2. Training Australien: Max Verstappen jagt Hamilton
Damon Hill, Formel-1-Champion 1996 und Melbourne-Sieger des gleichen Jahres, meinte zum Beginn des zweiten freien Trainings in Melbourne: «Wir haben noch nicht das ganze Bild erhalten, aber eines steht für mich schon fest – Mercedes ist auch in diesem Jahr bärenstark. Die Piste ist noch schmutzig, mit jeder Runde kommt mehr Gummi auf die Bahn, daher werden die Rundenzeiten sinken, das ist bei einem Strassenkurs ganz normal.»
Gleichwohl haben wir erste sachte Tendenzen erkannt. Wenn Lewis Hamilton seinem Mercedes-Stallgefährten Valtteri Bottas auf der gleichen Mischung eine halbe Sekunde abnimmt, dann bekommt der Engländer dafür keine WM-Punkte, aber aus psychologischer Sicht ist das dennoch nicht zu verachten.
Ferrari fährt derzeit nicht auf Augenhöhe mit den Weltmeistern in Silber und muss sich mit Red Bull Racing herumärgern, statt Mercedes einzuheizen. Mercedes-Teamchef Toto Wolff relativiert diese Hackordnung: «So früh erkennst du noch nicht, wie sich das Feld aussortiert.»
Gewiss, Lewis Hamilton war im Gegensatz zum Ferrari-Duo auf der ultraweichen Pirelli-Mischung unterwegs, aber das erklärt nicht die acht Zehntelsekunden Abstand zwischen Hamilton und Räikkönen. Je nach Einschätzung der verschiedenen Rennställe liegt der Unterschied zwischen dem superweichen Reifen (rot markiert) und der weichsten Australien-Mischung ultraweich (violett) bei einer knappen halben Sekunde.
Es muss der Konkurrenz auch zu denken geben, was Mercedes nach Australien gebracht hat: ein Auto in der gleichen Spezifikation wie am letzten Barcelona-Testtag. Das zeugt von Selbstvertrauen.
Probleme am Wagen von Max Verstappen vor den zweiten 90 Trainingsminuten: Risse an den seitlichen Luftleitelementen mussten geleimt werden, möglicherweise nach einem heissen Ritt über die Randsteine.
Nach dem ersten Training war es noch wärmer geworden, fast 30 Grad, endlich Gelegenheit für die Rennställe, Dauerläufe unter realen GP-Bedingungen zu fahren. Davon konnte vor einigen Wochen im klammen Barcelona keine Rede sein.
Die Fans freuten sich: Die Dauerläufe zwingen die Piloten auf gleichen Reifen und vergleichbarer Spritlast auf die Bahn, daher sind die Rundenzeiten durchaus vergleichbar.
Esteban Ocon (Force India) und Valtteri Bottas (Mercedes) rutschten in der ersten Viertelstunde in den Kies, Ocon hatte sich verbremst, Bottas fand in der Bremszone von Kurve 3 den langsam fahrenden Ferrari vor sich, Kimi befand sich auf einer Auslaufrunde. Die Rennkommissare Tim Mayer (USA), Enzo Spano (Venezuela), Emanuele Pirro (Italien) und Steve Chopping (Australien) schauten sich das an und baten dann die beiden Finnen zu einem kleinen Schwatz (nach dem Training).
Fernando Alonso hatte andere Probleme: «Ich glaube, die Leute vergessen wegen des Halo, in den Rückspiegel zu blicken.» Der Weltmeister von 2005 und 2006 sah sich eingebremst.
Nach einer knappen halben Stunde lag Lewis Hamilton knapp vor Max Verstappen. Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner: «Wir haben angefangen, die Flügel flacher zu stellen und ein wenig Abtrieb zu Gunsten von mehr Speed auf den Geraden zu opfern.» Hamilton übrigens auf superweichen Pirelli (rot), Max auf weich (gelb).
Martin Brundle entlang der Melbourne-Bahn: «Spiel, Satz und Sieg für Mercedes in den schnellen Passagen, kein Auto liegt besser auf der Strasse. Der Haas wirkte ebenfalls sehr gut. Der Ferrari scheint etwas nervöser zu sein.»
Sebastian Vettel ging dann mit dem nervösen Ferrari – genannt Loria in diesem Jahr – und ultraweichen Reifen auf die Bahn: Verbesserung im ersten Sektor, Bestzeit in zweiten Pistenteil, Drittschnellster. Kimi Räikkönen machte das besser: neue Bestzeit nach 35 Minuten, 1:24,124 min. Lewis Hamilton, nun ebenfalls auf ultraweichen Reifen, konterte: 1:23,931 min im Silberpfeil. Ex-GP-Pilot Paul di Resta: «Ich frage mich, ob Ferrari nicht ein wenig stärker ist als wir alle gedacht haben.»
Probleme bei Haas: Stücke des Frontflügels brachen ab, möglicherweise wegen ungewöhnlicher Schwingungen, die auf den Randsteinen auf die Kohlefaserteile wirken. Da half nur Superkleber.
Fernando Alonso erhielt einen neuen Grund, sich aufzuregen: der Williams von Sergey Sirotkin stand in der zweitletzten Kurve im Weg.
Wo war eigentlich Heimheld Daniel Ricciardo? Der Australier hatte inzwischen ebenfalls die ultraweichen Pirelli erhalten – und wurde von roten Flaggen gestoppt. Grund: Auf der Start/Ziel-Geraden löste sich ein Draht der Zeitnahme, zuvor war schon aufgefallen, dass einige Rundenzeiten mit seltsamer Verspätung auf den Messschirmen auftauchten. Die losen Drähte wurden durchtrennt und entfernt, die Rennleitung griff auf ein Sekundärsystem zurück. «Dan the Man» verschwand in der Box, um eine Veränderung an der Vorderradaufhängung vornehmen zu lassen.
Valtteri Bottas machte seinen Silberpfeil zum schnellsten Rasenmäher der Welt, abgesehen vom Stolz wurde nichts beschädigt.
Die ersten Vier (Hamilton, Verstappen, Bottas, Räikkönen) innerhalb von 28 Hundertstelsekunden, damit könnten die Fans gut leben. Aber was passiert im Qualifying, wenn Mercedes-Benz volle Leistung freigibt?
Richtig Pfeffer könnte das Wetter streuen: Das dritte freie Training wird mit grosser Wahrscheinlichkeit auf nasser Bahn stattfinden, noch sind sich die australischen Meteorologen nicht einig darüber, ob es bis zum Qualifying abtrocknet. Regenwahrscheinlichkeit für den Grossen Preis von Australien: 80 Prozent!
Tendenz der Dauerläufe im zweiten freien Training: Mercedes hat Red Bull Racing im Nacken, Ferrari ist dritte Kraft.