Formel 1 zu perfekt: FIA-Chef Jean Todt schlägt Alarm
Was ist aus der wahren Schöpferkraft geworden in der Formel 1? Ich kann mich gut an ein paar Sätze des Ende Juli 2018 verstorbenen Ferrari-Präsidenten Sergio Marchionne erinnern, der vielen Fans aus dem Herzen sprach: «Wenn wir heute einen Bereich um einen Millimeter zu breit gestalten, dann gibt’s was auf die Ohren. So ist es doch unmöglich, ein kreatives Auto herzustellen! Am liebsten wäre mir, wir würden die ganzen Regeln aus dem Fenster werfen. Ich würde alles komplett freigeben, dann würden wir schon sehen, wozu die Techniker fähig wären. DAS wäre eine Herausforderung.»
Es fehlt das Element der Unsicherheit. Fernando Alonso formulierte das mit diesen Worten: «Es gab Jahre, von welchen ich wusste, dass ich wohl nicht viele Rennen gewinnen würde – 2003, 2004, 2008 und 2009 und auch 2011. Und doch blieb immer ein Element der Unwägbarkeit. Das gibt es heute nicht mehr. Wir gehen nach Barcelona, und nach dem ersten Wintertesttag ist klar, wie deine Saison verlaufen wird. Das ist kaum verdaulich. Ich kann immerhin sagen: Ich habe mehr erreichen dürfen, als ich mir je vorstellen konnte. Für andere Fahrer muss das noch schwieriger sein. Sie müssen darauf hoffen, dass ihrem Rennstall ein unfassbarer Schitt nach vorne gelingt oder das richtige Team anruft.»
Formel-1-Sportchef Ross Brawn meint: «Ich bin leidenschaftlicher Fussballfan. Aber auch ich habe Spiele der besten Mannschaften der Welt erlebt, die ein dröges 0:0-Gekicke zeigen, wo du dich dann schon fragst – wieso habe ich mir das eigentlich angeschaut? Ich schätze, bei der Fussball-WM ist das auch so. Was wir in der Formel 1 brauchen, das sind mehr Überraschungen. Wir wollen spektakulären, unberechenbaren Sport, und das werden wir dann haben, wenn das Feld ausgeglichener ist. Viele 2018er Rennen haben gezeigt, wie es eben nicht sein sollte: Die Autos der drei Top-Teams vorne, Nico Hülkenberg als „best of the rest“ überrundeter Siebter. Das haben wir in diesem Jahr schon oft erlebt, und das ist für den Sport nicht gut.»
Der italienische Sauber-Designer Luca Furbatto: «Ich verfolge die Formel 1 seit Mitte der 70er Jahre. Für mich gibt es drei Elemente, die für eine gute Show notwendig sind. Erstens, wir müssen pro Rennen mindestens drei oder vier Fahrer haben, die gewinnen können. Zweitens, die Autos müssen schwieriger zu meistern sein, damit das Talent der Piloten augenscheinlich wird. Ich will keine Autos, die wie auf Schienen um die Kurven fahren, da ist mir Querfahren sympathischer. Ich will auch Autos, die beim Bremsen herumschwänzeln, und Überholmanöver sollten eine Kunstform sein. Drittens brauchen wir mehr Elemente der Unwägbarkeit. Wie bei einem Grand Prix auf nasser Bahn, wie bei Kollisionen, wie bei Defekten. Ich will, dass Fehler der Fahrer bestraft werden, wenn sie von der Bahn abkommen, allerdings ohne dass sie sich weh tun.»
Aber das mit den Defekten ist so eine Sache: Die Rennställe arbeiten auf so hohem Niveau, mit so ausgeklügelten Simulationswerkzeugen, dass die Standfestigkeit der Rennwagen unheimlich ist. Selbst bei Wintertests mit brandneuen Autos ist es nicht unüblich, dass ein GP-Renner auf die Testbahn in Spanien ausrückt und am ersten Tag gleich mal 100 Runden fährt. Vor zwanzig Jahren wäre so etwas undenkbar gewesen, das weiss auch FIA-Chef Jean Todt. Der 72jährige Franzose gegenüber Sky Sports: «Dinge ändern sich in der Formel 1, manchmal zum Besseren, manchmal zum weniger Guten. Ich finde, die GP-Autos sind zu standfest. Es passiert viel zu viel im Hintergrund, was die Fans gar nicht sehen, all diese Simulationen.»
«Früher hatten wir unbeschränkte Testfahrten. Dann haben wir gesagt: „Das ist zu teuer, dem müssen wir einen Riegel schieben.“ Aber wenigstens haben wir die Autos sehen können. Mir fehlen Privattests. Für mich wird zu viel Arbeit im stillen Kämmerlein erledigt. Man kann sich dem Lauf der Zeit nicht entgegenstellen, aber ein wenig mehr Einschränkung wäre hier gut.»
Im Kern hat der FIA-Präsident Recht. Wie das konkret umgesetzt werden soll, verrät er leider nicht.