2. Training Ungarn: Ricciardo vorne, Wehrlein-Crash
Gute Bedingungen in Ungarn zum zweiten freien Training: Blauer Himmel, Quellwolken zogen träge vom Horizont heran, blieben aber harmlos. Weniger ideal waren die Bedingungen ausgangs Kurve 4 – der Übergang vom Randstein zur Wiese ist zu hoch, Renault-Fahrer Jolyon Palmer war dort im ersten Training neben der Bahn, worauf der Frontflügel in tausend Stücke zerplatzte. Der Engländer sagt: «Die Fahrer rattern an dieser Stelle die ganze Zeit über die Randsteine, aber die Senke war früher nie so tief. Die Kurve ist schwierig, es ist leicht, zu weit nach rechts zu geraten. Dort muss nachgebessert werden.» Die FIA prüft derzeit, was in der Nacht auf Samstag getan werden kann.
Die grosse Überraschung des ersten Trainings: Die Bestzeit von Red Bull Racing-Fahrer Daniel Ricciardo. Aber RBR-Teamchef Christian Horner blieb vorsichtig: «Gut, die ganzen Verbesserungen scheinen sich zu bewähren, aber wir reden hier nur vom ersten Training. Und die Bedingungen werden sich im Laufe des Wochenendes verändern, es wird zunehmend wärmer. Mal sehen, wie sich das auf das Kräfteverhältnis auswirkt.»
Anthony Davidson (38), 2014 zusammen mit Sébastien Buemi Sportwagen-Weltmeister, am Hungaroring als F1-Experte der britischen Sky: «Der RBR-Renner überzeugt durch das tolle Handling, da konnte weder Ferrari noch Mercedes mithalten. Ferrari ist unter den Möglichkeiten geblieben. Da kommt bestimmt noch mehr.»
Mehr hätte sich auch Kevin Magnussen gewünscht: Er musste im ersten Training zuschauen, weil Ferrari-Schützling Antonio Giovinazzi 90 Minuten mit Haas erhielt. Leider schrottete der Italiener seinen Wagen. Die Haas-Mechaniker arbeiteten sich die Finger wund, um den Dänen Magnussen so bald als möglich auf die Bahn zu lassen. Arbeit auch bei Jolyon Palmer nach seinem Abflug im ersten Training – der neue Unterboden musste repariert werden.
Seltener Gast in der Mercedes-Box: Anthony Hamilton, Papa von Lewis Hamilton. Seit sich der Rennfahrer selber um sein Management kümmert, kommt Hamilton senior nur noch selten zu Rennen.
Nochmals Anthony Davidson: «Was mich bei Ferrari verwirrt hat – der Wagen von Sebastian schien einmal sehr gut zu liegen, dann wieder katastrophal. Vielleicht gibt es da Probleme, dass sich die Reifen nicht gleichmässig aufwärmen.»
Lewis Hamilton gab über Funk zu bedenken: «Der Motor gibt ein lautes Pfeifen ab.» Auch Romain Grosjean (Haas) beklagte sich: «Ich habe unfassbar viel Untersteuern.» Und Williams-Pilot Lance Stroll monierte mangelnde Bremsleistung.
Nach einer halben Stunde führte Silverstone-Sieger Lewis Hamilton vor dem Red Bull Racing-Duo Ricciardo und Verstappen, gefolgt von Bottas, Vettel, Räikkönen, Alonso sowie den beiden Toro Rosso. Am Wagen von Max Verstappen befinden sich nun all jene Teile, die Daniel Ricciardo am Morgen schon zur Verfügung hatte.
Alle Top-Piloten mit der weichen Reifenmischung von Pirelli.
Schreckmoment für Lance Stroll, an der gleichen Stelle, wo Palmer seinen Frontflügel zu Kleinkarbon verarbeitet hatte. Der junge Kanadier war clever genug, den Wagen so sehr zu verzögern, dass er auf besagtem Übergang vom Randstein zur Wiese nicht beschädigt wurde.
RBR-Teamchef Christian Horner: «Wir wussten immer, dass uns das Layout des Hungarorings eher entgegenkommt als eine Power-Strecke. Und die neuen Teile bewähren sich. Bislang sieht das recht ermutigend aus.»
Aber das Bild wird verzerrt: Ferrari fährt am Freitag traditionsgemäss mit gedrosseltem Motor, Mercedes kann jeweils im Qualifying am meisten zulegen. Christian Horner: «Das kann das Bild komplett verändern. Wie immer entscheidend ist auch das Verhalten der Reifen. Bislang finden wir, dass die Walzen gut halten, auch die weichen. Vielleicht war Pirelli ein wenig konservativ.»
4 GP-Sieger innerhalb von 141 Tausendsteln!
Kimi Räikkönen ging als erster Spitzenfahrer mit dem superweichen Reifen auf die Bahn, kurz darauf tat das auch Lewis Hamilton: Der Engländer steigerte sich auf 1:18,779 min, Sebastian Vettel konnte das noch besser – 1:18,638 min. Dann schon sich Kimi vor Hamilton, Bottas aber vor Kimi. Nach dem ersten Lauf mit den rot gekennzeichneten Pirelli lagen Vettel, Bottas, Räikkönen und Hamilton alle innerhalb von 141 Tausendstelsekunden. Vettel 1:18,638 min, Bottas 1:18,656, Räikkönen 1:18,755, Hamilton 1:18,779 min, wow!
Würde Red Bull Racing dagegenhalten können? Daniel Ricciardo war der nächste GP-Sieger auf den roten Supersoft-Pirelli. Der Australier wurde zunächst von gelben Flaggen aufgehalten (wegen Massa und Räikkönen) – drei Zehntel zu langsam, gemessen an Vettel.
Zu diesem Zeitpunkt ruhten alle Augen auf Kimi Räikkönen: «Ich habe keine Power», gab der Finne über Funk bekannt. «Da passiert nichts, wenn ich aufs Gas gehe.» Die Ferrari-Mannschaft gab über Funk Anweisungen, was Räikkönen im Cockpit verstellen kann, und tatsächlich könnte Kimi den Wagen wieder in Gang und zurück zur Box bringen. Dort tauchten die Ferrari-Mechaniker ins Heck des Ferrari ab, um auf Schadensuche zu gehen.
Inzwischen hatte Ricciardo einen neuen Anlauf genommen und tatsächlich: 1:18,455 min, neue Bestzeit, einen Hauch schneller als während seiner schnellsten Runde am Morgen (1:18,486).
Der Schotte Paul di Resta hatte sich inzwischen auf Pistentour begeben und stellte fest: «Keiner kann so viel Speed in die Kurven mitnehmen wie Ricciardo. Sein Auto liegt wirklich beneidenswert.»
Rote Flagge wegen Wehrlein!
Nach 50 Minuten rote Flagge: Unfall von Pascal Wehrlein im Sauber. «Tut mir leid, ich bin heftig abgeflogen», schnaufte der Sigmaringer am Funk. «Ich bin okay.»
Es handelte sich um die gleiche Stelle, wo Antonio Giovinazzi den Haas geschrottet hatte. Anthony Davidson: «Wehrlein hat den ersten Rutscher korrigiert, dann aber brach der Wagen auf die andere Seite aus und Pascal prallte fast frontal in die Reifenstapel. Das war ein heftiger Aufprall. Wehrlein wird sich im Medical-Center untersuchen lassen müssen.» Das ist normales Vorgehen der FIA bei einem solchen Unfall. Wehrlein ist jedoch nach seiner Nackenverletzung im vergangenen Winter beim Race of Champions ein Pilot, bei welchem die Ärzte lieber drei Mal hingucken.
Der Sauber des Deutschen wurde heftig beschädigt: Nase eingedrückt, beide Vorderradaufhängungen gebrochen, dazu Schäden an den Luftleitelementen und am Boden. Sauber hat viel zu tun.
An der Unfallstelle musste die Pistenbegrenzung repariert werden. Der Wehrlein-Crash unterbrach die Trainingsarbeit der anderen Fahrer um eine gute Viertelstunde – und er verhinderte einen Superweich-Lauf von Lewis Hamilton im Mercedes.
Gute Nachrichten aus dem Medical-Center: Die FIA-Ärzte stellten fest, dass Pascal Wehrlein unversehrt ist.
Wehrlein meinte nachher, es sei ihm ein Rätsel, warum der Wagen ausgebrochen worden sei. Möglicherweise wurde der Sigmaringer von einer Windbö erwischt.
Nächster Mann in den Reifenstapeln: Renault-Fahrer Jolyon Palmer. Frage an den Briten über Funk: «Ist der Wagen okay, Paul?» Palmer trocken: «Nein.»
Mit dem zweiten Unfall (dritte rote Flagge des Tages) hat sich der Brite keinen Gefallen getan, wenn es um seine Chancen geht, auch künftig Renault-Fahrer zu sein. Dieses Mal war die rechte hintere Ecke hin, der Heckflügel ebenfalls, Konsternation in der Renault-Box.
Anthony Davidson stellte fest: «Ein Abziehbild des Wehrlein-Unfalls, nur in einer anderen Kurve. Jolyon korrigierte einen Rutscher, dann brach der Wagen in die andere Richtung aus.»
Die erneute Unterbrechung zerstörte auch die Dauerläufe der anderen Piloten auf den supweichen Reifen. Ergebnis: Die Teams werden mit weniger Erfahrungen als erhofft in den Samstag gehen.
Ex-GP-Pilot Paul di Resta: «Es fällt auf, dass das Auto von Red Bull Racing am besten liegt – Ferrari und Mercedes können in Sachen Handling nicht so glänzen, die sind ungefähr auf Augenhöhe.»
Reihenfolge nach den zweiten 90 Minunten: Daniel Ricciardo vor Vettel, Bottas, Räikkönen, Hamilton, Verstappen, Hülkenberg, Alonso, Sainz und Vandoorne.