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DTM-Chef Berger: «Ich mache jeden Tag zehn Fehler»

Von Andreas Reiners
Gerhard Berger

Gerhard Berger

Gerhard Berger im Interview: Wir haben uns mit dem DTM-Serienchef über die sportliche Situation, die Diskussionen um eine Fortführung, den deutschen Motorsport, Mick Schumacher und Sebastian Vettel unterhalten.
Gerhard Berger, wie egal ist es Ihnen, dass BMW in dieser Saison nur unter außergewöhnlichen Umständen um den Sieg mitfahren kann?

Das ist mir überhaupt nicht egal. Ich hatte gehofft, dass beide Marken auf Augenhöhe fahren. Es war aber nach dem ersten Rennen klar, dass Audi die Hausaufgaben besser gemacht hat. Aber so sollte Motorsport sein: Derjenige holt den Sieg oder die Meisterschaft, der es am Ende auch verdient hat.

Aber wenn bei zwei Marken eine wegfährt, ist das nicht förderlich für die Spannung...

Natürlich wünsche ich mir als Promoter zwei Marken, die bis zum Ende auf Augenhöhe um Siege und Titel kämpfen. Gerade das ist ein zentrales Merkmal der aktuellen DTM: Man kann das nicht steuern. Aber man muss auch akzeptieren, wenn jemand hervorragende technische Arbeit leistet.

Welche Note geben Sie der bisherigen DTM-Saison?

Wir haben im Umfeld viele Diskussionen laufen, die uns leider immer wieder vom Sportlichen wegziehen. Dabei sind unsere Rennen die spannendsten, die der Motorsport im Moment zu bieten hat. Ich würde der DTM deshalb ein gutes Zeugnis ausstellen.

Nach dem Audi-Ausstieg ist die Zukunft der DTM offen. Warum lohnt es sich, immer noch für die Plattform zu kämpfen?

Die DTM-Plattform ist in Deutschland über viele Jahre mühsam aufgebaut worden und sie ist in ganz Europa einzigartig. Das darf man nicht vernachlässigen. Was die Reichweite betrifft, sind wahrscheinlich nur die Formel 1, MotoGP und vielleicht die NASCAR vor uns.

Es wird nun aber seit Monaten diskutiert, ob und wie es weitergehen soll. Wie lange warten Sie noch auf die Entscheidung von Audi und BMW?

Audi und BMW haben die Mehrheit der Stimmrechte im ITR e.V., deshalb müssen sie am Ende entscheiden, ob und wie es weitergeht. Ich habe auf Wunsch der Hersteller verschiedene Szenarien vorgelegt, aber die Entscheidung dauert leider einfach viel zu lange. Es muss jetzt zeitnah Klarheit herrschen, denn wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern. Das ist in der Coronakrise noch wichtiger als zuvor. Ich persönlich möchte es nicht mehr länger mittragen, dass wir die Leute Woche für Woche seit Monaten immer wieder vertrösten müssen. Die Unklarheit ist für diejenigen und ihre Familien, deren Arbeitsplätze an der DTM hängen, eine Katastrophe.

Und wenn es am Wochenende immer noch keine Klarheit gibt?

Als Frontmann stehe ich gerne für Fragen und Antworten zur Verfügung. Allerdings liegt die Entscheidung bei Audi und BMW. Daher sind meine Hände gebunden. In sieben Wochen fahren wir das letzte Saison-Rennen – die Klarheit ist längst überfällig.

Bei solchen Diskussionen geht es immer auch um Geld. Um wie viel geht es?

Egal ob es eine ordentliche Abwicklung oder eine Fortführung gibt – es entstehen immer Verpflichtungen. Die konkreten Details sind Interna, die wir grundsätzlich nicht kommunizieren. Fakt ist, dass sich Audi und BMW als Hersteller aus dem ITR e.V. zurückziehen. Das führt zu neuen Konstellationen und hat weitreichende Konsequenzen - unter anderem auch im Haftungsbereich. Daher ist die Diskussion so komplex. Aber für unser Zukunftsszenario wollen wir möglichst viele unterschiedliche Marken gewinnen. Das wäre die größte Unterstützung bei einer möglichen Fortführung.

Die GT3-DTM ist ja sicher nur eine kurzfristige Lösung. Wie sieht Ihre mittel- und langfristige Planung aus?

Das stimmt - bei der mittelfristigen und langfristigen Lösung muss man sehen, wie sich der Motorsport generell entwickelt, vor allem auch mit Blick auf die Fans. Sollte der Verbrenner noch länger eine Rolle spielen, wäre das Class-1-Reglement ideal. Mit unserem modernen, effizienten Vierzylinder-Turbomotor mit Hybrid-Antrieb, wie wir ihn als Lastenheft bereits in der Schublade haben, und einem synthetischen Kraftstoff wäre das eine ideale Lösung. Sollte die Anforderung aber sein, den Hybridverbrenner zu überspringen, um sofort auf eine vollelektrische Zukunft zu setzen, haben wir auch eine attraktive Lösung parat, an der wir schon kontinuierlich arbeiten.

Kommen Sie und Hermann Tomczyk privat eigentlich gut miteinander aus? Der Eindruck entstand bei der Debatte um eine GT3-Zukunft der DTM zuletzt eher nicht...

Hermann Tomczyk und ich sind Freunde. Wir fahren manchmal gemeinsam Ski, gehen gelegentlich ein Bier miteinander trinken oder zusammen essen. Ich habe mit der Debatte gar kein Problem. Aus meiner Sicht belebt sie das Geschäft. Unter dem Strich lässt sich sagen: In diesem Fall haben wir unterschiedliche wirtschaftliche Interessen. Ich freue mich aber auf das Gespräch beim nächsten Bier.

Seine Aussage, die GT3-DTM schadet angeblich dem Motorsport, hat Sie aber ziemlich verärgert...

Ich glaube nicht, dass die DTM dem deutschen Motorsport schadet. Und GT3 ist ein technisches Reglement, das der FIA gehört und Teilnehmern auf der ganzen Welt zur Verfügung steht. Aus meiner Sicht kann es nicht sein, dass man als ADAC über die Sporthoheit DMSB versucht, den deutschen Motorsport oder einen Markt für sich abzustecken, um sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Es herrscht immer noch ein Wettbewerb. Dem sollten wir uns alle stellen. Darüber hinaus sehe ich uns alle auch in der Pflicht, den Millionen von DTM-Fans attraktiven Motorsport zu bieten. Das ist unsere eigentliche Aufgabe. Bei allen Motorsportarten wäre es wichtig, die Interessen der Fans wieder in den Mittelpunkt zu stellen und nicht die wirtschaftlichen Belange.

Wenn es um die Zukunft geht: Ist es einem dann egal, wenn man möglicherweise die andere Serie kaputt macht?

Den Wettbewerb zwischen den beiden Serien sehe ich gar nicht als so gravierend an. Vielleicht fährt das eine oder andere Team lieber in der DTM. Dann tut es möglicherweise hier oder da finanziell ein bisschen weh, aber das ist für keine Seite vernichtend. Aus meiner Sicht ist die ganze Diskussion künstlich und von wirtschaftlichen Interessen getrieben. Den Zuschauer interessiert sowieso nur die sportliche Komponente. Und am Ende des Tages entscheidet der Fan.

Warum ist eine Zusammenarbeit mit ADAC in dieser Krise wie bei den Motorsport Festivals 2016 und 2017 nicht möglich?

Ich würde das jederzeit wieder machen und hätte damit kein Problem. Aber der ADAC kann bei uns nur im Rahmenprogramm stattfinden. Da und dort könnten wir sicher einen Slot freimachen. Ich gehe aber davon aus, dass das nicht gewünscht ist, weil man seine eigene Struktur bedienen muss.

Was gerne vergessen wird: Jahrelang wurde mit den Japanern am Class-1-Reglement herumgebastelt. Jetzt ist die DTM in Nöten und aus Japan kommt nichts. Wie sauer macht Sie das?

Das ärgert mich schon, keine Frage. Ich bin mir nicht sicher, ob die Japaner das Thema nicht auch unterschätzt haben. Die Strategie war klar: Der Austausch von Autos hätte frühestens 2022 stattfinden sollen. Ich hatte vorgeschlagen zu überlegen, den Austausch der Fahrzeuge um ein Jahr vorzuziehen. Wir hätten auch von europäischen Herstellern die Zusage gehabt, zwei Autos in Japan einzusetzen. Bei den Verhandlungen hat die Mentalität, die auf viel Vertrauen basiert, eine große Rolle gespielt. Deshalb dauert auch alles etwas länger als man es in Europa gewöhnt ist. Letztendlich sind die Japaner bei ihrer Timeline geblieben.

Was ist dann das große Problem, den Schritt ein Jahr vorzuziehen?

Gute Frage. Ein japanischer Hersteller hätte zum Beispiel zwei Autos in Europa einsetzen können. Leider haben wir den Schritt nicht rechtzeitig hinbekommen.

War Class 1 jetzt komplett für die Katz?

Nein, denn wir haben den Fans hervorragenden Motorsport geboten. Die DTM ist auch dank des Reglements ein besonderer Stern am Motorsport-Himmel. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass professioneller Motorsport, der kostenmäßig einigermaßen zu stemmen ist und ohne BOP funktioniert, nur über ein Einheitsbauteile- Reglement funktioniert.

Bleibt Class 1 als Reglement an Bord bei den Zukunftsplanungen?

Ich würde die Tür gerne so lange wie möglich offenhalten. Am Ende entscheidet der Markt, ob es gewollt ist.

Wenn Sie zurückschauen: Welche Fehler haben Sie als DTM-Chef gemacht?

Ich mache jeden Tag zehn Fehler (lacht). Im Ernst: Ich habe mich jeden Tag zwölf Stunden lang bemüht, die Aufträge der Hersteller abzuarbeiten, um die Serie voranzubringen. Wir haben Transparenz und Zufriedenheit geschaffen. Es gibt meinem Gefühl nach wenige Sachen, die überhaupt nicht funktionieren. Die Schwierigkeiten, die wir haben, basieren am Ende auf dem Ausstieg von Mercedes und Audi. Beide Entscheidungen konnte ich nicht beeinflussen.

Hadern Sie damit, dass Sie ausgerechnet diese entscheidenden Dinge nicht beeinflussen konnten?

Ich kann die Entscheidungen nachvollziehen. Was ich im Fall von Mercedes nicht nachvollziehen konnte, war, dass sie mich mit Audi und BMW drei Monate vorher gebeten haben, an Bord zu kommen und die DTM voranzubringen. Mich motivieren solche Herausforderungen aber eher. Inzwischen bin ich mit so viel Herzblut dabei, dass ich auch die aktuelle Situation noch gerne meistern würde.

Was hat Sie in Ihrer Amtszeit überrascht?

Was mich ganz besonders überrascht hat, ist, wie stark der Rückhalt der DTM-Fans ist. Aber auch, dass ich viel mehr Zeit investiert habe, als ich vorher dachte. Motorsport ist mein Leben und in der Zwischenzeit hängt auch mein Herz an der DTM.

Corona sorgt für Krisen bei den Autobauern, nicht nur die DTM, sondern der Großteil des deutschen Motorsports kämpft ums Überleben. Wie sehen Sie die Zukunft?

Der deutsche Motorsport hat im Moment so viel Gegenwind, wie es ihn nur geben kann. Die Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen. Bei der Antriebstechnologie der Zukunft gibt es eine Vielzahl von Konzepten. Das alles frisst Ressourcen und Geld. Hinzu kommt Corona, was für alle Events natürlich eine Katastrophe ist. Trotzdem wird diese Phase irgendwann vorbei sein. Die aktuellen TV-Zahlen bei der DTM zeigen: Die Fans lieben die Emotionen des Motorsports nach wie vor. Deutschland braucht als Automobilland den Motorsport. Aber natürlich sind wir gefordert, das Produkt besser, attraktiver und spannender zu machen. Ich gehe davon aus, dass uns ein, zwei schwierige Jahre bevorstehen, aber blicke generell optimistisch in die Zukunft.

Auch, was den deutschen Nachwuchs betrifft?

Im Kartsport und in der Formel 4 sieht man am ehesten, ob der Unterbau des Motorsports funktioniert. Der Trend bei den Nachwuchsformeln, wie beispielsweise der Formel 4, ist im Vergleich zu früher in Deutschland stark rückläufig. Aktuell sind in Deutschland 15 Teilnehmer am Start. Zum Vergleich: In Italien sind es 22 Teilnehmer - dort ist die Nachwuchsthematik aus meiner Sicht etwas besser gelöst. Ich halte es deshalb im Unterbau für notwendig, dass man sich intensiver mit dem Nachwuchssport befasst. Insgesamt muss man auch den Spaß am Motorsport zurückbringen, um ihn damit wieder zu stärken. Das Kernproblem beim Nachwuchs bleiben die Kosten, die insgesamt aus dem Ruder laufen. Die Coronakrise wird uns aber dazu zwingen, kostensparende Maßnahmen zu treffen. Eine Top-Kartsaison eines Werksteams mit Chancen auf den internationalen Titel kostet bis zu 300.000 Euro. Eine Familie kann sich das nicht mehr leisten und das kann man auch nicht über Sponsoren abdecken. Ich habe bei der FIA vor einigen Jahren die Formel 4 mit ins Leben gerufen. Damals haben wir als Kostenlimit 120.000 Euro ausgerufen, das ist inzwischen um ein Vielfaches mehr. Eine Formel-2-Saison soll zwischenzeitlich über zwei Millionen Euro kosten. Es ist einfach alles viel zu teuer geworden.

In der Formel 2 führt Mick Schumacher die Gesamtwertung an. Ist er reif für die Formel 1?

Er gefällt mir sehr gut und arbeitet sich in jeder Kategorie langsam an die Spitze. Für mich ist es wichtig zu sehen, ob ein Rennfahrer Schwankungen oder ein Meisterschaftsprofil hat. Dass er sich mit Kopf und Ausdauer in die Titel-Position bringt, selbst wenn er am Ende „nur“ Zweiter wird. Das sehe ich bei Mick, auch sein Vater hatte das sehr stark. Ich glaube, dass er reif ist, den Schritt in die Formel 1 zu gehen. Sein Gang, seine Art, seine Arbeitsweise, er ähnelt Michael sehr. Natürlich sind die Fußstapfen extrem groß. Mich freut es aber sehr, wenn Mick Erfolge einfährt und den Weg in die Formel 1 finden wird - natürlich auch für die Familie und für Michael.

Hat Sebastian Vettel mit Aston Martin die richtige Entscheidung getroffen?

Wenn er weitermachen will, ist die Entscheidung richtig. Aston Martin passt vom Namen und vom Image, ebenso die enge Verbindung zu Toto Wolff und Mercedes. Performance ist also da. Lawrence Stroll ist ein guter Unternehmer. Wenn Lance Stroll auf das Podium fahren kann, ist klar, dass Sebastian Vettel in der Lage dazu ist, noch mehr daraus zu machen. Einzelsiege sind drin, ich glaube aber nicht, dass er mit dem Team den Titel anpeilen kann. Aber ich lasse mich gerne überraschen.

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