhören, welche Erfahrungen die Kunden mit meinen Produkten machen», so der ungekrönte Gespannpapst.
Inzwischen hat sich Louis Christen zur (Un-)Ruhe gesetzt und den LCR-Bau 2018 an die Birchalls übertragen. Lehren, Zeichnungen, Konstruktionsunterlagen, Teile aus seinem Lagerbestand sowie vor allem sein überdimensionales know how gingen nach England. Auch seine Lieferanten, größtenteils aus der Schweiz, hat er den Birchall-Brüdern vermittelt. «Verkauft ist nicht das richtige Wort. Eigentlich habe ich bei ihnen eher investiert, denn ich will ja, dass es mit dem Gespannsport weitergeht.»
Seine Werkstatt hat er inzwischen halbiert und restauriert nun alte Rennwagen, die er selbst gefahren ist. Auch an alten Gespanne arbeitet er aktuell, sogar an seinem heutigen Geburtstag: «Ich habe seit vier Jahren das Gespann von Egbert Streuer von 1986 von einem Kunden aus Frankreich bei mir. Er wartet schon seit vier Jahren darauf. Jetzt habe ich ihm die Fertigstellung für Ende März versprochen», erklärt er an seinem Ehrentag von der Werkstatt aus. Und weiter: «Auch das Biland-Gespann von 1979 muss ich noch für Klassik-Veranstaltungen herrichten. Es geht mir aber nicht primär, um Geld zu verdienen, sondern noch einiges aus der alten Zeit zu retten.»
Wann immer es seine Zeit und die Corona-Maßnahmen zulassen, reist er nach wie vor zu den Sidecar-Rennen. Weiter beste Gesundheit und viel Spaß am Gespannrennsport, lieber Louis!