Barcelona-Test: Bottas vor Pérez, Vettel erkältet
Die 2020er Autos laufen, und dies schon verblüffend standfest – am ersten Testmorgen auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya gab es keine einzige Testunterbrechung wegen eines liegengebliebenen Fahrzeugs. Nach einem halben Tag haben die Autos im Schnitt schon alle mehr als eine GP-Distanz zurückgelegt, zusammen 659 Runden, das entspricht fast 3068 Kilometern! Nur am AlphaTauri von Daniil Kvyat machte der Motor beim Herausfahren aus der Box kurz Mucken und ging aus. Der Russe konnte aber kurz darauf wie geplant auf die Bahn gehen. Kevin Magnussen rumpelte einmal neben die Bahn und hart über einen Randstein.
Ein Blick auf die Zeitenliste – Valtteri Bottas (Mercedes) vor Sergio Pérez (Racing Point) und Max Verstappen (Red Bull Racing-Honda); klar entspricht dies nicht dem richtigen Kräfteverhältnis. Wenn Racing Point mit seinem Pink Panther in Melbourne als zweite Kraft zwischen Mercedes und Red Bull Racing-Honda ins Ziel kommen sollte, fress ich einen Besen (aus Marzipan).
Dennoch ist die Zeit des Mexikaners für ein brandneues Auto nicht zu verachten und eine Bestätigung für die Worte von Racing Point-Teamchef Otmar Szafnauer: «Wir wollen am vorderen Ende des Mittelfelds auftauchen und den Abstand zur Spitze verringern.» Pérez ist auf Anhieb schneller als vor einem Jahr an acht Barcelona-Testtagen. Technikchef Andy Green bestätigt, dass Pérez mit üppig Sprit unterwegs ist. Der Racing Point-Renner scheint auch windschlüpfig zu sein: Kein Auto ist auf der Geraden schneller. Die Leistung von Racing Point ist umso erstaunlicher, wenn wir daran erinnern – der Rennstall aus Silverstone absolvierte als einziges Team im Feld kein Roll-out vor dem ersten Wintertest.
Der rosa Renner sieht dem 2019er Silberpfeil sehr ähnlich, vor allem bei der Fahrzeugnase, in Sachen Seitenkästen, Motoverkleidung, Frontflügel und Luftleiter entlang der Nase. Wohlwollend würden wir den Silberpfeil als Inspiration bezeichnen, Nörgler würden von einer glatten Kopie oder von einem Klon sprechen. Das Gleiche könnten wir bei Haas sagen, deren Rennwagen sich sehr am Ferrari orientiert, wie auch Marc Surer bei seiner Analyse aufgefallen ist.
Bei Ferrari hätte eigentlich Sebastian Vettel fahren sollen, doch der Heppenheimer verliess nach dem Gruppenfoto mit allen Piloten die Rennstrecke, weil er sich unwohl fühlt – Erkältung. Charles Leclerc stieg für ihn ein, am SF1000 steckt ein anderer Frontflügel als bei der Fahrzeugpräsentation entdeckt.
Mercedes geht anders vor als vor zwölf Monaten. 2019 brachten die Dauer-Welmeister ein Basismodell auf die Bahn, das schon in Australien erheblich weiterentwickelt war. In diesem Jahr ist das Reglement stabiler, also entspricht die Test-Version des 2020er Modells W11 eher jenem Wagen, den wir auch in Melbourne sehen werden.
Red Bull Racing-Honda arbeitet in Ruhe, Teamchef Christian Horner betont, dass die vierfachen Weltmeister an Rundenzeiten für die Gallerie nicht interessiert sind. Verstappen fuhr eine frühe persönliche Bestzeit auf der zweithärtesten Mischung von Pirelli.
Wer sonst noch entlang der Piste aufgefallen ist: Der Renault von Esteban Ocon (mit einer Testlackierung unterwegs) setzt mehr auf als alle anderen Autos und schlägt entsprechend Funken. Die Franzosen folgen dem gängigen Trend zu mehr Kompaktheit, besonders im Bereich der Seitenkästen. Ganz anders geformt ist die Nase, viel schmaler als am 2019er Auto. Die Nasenform und die eng an den Motor geschmiegte Verkleidung haben das gleiche Ziel – mehr Spielraum für die Aerodynamiker.
Von Gittern und Schmierpaste
Am Morgen waren zahlreiche Autos mit Messgittern und FloViz-verschmierter Karosserie auf der Bahn. FloViz und grosse Messgitter gehören bei der Testarbeit zur Formel 1 wie Monte zu Carlo: Mit der zähflüssigen Farbe wird bei der Rückkehr an die Box der Strömungsverlauf geprüft. Es ist ein Vergleichstest zu den Werten aus der Flussdynamikberechnung (computational fluid dynamics, kurz CFD), wenn also die Luftströmung um den Rennwagen herum simuliert wird.
FloViz steht für «flow visualization» (Flussveranschaulichung). In der Formel 1 ist die Verwendung dieser Paste verhältnismässig jung: McLaren benutzte die Farbe vor zehn Jahren erstmals auf dem Testplatz in aller Öffentlichkeit. In den Werken war schon länger damit gearbeitet geworden. Wieso das späte Debüt an der Teststrecke? Weil nicht nur die eigenen Techniker den Strömungsverlauf sehen, sondern auch die Argusaugen der Konkurrenz.
Die Paste muss flüssig genug sein, um sich leicht auftragen zu lassen und wenig zu tropfen. Aber auch aushärtend genug, um nicht vom Luftstrom komplett weggeschmiert zu werden. Die Ingenieure wissen: Die CFD-Progamme können noch so hochgestochen sein, der Windkanal nach dem jüngsten Stand – nichts ersetzt die Arbeit an der Strecke.
Das Vorgehen ist immer gleich: Ein bestimmtes aerodynamisches Teil, sagen wir ein Frontflügel oder ein seitliches Luftleit-Element, wird mit der Paste eingeschmiert. Der Fahrer legt eine Runde zurück. Die Farbe verschmiert nach Strömungszwang und trocknet aus. An der Box können die Spezialisten dann überprüfen, ob der Verlauf so ist, wie sie sich das vorgestellt hatten.
Die Gitter messen in der Regel den Luftdruck und -strömungen in kritischen Bereichen, beispielsweise in den Verwirbelungen um die Räder herum oder beim Einlass der Seitenkästen. Die Gitter sind dafür mit so genannten Pitot-Rohren ausgerüstet.
Das Rohr ist benannt nach dem Franzosen Henri de Pitot (1695–1771), einem Wasserbauingenieur, gelernter Mathematiker. Er war von den Strömungen in Flüssen und Kanälen fasziniert. Früher herrschte die Annahme, die Fliessgeschwindigkeit eines Gewässers würde mit der Tiefe zunehmen. Henri de Pitot erfand ein Gerät, um diese Geschwindigkeit zu messen – die einfach-geniale Vorrichtung heisst nach ihm Pitot-Rohr, ein gerades oder L-förmiges, einseitig offenes Rohr zur Messung des Gesamtdruckes von Flüssigkeiten oder Gasen, in unserem Falle Luft. Es dient vorrangig bei Flugzeugen und Hubschraubern zur Geschwindigkeitsmessung, aber eben auch bei Formel-1-Rennautos.
Viele Autos sind überdies mit Kameras ausgerüstet, um Verformungen aerodynamischer Elemente aufzuzeichnen.
Barcelona-Test, Tag 1, Stand nach vier Stunden
1. Valtteri Bottas (FIN), Mercedes W11, 1:17,313 (79) C3
2. Sergio Pérez (MEX), Racing Point RP20-Mercedes, 1:17,375 (58 Runden) C3
3. Max Verstappen (NL), Red Bull Racing RB16-Honda, 1:17,787 (91) C2
4. Carlos Sainz (E), McLaren MCL35-Renault, 1:18,001 (64) C2
5. Esteban Ocon (F), Renault RS20, 1:18,004 (62) C3
6. George Russell (GB), Williams FW43-Mercedes, 1:18,168 (73) C4
7. Charles Leclerc (MC), Ferrari SF1000, 1:18,289 (64) C3
8. Robert Kubica (PL), Alfa Romeo-Sauber C39-Ferrari, 1:18,386 (59) C3
9. Kevin Magnussen (DK), Haas VF-20-Ferrari, 1:18,466 (55) C3
10. Daniil Kvyat (RU), AlphaTauri AT01-Honda, 1:18,484 (54) C3
Pirelli-Reifen von C1 (hart) bis C5 (extraweich)
Am Nachmittag im Einsatz:
Antonio Giovinazzi (I), Alfa Romeo-Sauber C39-Ferrari
Lewis Hamilton (GB), Mercedes W11
Lance Stroll (CDN), Racing Point RP20-Mercedes
Daniel Ricciardo (AUS), Renault RS20
Nicholas Latifi (CDN), Williams FW43-Mercedes
Zum Vergleich: Bestzeit am ersten Tag 2019
Sebastian Vettel, Ferrari SF90, 1:18,161 (169 Runden)