Bob Bell: «Nico Hülkenberg ist immens wichtig»
Bob, immer wieder ist davon die Rede gewesen, dass alle Teams mit einem weissen Blatt Papier begonnen haben. Ist das nun Chance oder Risiko?
Für uns ist es eher eine Chance, weil wir so viel Boden gutmachen müssen. Wenn also alle mit neuen Regeln zurecht kommen müssen, dann kann uns das nur recht sein. Wir finden das toll. Und wir glauben, dass wir das Richtige getan haben.
Wir haben so viele neue, aufregende Bereiche am Renner. Kannst du zu einigen davon etwas sagen?
(Lächelt.) Die meisten davon haben uns tüchtig Kopfweh gemacht. Das Problem dabei ist – die Schwierigkeiten sind alle miteinander verbunden, ich nenne das indirekte Probleme. Breiteres Auto, anders geformte Flügel, mehr Abtrieb am Diffusor, das führt zu ganz unterschiedlichen Schwierigkeiten bei der Entwicklung. Was viele auf den ersten Blick vergessen: Die Autos werden so markant schneller, dass auch die Belastung der Autos erheblich grösser wird. Also musst du den Wagen grundsätzlich widerstandsfähiger bauen. Das war nicht ganz einfach. Wir haben ein sicheres Auto gebaut.
Das unterstellt jetzt ein wenig, dass ihr in Sachen Gewicht eher an der oberen Grenze seid?
Nein, das wollte ich damit überhaupt nicht sagen. Wir sind in Sachen Gewicht und Gewichtsverteilung sehr zufrieden. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ein neues Reglement halt viele Grauzonen eröffnet. Wir kennen nicht jedes einzelne Szenario. Ein Beispiel: 2016 hatten wir den Fall, dass Autos beschädigt wurden, nur durch die Kadenz beim Überfahren von Randsteinen. Und das waren bewährte Renner von höchster Qualität. Ein Element der Unwägbarkeit bleibt also immer.
Was bedeutet die neue Modellgeneration für die Entwicklung, die wir erleben werden?
Es wird eine gewaltige Entwicklungsschlacht. Die Teams werden sehr schnell sehr viel lernen, einfach weil es so viele neue Bereiche gibt, in welchen wir zulegen können. Wir stehen ganz am Anfang. Ein Leitthema 2017 wird sein, wer es schafft, nicht nur am schnellsten zu entwickeln, sondern am effektivsten. Wir werden bei jedem Rennen von fast jedem Team neue Teile sehen. Wir erkennen ja im Windkanal, dass wir bei jedem Test gewaltig zulegen. Das müssen wir auf die Rennbahn umsetzen. Wir haben schon beim zweiten Test in Barcelona neue Teile, das Gleiche gilt dann für Australien.
Um wieviel schneller werden die Autos während der Saison?
Ich würde mich wundern, wenn es im Laufe des Jahres nicht eine Sekunde wäre. Ich erwarte eigentlich mehr als das.
Was ist das erste Ziel für den Test in Barcelona?
Wir möchten so viel als möglich zum Fahren kommen, um so viel als möglich über das Auto zu lernen. Wir müssen lernen, wie sich diese neuen Chassis auf die Reifen auswirken. Zunächst müssen die Wagen standfest laufen, dann werden wir schrittweise Tempo zulegen. Die Reifendaten sind noch ein wenig unreif, aus dem simplen Grund, weil wir mit diesen breiteren Reifen und diesen Chassis noch keine Erfahrungen haben. Das ist Neuland, für alle Teams. Wir müssen so bald als möglich lernen, wie wir das Meiste aus den Pirelli-Walzen herausholen können. Das wird eine zentrale Aufgabe sein für einen Rennstall.
Was erwartest du von Nico Hülkenberg?
Nico ist ein sehr erfahrener, sauschneller Fahrer. Er ist für den weiteren Aufbau des Rennstalls enorm wichtig. So wie wir ihn kennen gelernt haben, weiss er nicht nur, was er von einem Renner erwartet, sondern er gibt auch reichlich Informationen, was wir von ihm erwarten dürfen. Du merkst sehr schnell – da ist ein sehr heller Kopf an der Arbeit, mit reichlich Hirnkapazität für die unglaublich komplexen Zusammenhänge in der Formel 1. Nico ist ein ganz zentraler Teil für unsere Entwicklung 2017. Er muss die Richtung vorgeben, wie der Rennwagen weiter entwickelt wird.
Ihr bekommt einen neuen Aero-Chef, Pete Machin. Was erwartest du von ihm?
Ich kenne Pete schon seit Jahren, er kommt im Juli zu uns, von Red Bull Racing. Das ist fabelhaft, er ist ein extrem erfahrener Mann, ein ganz Ruhiger, der nicht das Rampenlicht sucht, dessen Arbeit aber vor RBR schon bei Arrows und Jaguar toll war. Er war ganz wichtig für die tolle Aerodynamik der Rennwagen von Red Bull Racing, daher glauben wir, dass uns da ein grossartiger Fang gelungen ist.
Wo stehst du in der Diskussion um die vernetzten Aufhängungen?
Ich würde nicht sagen, dass das nun klar ist. Es war nie klar. Wir hatten einige Sitzungen, die das Bild ein wenig klarer gemacht haben. Aber das ist noch immer Raum für Interpretation. Ich bin sicher, dass unser System komplett reglementskonform ist. Bei Anderen bin ich mir da nicht so sicher, aber natürlich kenne ich deren Aufhängungen nicht im Detail. Ich finde das alles schade. Da gibt es eine Gummiregel, mit welcher sich gewisse Teams unter dem Vorwand aerodynamischer Regeln einbremsen lassen, und die FIA hat das auch angewandt. Mit dem Massedämpfer ist uns das bei Renault auch passiert. Ich sähe lieber klare Regeln statt nebulöser Auslegungen.