Gerhard Berger: «Hoffe auf 5 Marken und 20 Autos»
Gerhard Berger
Als der zehnfache GP-Sieger Gerhard Berger (61) 2017 die Führung des DTM-Veranstalters ITR übernahm, dachte er nicht, welche Einschnitte die Tourenwagenserie mit drei deutschen Premiumherstellern erleben würde.
Die kurze Ära der 600 PS starken Turbos ging am Wochenende zu Ende, nun kommt die neue DTM mit GT3-Sportwagen und Privatteams ohne offizielle Herstellerbeteiligung. Doch der Tiroler bleibt weiter Optimist, setzt auf die zusätzlichen vier Säulen mit Elektroautos, historischen Tourenwagen, einer Nachwuchs- und einer E-Sports-Kategorie.
Den Motorsport insgesamt sieht Berger in einem dramatischen Wandel, wie er im Interview mit SPEEDWEEK.com sagt. Und noch ein Jahr ohne Fans «geht gar nicht».
Bist Du froh über das Saisonende in dieser schwierigen Situation oder eher traurig, dass die Zeit der „Class 1“-Turbo-Tourenwagen vorbei ist?
Einerseits bin ich froh, dass sie vorbei ist, denn es war eine Saison ohne die Emotion der Zuschauer. Da stellt sich irgendwann die Frage, wofür machen wir das? Am Ende ja doch für die Fans vor Ort. Man kann das ohne diese besondere Atmosphäre eine Zeit lang auf sich nehmen, aber irgendwann wird es – egal, für welchen Sport – schwierig. Andrerseits war das Class 1-Reglement super und brachte tolle Rennautos hervor. Für einen Motorsportler ist es immer schwierig hinzunehmen, wenn sich ein gutes technisches Regelement nicht durchsetzen kann.
Woran scheiterte das einstige internationale Großprojekt mit Amerikanern und Japanern?
Das war eine Frage des Timings, wir waren wohl zu spät damit dran. Aber es soll sich ja auch die Antriebsstrangtechnologie verändern, somit verlagerte sich der Fokus der Hersteller – die ja hinter dem Sport stehen – durch die Vorgaben der Politik in Richtung Elektro. Daher reichte das Interesse praktisch über Nacht an der bisherigen Technologie nicht mehr aus.
Seit Du die Führung der DTM-Organisation ITR übernahmst, warst Du mit Hiobsbotschaften konfrontiert: Zuerst der Ausstieg von Mercedes, dann nach einem Jahr Aston Martin, dann Audi und dazu noch die Pandemie. Hast Du je überlegt, alles hinzuschmeißen?
Das ist absolut nicht meine Art. Für mich stellte sich eher die Frage: Wie sieht die Zukunft des Motorsports als einer der populärsten Sportarten nach dem Fußball überhaupt aus? Ist es nur eine Frage des Durchtauchens durch die aktuelle Situation oder verändert sich das Interesse der jüngeren Generationen grundlegend? Wichtig ist doch, ob der 20jährige noch sonntags um 14 Uhr Autorennen sehen will oder ob er lieber andere Interessen in seinen Mittelpunkt rückt. Motorsport hat natürlich eine riesige Fangemeinde, aber früher war er eben auch ein wichtiges Hilfsmittel in der Entwicklung von Serienfahrzeugen. Heute übernehmen Simulatoren die Überprüfung von Standfestigkeit oder etwa Zuverlässigkeit. Damit rückt aber eine frühere Kernaufgabe des Rennsports in den Hintergrund. Ich bin überzeugt, dass sich mit dem Elektroantrieb wieder neue Zielgruppen angesprochen fühlen, besonders in der jüngeren Generation. Das hilft, den Wettbewerb insgesamt voranzutreiben. Und wir wollen mit der DTM ab der kommenden Saison noch mehr Lifestyle und Entertainment auf der Plattform bieten, und zwar für die gesamte Familie. Das ist für mich die Zukunft.
Wie siehst Du die sportliche Bilanz der DTM 2020 mit der krassen Überlegenheit von Audi und dem bescheidenen Abschneiden von BMW?
Das war leider ein zentrales Thema dieser Saison. Mein Ziel war eine möglichst große Ausgeglichenheit mit zwei Herstellern auf Augenhöhe, die sich bis zum Finale matchen. Das ging leider schief. Audi machte einen tollen Job, BMW geriet leider ins Hintertreffen.
Wie beurteilst Du die Saison Deiner drei Landsleute Auer, Eng und Habsburg?
Zwei davon (Auer, Eng, Anm.) hatten technisch nicht die idealen Vorrausetzungen. Dagegen zeigte Ferdinand wie erwartet auf, bewies seinen Speed und seine Risikobereitschaft, hatte aber noch Formschwankungen und muss in der Rennform an sich arbeiten. Aber er zeigte sein Talent, was er im Vorjahr bei Aston Martin noch nicht konnte.
Mit wie vielen Marken und Teilnehmern rechnest Du in der DTM 2021 mit Fahrzeugen auf Basis GT3?
Der erste Schritt ist die Erweiterung der Markenvielfalt, die enorm wichtig ist. Ich hoffe schon, dass wir fünf Marken und rund 20 Fahrzeuge am Start haben. Aber der zweite Schritt ist genauso wichtig, nämlich, dass wir wieder den Fahrer in den Mittelpunkt rücken. Der Sportler ist nach wie vor das Zentrum der Aufmerksamkeit und so soll es auch sein.
Im Kalender 2021 scheint wieder der Red Bull Ring auf. Wie fand man wieder zusammen?
Wir waren immer in Kontakt. Nach dem letzten Auftritt (2018, Anm.) gab es keinen wirtschaftlichen Konsens. Für mich als Österreicher und Red-Bull-Freund war es immer ein Ziel, dort zu fahren. Manchmal konnte es nicht umgesetzt werden, jetzt soll es wieder klappen.
Du galtest als Skeptiker des Elektrorennsports, jetzt wird eine E-DTM eine der künftigen Säulen. Was hat sich für Dich verändert, oder ist es eine Folge der politischen Entwicklung?
Da muss man differenzieren. Ich bin kein Skeptiker des Elektrorennsports, mir geht es um die Top-Fähigkeit der Fahrzeuge, egal, aus welcher Antriebsform die Leistung kommt. Wenn diese Leistung aus einem zukunftsträchtigen und nachhaltigen Antrieb kommt, ist das für mich genau richtig, dafür setze ich mich ein. Wenn aber die Leistung zu gering ist, um den Fans ordentlichen Sport zu zeigen, was ich bei der Formel E kritisierte, dann sage ich das auch. Wir wollen deshalb unseren zukünftigen E-Rennsport mit Leistung von bis zu 1000 PS umsetzen (geplant ab 2023, Anm.). Bislang hat sich Elektroantrieb auch in Serienautos noch nicht vollständig durchgesetzt, daher bleibt die Hauptsäule der DTM vorläufig der Verbrennerantrieb, wobei synthetischer Kraftstoff immer wichtiger ist und von uns in Zukunft in der Kombination mit Verbrennern auch eingesetzt wird. Wichtig ist für mich in der Diskussion um Nachhaltigkeit und Zukunft die End-to-End Betrachtung, d.h. dass zum Beispiel beim elektrischen Antrieb hier vom Rohstoff in der Batterie bis zum Recyclen ein nachhaltiger Vorteil ist.
Die DTM kooperiert mit dem AvD, auf der anderen Seite gibt es den ADAC mit dem GT Masters. Befürchtest Du „politische“ Konflikte?
Wir haben uns für den AvD als sportlicher Ausrichter unserer Serien entschieden, weil eine Zusammenarbeit mit dem ADAC wegen Interessenskonflikten nicht funktionieren kann. Der ADAC kontrolliert meiner Meinung nach die deutsche Sporthoheit, er richtet seine eigene Plattform aus und verknüpft diese ja auch mit seinen wirtschaftlichen Interessen. Das muss man akzeptieren. In Deutschland fürchten viele den ADAC. Ich habe da als Österreicher weniger Probleme, aber ich denke im Sinne freier Marktwirtschaft ist unsere Lösung gut.
Du warst immer Gegner einer Handicapformel, die aber nun in der DTM für ein ausgeglichenes Feld sorgen soll. Hast Du Dich damit abgefunden?
Darum mochte ich ja die Class 1 so, weil wir dabei keinen Ausgleich in Form der Balance of Performance (BoP) brauchten. Wir werden eine neue Lösung der BoP unter Berücksichtigung aller technischen Einflüsse und Faktoren auf sehr hohem Niveau bieten. Dazu kommt: Die Markenvielfalt und die verschiedenen Konzepte könnten den Fans schlussendlich mehr Emotionen bieten als bisher.
Du sagtest eingangs, Rennen ohne Fans seien ein großes Problem. Was passiert zum Saisonstart im Mai 2021, wenn wir noch immer diese Situation haben?
Ehrlich gesagt, habe ich mich damit noch nicht auseinandergesetzt. Ich bin Optimist, es ist noch lang bis dahin. Man muss sich das im Frühjahr genau anschauen. Wenn man eine Saison komplett aussetzt, ist das Wiederhochfahren ganz schwierig. Andrerseits – Rennen ohne Zuschauer, das geht eigentlich gar nicht.
Noch eine Frage zur Formel 1. Hast Du mit einer solchen Saison gerechnet?
Es kämpft halt jeder mit seinen Problemen. Die Formel 1 hat seit Jahren einen Seriensieger, so dass die Fans nach dem Start oftmals einschlafen. Wir wissen nicht, in welche Richtung der Motorsport gehen wird.
Wird Red Bull nach 2021 weiter in der Formel 1 sein?
Davon gehe ich aus.
Bist Du nach Deiner Blinddarmoperation wieder fit?
Ja, ich hatte auch nie ein Problem. Aber dann kamen plötzlich die Bauchschmerzen, ich ließ die nach zwei Tagen untersuchen. Der Arzt sagte, es sei ein sofortiger Eingriff nötig. Der wurde im Spital in Kufstein perfekt erledigt, ich war schnell wieder zuhause – und an der Strecke.