Jacques Villeneuve zu Anthoine Hubert: Tod ist anders
Der Kanadier Jacques Villeneuve weiss, wovon er spricht, wenn er über Autorennfahrer sagt: «Wir sind alle Adrenalin-Junkies, so wie ein Motorrad-Racer oder Abfahrtsläufer oder Kletterer. Wir lieben unseren Sport, aber wir sind uns dessen auch bewusst, dass unser Leben auf dem Spiel steht.»
Die Stimmung im Formel-1-Fahrerlager ist gedämpft, die Formel-2-Rennställe haben abgebaut – das Hauptrennen wurde nach dem schrecklichen Crash von Anthoine Hubert und Juan Manuel Correa nicht wieder aufgenommen, das Sprintrennen vom Sonntag abgesagt.
Jacques Villeneuve hat einige üble Unfälle erlebt, auch hier in Belgien, fast an der gleichen Stelle, an welcher Hubert verunglückt ist. Sein Vater Gilles kam im belgischen Zolder ums Leben, das war 1982. Gegenüber meinem Kollegen Gaëtan Vigneron des belgischen Senders RTBF sagt der Kanadier nach dem Tod von Anthoine Hubert: «Solch ein Schicksalsschlag tut immer weh. Heute noch mehr als früher, weil ich glaube, dass der Tod heute anders wahrgenommen wird als damals, als tödliche Unfälle zum Tagesgeschäft gehören. Wir haben nur noch wenige Fachleute im Fahrerlager, welche diese Epoche miterlebt haben, die gefährlichste Zeit im Automobilsport.»
«Es gibt zwei Dinge, welche ich an der modernen Formel 1 hasse. Da sind zum einen die Simulatoren. Statt die jungen Piloten Tests fahren zu lassen, hocken sie eine Woche lang im Rennsimulator. Wenn sie zur Rennstrecke kommen, dann verhalten sie sich, als sässen sie noch immer im Simulator. Das ist nicht die gleiche Belastung wie früher, da fliesst nicht das gleiche Adrenalin. Die Einschätzung von Gefahr, des enormen Risikos, das sie eingehen, wenn sie auf die Rennstrecke gehen, die ist meiner Meinung nach nicht mehr im gleichen Masse vorhanden.»
«Das zweite Problem in diesem Zusammenhang sind diese riesigen Auslaufzonen der heutigen Rennstrecken. Ein moderner Fahrer sagt sich: ‘Ich kann mehr Risiken eingehen, denn was kann mir schon passieren? Die Auslaufzone ist ja asphaltiert.’ Früher hatten wir Kiesbetten, die haben ein Auto schneller verzögert, mit der Gefahr, dass sich der Wagen darin überschlägt. Die heutigen Sturzzonen erzeugen bei den Piloten ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.»
Villeneuve kennt die Passage Eau Rouge-Blanchimont nur zu gut: 1998 zerlegte er hier seinen Williams, 1999 hatte er mit seinem BAR-Stallgefährten Ricardo Zonta eine Wette laufen – wer Eau Rouge voll fahren kann. Villeneuve ging als Erster auf die Bahn und zerstörte seinen Rennwagen. Der Brasilianer ging später auf die Strecke und zeigte einen noch fürchterlicheren Unfall. Bei beiden waren viele Schutzengel im Einsatz, sie kamen mit Prellungen davon.