Rallye-Star Sébastien Loeb: Zurück zum Start
Sébastien Loeb, wenn Sie in sich hineinhören: Spreche ich mit einem neunfachen Weltmeister, oder spreche ich mit einem Rennfahrer?
Sie sprechen mit einem Rennfahrer. Wenn ich morgens aufstehe, dann sage ich nicht zu mir selbst: «Ich bin neunfacher Weltmeister.» Klar, das ist etwas, auf das man stolz sein kann, aber ich denke gar nicht mal so oft dran.
Sie hätten 2013 mit knapp 40 Jahren als König des Rallye-Sports in den Ruhestand gehen können. Stattdessen haben Sie sich einer neuen Disziplin gewidmet – und damit Ihren Nimbus aufs Spiel gesetzt. Wie groß war der innere Kampf vor dieser Entscheidung?
Viel kleiner, als Sie vielleicht denken. Ich bin Rennen nie gefahren, weil ich jemand Bestimmtes sein wollte. Ich fuhr Rennen, weil Rennen zu fahren meine Leidenschaft ist. Irgendein Image zu bewahren ist doch kein Ziel. Mein Ziel ist es, mein Leben so zu leben, wie ich es gut finde. Spaß am Fahren, Ehrgeiz, Kampfgeist, das treibt mich an.
Wie fühlt man sich, wenn man sich von einer Legende in einen Anfänger verwandelt hat?
Das Gefühl ist prinzipiell dasselbe. Zumal man sich nicht damit beschäftigt, sich selbst zu beobachten. Sondern weil man daran arbeitet, seine Leistung und seine Ergebnisse zu verbessern.
2014 und 2015 traten Sie in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft WTCC an. Sie behaupteten sich von Anfang an in der Spitze, gewannen einige Rennen – wurden in der Gesamtwertung aber «nur» zweimal Dritter, jeweils hinter dem jungen Argentinier José María López und dem viermaligen Weltmeister Yvan Muller. Wie war es, mit Misserfolg umgehen zu müssen?
Es gibt Momente, in denen man frustriert ist, klar, aber Ergebnisse muss man akzeptieren. López war unterm Strich besser. Das nervt, aber so ist das Leben! Und es hat vor allem nichts am Spaß geändert, den ich dabei hatte, Rennen zu fahren.
Was lernt ein neunfacher Weltmeister aus Niederlagen? Oder lernt er nur noch aus Niederlagen?
Zunächst einmal ging es um eine Erkenntnis: Das Wesen des Rallye-Sports und mein eigenes passen perfekt zueinander. Das Fahren als solches, die Entdeckung, die Improvisation, das Lesen des Geländes. Auf den Strecken der Tourenwagen-WM standen andere Dinge im Vordergrund: Analyse, Beobachtung, Kurve für Kurve, einstudieren, wiederholen. Das war hart
und nicht immer amüsant.
2016 folgte dann der Rallycross-Einstieg. Vom Anforderungsprofil her müsste das ziemlich gut passen?
Ja, dort habe ich das «natürliche Rennfahren» wiedergefunden. Es ist einfach entspannter. Man weiß vorher nie, was einen erwartet, herrlich, nicht? Und dazu kam noch der Faktor der Gegner auf der Strecke. Wenn du in der Rallye der Schnellste bist, dann bist du der Schnellste. Im Rallycross bist du auch von den anderen abhängig. Total spannend. Du sitzt in Kisten, die fast doppelt so stark sind wie WRC-Autos, die Rangelei ist enorm, man muss sich durchsetzen. Fürs TV ist ein solches Format, so eine Show, richtig gut.
Ihre erste Rallye Dakar im Januar 2016 – war das die ultimative Herausforderung für Sébastien Loeb?
Ich ging als Rookie an den Start – genauso wie mein Copilot Daniel Elena, mit dem ich alle neun WRC-Weltmeistertitel eingefahren habe. Die besondere Erfahrung, die es bei solchen Rallyes braucht, die richtige Strecke zu finden, einen Rhythmus zu finden, die hatten wir nicht. Wir mussten gemeinsam bei null beginnen.
Hilft Ihnen der Rallye-Titelrekord nicht wenigstens ein bisschen?
Du beginnst bei null, oder nahezu. In der Rallye Dakar gibt es kein detailliertes Roadbook. Man stürzt sich nur mit groben Koordinaten ins Abenteuer und begibt sich an unbekannte Orte. Im offiziellen Handbuch steht zum Beispiel, dass wir zehn Kilometer durch Urwald zurücklegen müssen und irgendwann auf eine Straße treffen werden. Erst zehn Kilometer, dann 500 Meter, 400 Meter, 300 Meter, null Meter– aber weit und breit keine Straße. Und jetzt, was tun wir?
Sébastien Loeb musste also lernen, sich richtig zu verirren?
Das Problem ist nicht so sehr das Verirren. Sogar die Besten verirren sich. Wichtig ist, den richtigen Weg schnell wiederzufinden. Dabei geht’s nicht nur darum, möglichst schnell Auto zu fahren. Sondern überlegt zu fahren, mit dem Copiloten zu kommunizieren, alles gleichzeitig – eine hochinteressante und ebenso komplexe Herausforderung. Daniel und ich haben zwar unsere gemeinsame Erfahrung, aber Rallye Dakar, das heißt: die Art und Weise, wie wir funktionieren, völlig neu denken.
Nach so vielen höchst erfolgreichen Rallye-Jahren mit ihm an Ihrer Seite – wie frustrierend ist es, wenn Daniel im Verlauf der Rallye Dakar ein Fehler passiert? Können Sie so etwas akzeptieren?
Ja, auch wenn es sehr frustrierend ist. Zwei Tage vor dem Ende der Seidenstraßenrallye (Silk Way Rally, eine Langstreckenrallye über 10.700 Kilometer, die 2016 von Moskau nach Peking führte; Anm.) hatte Daniel zwei Navigationspunkte verpasst, wir kassierten vier Strafstunden, und die Sieg-Chance war vertan. Das war Teil meines Lernprozesses und jenes von Daniel.
Umgekehrt hängt auch Daniels Triumph von Ihren Fehlern ab, oder?
Natürlich. Als wir uns diesen Januar bei der Dakar überschlagen haben, war das mein Fehler. Aber es bringt nichts, zu fragen, wessen Schuld es war. Jeder muss aus seinen Fehlern lernen!
Unterm Strich: Lohnt es sich also, in fremden Disziplinen neu anzufangen?
Ich lebe meine Leidenschaft aus. Das ist es im Kern. Fahren, das Rennen selbst – das ist das, was ich am meisten liebe und am besten kann. Lohnt es sich also? Ja!
Wir, als Laien, denken, dass ein Ausnahmefahrer per se ein guter Fahrer ist. Ist das so?
Es gibt unterschiedliche Disziplinen – und damit unterschiedliche Arten, gut zu sein. Rallycross und Rallye Raid sind zwei Disziplinen, die mir liegen, obwohl sie im Motorsport völlig konträr zueinander sind: 2-Minuten-Sprint gegen 6-Stunden-Langstrecke, und das mehrere Tage lang.
Wenn Sie mit Ihrem nun reicheren Erfahrungsschatz doch wieder Rallye fahren würden, wären Sie dann ein noch besserer Pilot?
An Effizienz und fahrerischer Finesse habe ich dazugelernt. Aber die Tatsache, seit Jahren keine Rallye mehr gefahren zu sein, würde mich mit Sicherheit mehr kosten, als ich von den in der Zwischenzeit hinzugekommenen Errungenschaften profitieren würde. Was auch immer, Ich weiß es nicht.