Reifen 2020: Pirelli und Hankook in, Michelin out
Rennchef Mario Isola: Pirelli ist fit für die Formel 1
Noch vor Ablauf der Einschreibefrist beim Automobil-Weltverband FIA steht fest: Michelin wird vorderhand nicht in die Formel 1 zurückkehren. Die Franzosen, von 1977 bis 1984 und von 2001 bis 2006 im GP-Zirkus vertreten, haben sich seit Jahren für einen Wechsel zu Niederquerschnittreifen auf 18-Zoll-Rädern stark gemacht, und dieser Wechsel wird kommen. Aber die Franzosen wollten die Kröte nicht schlucken, Reifen nach anderen Massen nur für eine Saison zu bauen.
Das heutige Abkommen mit Pirelli läuft Ende 2019 aus. Die FIA hat dabei bestätigt: Die Formel 1 wird 2021 auf Niederquerschnittreifen daherkommen, montiert auf 18-Zoll-Rädern. Schon 2014 hat Pirelli versuchweise einen Lotus mit 18-Zoll-Felgen auf die Bahn geschickt, damals sass Testpilot Charles Pic am Steuer. Die Reaktionen fielen deutlich aus: Die Fans wollten damals keine Niederquerschnittreifen, sie wollen lieber breitere Walzen wie heute. Die haben wir Anfang 2017 bekommen, aber der Schritt zu 18-Zoll-Rädern kommt dennoch – mit schmaleren Vorderreifen (27 cm statt wie heute 30,5 cm). Die 40,5 cm breiten Hinterreifen bleiben.
Bis 31. August 2018, 24.00 Uhr, müssen interessierte Reifenunternehmen in Paris ihre Bewerbungen einreichen. Ein Formel-1-Teamchef sagte mir im Fahrerlager des Circuit de Spa-Francorchamps: «Ein neuer Hersteller müsste für 2020 Reifen nach den heutigen Massen Reifen bauen, für 2021 dann aber die neuen Niederquerschnittwalzen. Er müsste also zwei Mal entwickeln. Welche Firma will das auf sich nehmen? Pirelli hat die gegenwärtigen Reifen im Griff, für sie gäbe es nur einen Entwicklungsschritt. Für mich steht fest: Vor diesem Hintergrund kann es nur einen Formel-1-Reifenausrüster geben, den bisherigen und künftigen – Pirelli.»
Michelin ist jedenfalls aus dem Rennen, um von 2020 bis 2023 wieder Alleinausrüster zu werden. Die Franzosen teilen mit: «Wir haben die technischen Vorgaben der FIA aufmerksam studiert. Wir sind erfreut, dass unserer Empfehlung zum Wechsel auf 18-Zoll-Reifen Folge geleistet wird. Aber wir sind mit zwei anderen Punkten unglücklich – mit der Tatsache, nur für die Saison 2020 alleine andere Reifen herstellen zu müssen, sowie mit der Vorgabe, dass die Walzen gezielt abbauen müssen, um die Show zu verbessern. Das geht gegen unsere Prinzipien. Demzufolge sind wir auf die Einladung der FIA nicht eingegangen.»
Ein Insider sagt im Monza-Fahrerlager: «Mir war klar, dass Michelin nicht kommen würde. Wenn ein Hersteller in den Sport kommt oder zurückkommt, dann nimmt er früh Kontakt zu Teams auf, um die Situation in Sachen Technik gründlich auszuloten. Kein Team ist von Michelin angesprochen worden. Ganz anders bei Hankook. Die Südkoreaner haben durchaus mit dem einen oder anderen Team geredet. Als Ansprechpartner wäre Mercedes naheliegend, weil die Asiaten als DTM-Ausrüster engen Kontakt mit Merceds pflegen.» Der Vertrag mit der DTM läuft Ende 2019 aus.
Für den Insider ist klar: «Michelin war nie im Rennen. Ob bei der FIA eine Bewerbung von Hankook eingegangen ist, weiss ich nicht, der Autoverband kommuniziert das nicht. Von Pirelli wissen wir, dass sie weitermachen wollen.»
Pirelli-Rennchef Mario Isola bestätigt mir das im Fahrerlager von Monza.
Der neue (oder bisherige) Reifenpartner der FIA wird pro Wochenende drei Mischungen bereitstellen: Hart, mittelhart, weich. Die mittelharte Mischung soll Rundenzeiten erlauben, die gut 1,2 Sekunden schneller sind als mit der harten Mischung. Der weiche Reifen soll eine Sekunde schneller sein als der mittelharte.
Wie geht es weiter?
Gemäss FIA-Statuten muss ein interessierter Hersteller bis 31. August 2018 ein Dossier einreichen, falls er 2020 mitmachen will. Die Hersteller müssen in diesen Unterlagen ihre Planung für die Herstellung von 13- und 18-Zoll-Reifen darlegen. Die FIA hat dann 14 Tage Zeit, um die technische Eignung der Firma zu beurteilen. Niemand zweifelt daran, dass Pirelli und Hankook erstklassige Rennreifen bauen können. Pirelli-Rennchef Mario Isola: «Was am 14. September endet, nennt die FIA Phase 1.»
Dann aber wird es kompliziert. Denn heute geht es nicht nur darum, die Reifen zu liefern. Es geht auch um kommerzielle Aspekte. Isola weiter: «In Phase 2 geht es um ein Abkommen zwischen dem Reifenhersteller und Formula One Management. Die FOM wird dann die FIA darüber informieren, wer aus ihrer Sicht der geeignetste Partner ist. Und erst dann informiert die FIA.»
Die FIA gibt nicht vor, bis wann sie veröffentlichen muss, wer diesen Zuschlag erhält. Beim letzten Mal dauerte das bis Januar.
Pirelli gilt als klarer Favorit.
Formel 1: Nur neun Reifenhersteller!
Verblüffend: In der Formel 1 hat es in 69 Jahren Weltmeisterschaft nur neun Reifenlieferanten gegeben! Die Formel-1-Rekorde des US-amerikanischen Goodyear-Konzerns sind dabei unerreicht: Von 1959 bis 1998 in der Formel-1-WM engagiert, wurden in 494 Starts 368 Siege errungen (bei 113 Rennen waren die Amerikaner Alleinausrüster). Über den ersten Sieg freuten sich die Firmenchefs in Akron (Ohio) 1965 in Mexico (Richie Ginther im Honda), den letzten Sieg eroberte in Monza 1998 Michael Schumacher im Ferrari. Goodyear kommt auf 24 Fahrer-WM-Titel und 26 Konstrukteurs-Pokale.
Dagegen verblassen die Daten anderer Hersteller. Insgesamt waren nur acht weitere Reifenunternehmen in der Formel-1-WM tätig:
Pirelli (1950 bis 1958, 1981 bis 1986, 1989, bis 1991 sowie seit 2011, 190 Siege in 349 Rennen)
Bridgestone (1976/’77 sowie 1997 bis 2010, 175 Siege in 244 Rennen)
Michelin (1977 bis 1984 sowie 2001 bis 2006, 102 Siege in 215 Rennen, aber keine davon als Alleinausrüster!)
Dunlop (1950 bis 1970 und 1976 bis 1977, 83 Siege in 175 Rennen)
Firestone (1950 bis 1975, 49 Siege in 121 Rennen)
Continental (1954 bis 1958, 10 Siege in 13 Rennen)
Englebert (1950 bis 1958, 8 Siege aus 61 Rennen)
Avon (1954 bis 1958 und 1981/’82, keine Siege aus 29 Rennen)