Formel 1: Max Verstappen – alles für die Katz

Max Verstappen: Das Wunderkind muss zur Ruhe kommen

Von Mathias Brunner
Aus für Red Bull Racing in Baku: Verstappen (links) und Ricciardo (rechts)

Aus für Red Bull Racing in Baku: Verstappen (links) und Ricciardo (rechts)

​Fassungslosigkeit am Kommandostand von Red Bull Racing: Kollision zwischen Max Verstappen und Daniel Ricciardo, beide Autos aus dem Baku-GP. Teamchef Christian Horner schäumt.

Red Bull Racing-Teamchef Christian Horner stapfte im Stechschritt durchs Fahrerlager, draussen dröhten die Motoren zur Schlussphase des Aserbaidschan-GP. «Im Moment kann ich keinen Kommentar abgeben. Ich will zuerst mit meinen Piloten sprechen.» Der Grund für den hochroten Kopf von Horner: Daniel Ricciardo hatte am Ende der langen Start/Ziel-Geraden seinen RBR-Teamgefähren Max Verstappen attackiert, der Niederländer liess seinen Wagen in der Bremszone nach links tragen, dem Australier ging der Raum aus – Crash!

Unmittelbar nach dem Baku-GP meinte Max: «Das war unnötig heute. Es bringt auch nichts, danach zu suchen, wessen Fehler das gewesen ist. Wir fahren für ein Team. Wir waren gleich schnell. Wir haben uns einmal kurz berührt, das kann passieren, das ist anderen Stallgefährten auch passiert. Uns nicht attackieren zu lassen, kann auch nicht die Lösung sein.»

Der 20jährige Verstappen hatte nach dem China-GP viel Kritik einstecken müssen. Da war er mit WM-Leader Sebastian Vettel zusammengerasselt. Max entschuldigte sich nach jenem Rennen sofort beim Deutschen. Aber die Kritik im Fahrerlager blieb: Niemand zweifelt nur eine Sekunde am enormen Talent von Verstappen, aber das Wunderkind muss endlich zur Ruhe kommen.

Ex-Formel-1-Fahrer Alexander Wurz beim ORF: «Während des Bremsmanövers würde ich es nicht erlauben, dass ein Fahrer die Seite nochmals wechselt. Wir hatten mal eine entsprechende Regel, die wegen Verstappen eingeführt werden musste. Später wurde sie wieder gestrichen.»

Red-Bull-Rennchef Dr. Helmut Marko ärgert sich: «Wir waren super unterwegs, in diesem Rennen wäre noch Einiges möglich gewesen. Unsere Fahrer haben den nötigen Respekt und die Achtsamkeit vermissen lassen. Wir werden das nun in Ruhe besprechen müssen.»

Die Szene von Baku erinnert an die Kollision zwischen den damaligen Red Bull Racing-Piloten Sebastian Vettel und Mark Webber in der Türkei 2010. Damals zeigte der Deutsche nachher sogar den Vogel. Das hat Ricciardo heute nicht getan, aber der China-Sieger wird sich seine Sache denken.

Max Verstappen hat aus der Formel 3 ein eigenwilliges Verhalten in die Formel 1 mitgebracht. Kein Fahrer lässt in der Bremszone sein Auto so herumtragen wie der Niederländer. Max legte sich mit Sebastian Vettel an, mit Kimi Räikkönen und mit Lewis Hamilton, jedes Mal ging es um das Angriffs- und Verteidiungsverhalten von Max. Alle Weltmeister monierten, dass dieses Verhalten brandgefährlich sei und zu einem Riesenunfall führen kann.

Im Benimmbuch des modernen Formel-1-Rennfahrers steht: Im Zweikampf ist ein Richtungswechsel erlaubt, mit Betonung auf «ein». Formel-1-Veteran Kimi Räikkönen war nach dem Duell mit dem jungen Max Verstappen in Ungarn überzeugt – der Niederländer ignoriert diese Vorschrift.

Kimi warnte nach dem Ungarn-GP 2016: «Es liegt nicht an mir zu entscheiden, was korrekt ist und was nicht, aber ich habe Fahrer gesehen, die für erheblich weniger eine Strafe erhalten haben.»

Die Fahrer ärgerten sich auch, weil sie glaubten: Verstappen erhält Welpenschutz der FIA – weil der feurige Niederländer die Massen begeistert.

Ex-GP-Fahrer Paul di Resta: «Für mich hat Max seine Position zu vehement verteidigt, das sind klar zwei Richtungswechsel. Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Verfolger längst festgelegt für den Angriff, genau aus diesem Grund wurde dieses Abkommen damals eingeführt, dass man nur einmal die Spur wechseln darf. Eine Kollision ist dann oft unvermeidlich. Ich wundere mich eigentlich, dass in all den Situationen nicht mehr passiert ist.»

Der dreifache GP-Sieger Johnny Herbert sagt: «Solche Zickzack-Manöver haben wir früher in anderen Kategorien gefahren, und klar ist das aufregend zum Zuschauen. Aber das ist ein klarer Fall für die Rennkommissare – wieder einmal!»

In Mexiko 2016 regte sich Ferrari-Star Vettel so über den jungen Verstappen auf, dass er sich eine Verbalentgleisung leistete. Dem Ferrari-Star ging die Fahrweise von Max Verstappen auf den Wecker. Als ihm das Team ins Auto funkte, man habe Rennleiter Charlie Whiting darauf aufmerksam gemacht, dass Max seine Position zurückgeben müsse, was Verstappen freilich nicht tat, schäumte Vettel daraufhin am Funk: «Hier ist eine Nachricht für Charlie – fuck off! Fuck off!» Später entschuldigte sich der Deutsche.

Für Verstappen ist es das Normalste der Welt, wie er seinen Wagen auf der Piste platziert. «Das mache ich schon mein ganzes Leben. Einfach Rennen fahren und Go-Karts und Auto schnell fahren. Ich war immer entspannt und das macht mich schnell. Deshalb werde ich den gleichen Ansatz haben, wenn ich um den Titel fahre. Das wird haariger, aber man muss immer alles im Griff haben», sagte Verstappen zu Kritik an seinem Pistenverhalten.

«Der grösste Kritiker ist mein Vater, alles andere ist also nur ein laues Lüftchen, das interessiert mich nicht wirklich. Als Fahrer ist es wichtig, dass du dich auf dich selbst konzentrierst und an dich glaubst. Und es gibt keinen Grund, in der Formel 1 deinen Ansatz, deine Philosophie zu ändern.»

Christian Horner nahm seinen Piloten meist in Schutz: «Er hat die Launen der Jugend. Er attackiert, er fordert heraus, aber das will man von einem Fahrer sehen. Man will Kampfgeist auf der Bahn erleben und den Sport nicht überregulieren. Wie ein Künstler in vielerlei Hinsicht, muss man diesen Piloten Freiheit geben zu atmen.» Am Sonntagabend in Baku ist Horner vielleicht anderer Meinung.

Im Verlaufe des Baku-GP schliffen die Räder zwischen Daniel Ricciardo und Max Verstappen mehrfach. Ex-GP-Pilot Paul Di Resta: «Der Eindruck drängte sich auf – an diesem Tag will sich Max um keinen Preis von Daniel Ricciardo überholen lassen.»

RTL-Experte Nico Rosberg: «Das waren jetzt mehrere Rennen und er hat ungefähr ein halbes Dutzend kapitale Böcke geschossen. Alles schön und gut, aber irgendwann muss man dann auch mal zurückstecken.» Der Weltmeister von 2016 sieht den Niederländer als Wiederholungstäter, der endlich erwachsen werden müsse.

Rennlegende Niki Lauda sprach von einem Intelligenzproblem. Es ist nicht das erste Mal, dass Lauda Verstappen harsch kritisiert. Der dreimalige Weltmeister wollte Verstappen im vergangenen Jahr sogar in die Psychiatrie schicken: «Rennfahrer dürfen sich gegenseitig nicht unnötig gefährden. Und der hat überhaupt keine Einsicht, dass er überhaupt etwas falsch gemacht hat. Der ist weit über dem Limit – und das ist nicht notwendig.»

Seinen Fahrstil wolle er nicht verändern, sagte Max nach dem Ärger mit Vettel in China. «Ich werde nicht weniger aggressiv sein, aber werde mir die Situation in Zukunft genauer anschauen», sagte er. Was Kritik betrifft, orientiert er sich vor allem an seinem Vater oder Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko. «Das sind die Leute, die sich auskennen und verstehen, wie es funktioniert», so Verstappen. Er betont: «Ich brauche keinen Psychologen. Schlafe ich gut? Ich schlafe immer gut!»

Das mag sein, aber Max Verstappen muss langsam aufwachen: Die Realität ist – wer seinen Platz ständig so unerbittlich verteidigt, riskiert immer einen Unfall.

Zu wahrer Grösse gehört zu wissen, wann man einen Platz preisgeben muss.

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