Formel 1: Max Verstappen – Chancen verspielt?

Sauerstoff für Champion Loeb

Von Christophe Couvrat
Der Peugeot 208 T16 Pikes Peak erinnert Sébastien Loeb ein wenig an ein Flugzeug. Insofern erwartet ihn im Ziel auch die passende Verpflegung.

Am 30. Juni wird Sébastien Loeb versuchen, endgültig zur Legende zu werden: Der neunfache Rallye-Weltmeister will den Rekord hinauf auf den Pikes Peak brechen, im wohl berühmtesten Bergrennen der USA, auch «Race to the Clouds» genannt. In Colorado erwarten den Franzosen knapp 20 Kilometer Asphalt, 156 Kurven und 1500 Meter Höhenunterschied. Peugeot hat Loeb für dieses Rennen ein unglaubliches Auto gebaut, 875 PS, Allradantrieb, 240 km/h schnell. Und möchte auf dem Pikes Peak eine Erfolgsgeschichte neu schreiben.

Mit einem Mal heult da etwas auf, in der Ferne im Wald. Rau und kehlig geht es durch Mark und Bein, wohl ein wildes Tier, das seine Wut und seinen Schmerz loswerden will. Immer näher jagt die Bestie durchs Gehölz, klingt immer bösartiger und wird plötzlich sichtbar: Schwarz und geduckt hetzt sie heran – auf vier Rädern – und ist auch schon wieder verschwunden.

Neuer Glanz für die Marke mit dem Löwen

An diesem Frühlingsmorgen erwacht die friedliche, 150 Kilometer von Paris entfernt gelegene Ortschaft La Ferté-Vidame am Rande des Naturparks Perche auf besondere Art aus ihrer Verschlafenheit. Die Tiermaschine ist in Wahrheit ein Rennwagen, ein Peugeot 208 T16. Ein Einzelstück, von Peugeot Sport speziell für das berühmte Bergrennen Pikes Peak International Hill Climb im US-Bundesstaat Colorado konzipiert und entwickelt. Heute wird es letzten Tests unterzogen, einer mechanischen Jungfernfahrt sozusagen, auf dem nach außen hin hermetisch abgeriegelten Testgelände des PSA-Konzerns, auf dem die neuesten Modelle von Peugeot (und auch Citroën) getestet werden. Die Anspannung der Techniker, die in geordneter Hektik dieses Batmobil umschwirren, ist deutlich spürbar. Peugeot und Pikes Peak – das ist eine symbiotische Beziehung, getrieben von Adrenalin und zugleich sehr fragil.

Im kollektiven Gedächtnis der Motorsport-Community ist Peugeot, die Marke mit dem Löwen, vor allem dank zweier Modelle präsent: 205 T16 und 405 T16, die in der Rallye Dakar und bei der Rallye-Weltmeisterschaft Sieg auf Sieg aneinanderreihen konnten. Am Steuer saßen Ari Vatanen, Timo Salonen und Juha Kankkunen, drei finnische Draufgänger, die der Legende Glanz verliehen: Zwischen 1985 und 1990 holte Peugeot sowohl den Fahrer- als auch den Konstrukteurstitel in der Rallye-WM und sicherte sich viermal in Folge den Sieg in Dakar.

Moralspritze für die Peugeot-Truppe

Irgendwann konnte Peugeot Motorsport dem Lockruf des Rennens auf den Pikes Peak nicht länger widerstehen. Und so verschiffte man einen 700 PS starken 405 T16 in die USA und kam mit zwei Siegen aus Colorado zurück, eingefahren 1988 vom unersättlichen Ari Vatanen (in Rekordzeit) und im Jahr darauf vom Amerikaner Robby Unser. Das Medienecho war gewaltig, zeigte Auswirkungen unverhofften Ausmaßes, beinahe im Grenzbereich des Unterbewussten.

Nach der Einstellung des Langstreckenprogramms (mit dem Modell 908) im letzten Jahr geht es nun darum, die Moral der Peugeot-Truppe mit etwas Lorbeer zu heben. Die Wahl fiel auf einen One-Shot, der relativ simpel aufzubauen ist und international zu Recht für Aufsehen sorgt.

Ein Pikes-Peak-Revival? Bruno Famin, 51, Geschäftsführer von Peugeot Sport, verteidigt die Entscheidung: «Dieses Bergrennen ist einfach Teil unserer Geschichte. In unseren Werkstätten hatten wir die 205-T16-Weiterentwicklungen 1 und 2 und die 405 T16 von Pikes Peak. Seit Jahren schon träumten alle davon, mit denen noch einmal etwas zu machen.» Der Ende 1989 – vor dem letzten Sieg in Dakar – zu Peugeot gestoßene Famin ist nun der Kopf hinter dem Comeback auf den Straßen des höchstgelegenen Rennens der Welt: Gestartet wird auf 2862 Meter Seehöhe, das Ziel liegt auf 4301 Metern. «Nach Einstellung des Langstreckenprogramms waren viele Mitarbeiter ziemlich frustriert», so Famin. «Wir haben uns gefragt: Was für Möglichkeiten haben wir jetzt?»

«Ein Kultrennen, das keine Fehler verzeiht»

Es galt zu beweisen, dass Peugeot noch immer eine feste Größe im Motorrennsport ist. Und schnell entspann sich eine Diskussion über die Silhouette. Famin: «Ich wollte eine Außenhaut, die einem Serienwagen ähnelt. Ich besprach die Sache mit den Produkt- und Marketingexperten. Die Zeit verging, und es kam keine Antwort. Also habe ich mich für den 208 entschieden.» Im September 2012 wurde Maxime Picat Geschäftsführer von Peugeot. Der neue Boss, der in einem Konflikt zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und sozialen Härten mit unangenehmen Folgen steckte, war begeistert von dem Gedanken, Peugeot über Pikes Peak zu neuem Glanz zu verhelfen.

Gleich bei seiner ersten Begegnung mit Maxime Picat hatte Peugeot-Motorsportleiter Famin diesem von seiner Idee erzählt: Picat war sofort von dem Projekt angetan und gab Anfang November 2012 grünes Licht. Famin: «Das ist ein Kultrennen, das sich kein Team entgehen lässt. Und es ist eine Herausforderung, die keine Fehler verzeiht – genau von der Art, die Peugeot immer gerne annimmt. Wir haben nur ein Ziel: den Sieg!»

Altes Herz: Der 3,2-Liter-V6-Biturbo-Benziner

Der Countdown begann. Pikes Peak sollte bereits sieben Monate später stattfinden, am 30. Juni 2013. Ein lächerlich kurzer Zeitraum in der Welt des Motorrennsports, wenn es darum geht, ein Auto von A bis Z neu zu entwickeln.

Alles muss schnell gehen: Ein Motor muss gefunden werden, ein Chassis, ein Fahrer, ein Team. Das Triebwerk holt man aus dem Konzernregal: einen 3,2-Liter-V6-Biturbo- Benziner, der 2000/2001 für das 24-Stunden-Rennen von Le Mans konstruiert wurde. Was rund um die Uhr durchhält, sollte mit den knapp zehn Minuten auf den Pikes Peak keine Probleme haben. «Wir hatten auch kurz an den V8 HDI gedacht, aber es wäre sehr kompliziert gewesen, diesen Dieselmotor in einem 208 unterzubringen», so Projektleiter Jean-Christophe Pallier, Famins rechte Hand. «Der ältere Motor gab uns mehr Spielraum in Bezug auf die Leistung. Und er ist eben kompakter.»

Pro Kilogramm ein PS

In den Werkstätten von Peugeot Sport in Vélizy dachte in diesen Tagen einer besonders intensiv an den 208 T16: Attila Bocsi. Der einstige Rallye-Fahrer ist zum Chefdesigner des Wagens aufgestiegen, der die beste jemals am Pikes Peak gefahrene Zeit in der offenen Klasse (9:46,164 min) unterbieten soll. Der 45-jährige Bocsi ist stolz auf die ihm anvertraute Aufgabe.

«Alle wissen, dass Design meine Leidenschaft ist», sagt er. «Ich bin seit 2001 bei Peugeot und habe eine Menge Modelle gezeichnet. Ich war begeistert, dass sie mich für diesen Job wollten.» Bocsi sorgte von Anfang an dafür, dass der 208 die richtigen Formen annahm. Muskulös wirkt er, kräftig, dominiert von seinem Spoiler und einem Heckflügel, der wie das Leitwerk eines Tarnkappenflugzeugs aufragt. Oder ist der Vergleich mit einem UFO zutreffender? «Bei den Kotflügeln habe ich vielleicht ein bisschen dick aufgetragen», lacht Bocsi.

So viele Elemente wie möglich wurden vom Peugeot 908 übernommen, dem Langstreckenmodell, das die letzten Jahre vor allem in Le Mans eingesetzt wurde. Bei einem Gewicht von 875 Kilo wurde die PS-Zahl gegenüber dem «alten» V6-Motor auf 875 erhöht. Famin: «Das war unser Ziel: pro Kilogramm ein PS.» Der Wagen besitzt Allradantrieb – obwohl seit 2012 die gesamte Strecke schotterfrei ist –, geschaltet wird über ein sequentielles Sechsganggetriebe, und von 0 auf 100 km/h beschleunigt der Wagen in 1,8 Sekunden. Höchstgeschwindigkeit: 240 km/h. Mehr ist bergauf nicht notwendig.

Neue Sphären für Maestro Loeb

2013 feiert Peugeot das hundertjährige Jubiläum seines ersten Sieges bei den 500 Meilen von Indianapolis (1916 und 1919 gewann man ebenfalls). Ein bemerkenswertes Detail, das in Vergessenheit geraten ist: «Kaum jemand weiß, dass Peugeot einmal in Indianapolis gesiegt hat, geschweige denn dreimal», so Famin.

Ein Erfolg am Pikes Peak im Jubiläumsjahr? Diese Herausforderung motiviert wohl auch Sébastien Loeb. Für den besten Rallye-Fahrer aller Zeiten hat Bruno Famin im Übrigen an alles gedacht. Der Gitterrohrrahmen unter der Kevlarhaut ist eine stabile Sicherheitszelle: «Selbst wenn er sich drei Minuten lang überschlägt, wird ihm nichts passieren.» Und im Ziel wird es auf jeden Fall Sauerstoff geben: So hoch hinauf wie auf den Pikes Peak musste Maestro Loeb bislang noch nie.

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