Formel 1: Max Verstappen – Chancen verspielt?

Williams: Neues Auto da, aber sind Probleme gelöst?

Von Mathias Brunner
​Der Williams FW43-Mercedes ist da, mit dem 2020 George Russell und Nicholas Latifi in die WM gehen. Die grosse Frage: Wie will es der drittälteste GP-Rennstall vom Ende der Tabelle weg schaffen?

Formel-1-Traditionalisten schmerzt das in tiefstem Herzen: Williams Grand Prix, früher eine Garantie für GP-Siege und WM-Titel, ist Letzter im Konstrukteurs-Pokal – 2018 mit acht Zählern, 2019 gar mit nur einem Pünktchen. Williams liegt am Boden.

Ich kann mich gut erinnern an eine Szene im Rahmen der Formel-1-Wintertests 2019: Als GP-Neuling George Russell mit zwei Tagen Verspätung zur ersten Runde des neuen Williams FW42-Mercedes auf die Barcelona-Bahn ging, brandete spärlicher Applaus durch den Mediensaal – schwer zu sagen, ob es Zeichen des Respekts war oder des Mitleids.

Mercedes-Zögling Russell fuhr eine Installationsrunde, dann verschwand das Auto wieder im Dunkel der Box. Vielleicht passte es, dass zur Premiere ausgerechnet Formel-2-Fahrer Russell am Lenkrad sass, denn gemessen an der ausgeklügelten Aerodynamik der gegnerischen Fahrzeuge sah der neue Williams wie ein Formel-2-Auto aus. Mit einer so hemdsärmeligen Aerodynamik ausgerüstet – so ahnten wir gleich – würden die Briten gegen ihre Gegner so viele Chancen haben wie eine Kreisliga-Elf gegen Bayern München.

Williams geniesst als Traditions-Team grossen Respekt, noch immer. Niemand will Williams am Boden sehen. Es kommt mir vor, als würde ein alternder Boxer im Ring stehen, ein früherer Weltmeister, jetzt aber mit grauem Haar und müdem Blick. Kein echter Sportfan möchte, dass dieser Mann vermöbelt wird. Doch Williams musste in den vergangenen zwei Jahren viel Prügel einstecken.

Schlechte Leistungen führen zwangsläufig zur Kritik. Ausgerechnet Jacques Villeneuven, mit Williams 1997 Weltmeister geworden, findet: Der Fisch stinke vom Kopfe, Claire Williams sei einfach eine Fehlbesetzung auf dem Chefsessel. «Die Williams-Führung bezahlt nun für die schlechten Entscheidungen der letzten Jahre, Williams ist kein Rennstall mehr. Williams ist vielmehr eine Firma, die am Ende des Jahres ihren Teilhabern einen Profit vorweisen muss. Das haben sie geschafft, also sind alle zufrieden. 2018 haben sie einen Gewinn von 16 Millionen Dollar erwirtschaftet, aber wenn ich das sehe, so behaupte ich – dann haben sie nicht genug für den Rennsport ausgegeben. Der Firmenpräsident will doch gar nicht in der Formel 1 gewinnen, er will sicherstellen, dass er für die Aktionäre so viel als möglich herausholt. Nur darauf kommt es noch an.»

Und selbst Sportwagen-Weltmeister Martin Brundle, gewiss weniger polemisch als Villeneuve, meint: «Ich würde Claire bitten, eine Stufe aufzusteigen und eine eher präsidiale Rolle einzunehmen. Dann würde ich jemanden wie Andreas Seidl an Bord holen und ihm absolute Handlungsfreiheit geben. Denn der Erfolg hängt in der Formel 1 von der Zukunft ab, nicht von der Vergangenheit», stellte der Brite klar. Will heissen: Das Tagesgeschäft muss in andere Hände.

Doch trotz der immer deutlicheren und lauteren Kritik, bleibt Claire Williams kämpferisch und zuversichtlich: «Wir haben uns sehr ehrgeizige Ziele gesetzt, um sicherzustellen, dass Williams wieder im Mittelfeld mitkämpft.»

Der Hoffnungsträger heisst Williams FW43, von dem zwei Tage vor Beginn der Wintertests die ersten Bilder veröffentlicht worden sind. George Russell glaubt an einen markanten Fortschritt, bleibt aber auch vorsichtig: «Ich denke, es wäre schon ein Erfolg, im Mittelfeld mitzukämpfen. Realistisch gesehen ist dies das bestmögliche Ergebnis, das wir 2020 erreichen können. Wir werden gewiss einen grossen Schritt nach vorne machen, aber wir wissen natürlich nicht, was alle anderen Teams unternommen haben. Ich hoffe wirklich, dass wir in der nächsten Saison den Anschluss ans Mittelfeld finden.»

Erste Eindrücke vom neuen Wagen: Williams hat das Rad nicht neu erfunden, aber wenigstens sieht das Auto raffinierter aus als das Vorgängermodell bei dessen Testdebüt. Williams folgt allen gängigen Trends, ist aber weniger extrem als WM-Favoriten wie Mercedes, Ferrari oder Red Bull Racing-Honda.

Auffällig am neuen Wagen die komplett andere Lackierung. Das Hellblau ist weg, stattdessen tritt der Wagen in Weiss, Blau und Rot auf.

Design-Chef Doug McKiernan: «Wir haben sehr hart an diesem Fahrzeug gearbeitet. Wir analysierten gründlich, was beim FW42 schiefgelaufen war, um diese Fehler nicht noch einmal zu begehen. Wir haben sehr sorgfältig erwogen, welche Bereiche es zu verbessern gilt. Das fundamentale Layout des Wagens ist das gleiche geblieben. Die Daten besagen, dass wir einen erheblichen Fortschritt erreicht haben. Nun muss sich das auf der Teststrecke bestätigen.»

«Wir konnten nicht nur die aerodynamische Effizienz verbessern, wir haben auch bessere Kühldaten. Das neue Auto ist erheblich leichter, und auch unsere Schwierigkeiten mit den Bremsen sind hoffentlich gelöst. Alles in allem haben wir einen stattlichen Schritt nach vorne gemacht, der es uns erlauben sollte, im Mittelfeld mitzumischen.»

Die ersten Antwortn erwarten wir in wenigen Tagen auf der Stoppuhr, wenn auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya die Formel-1-Wintertests beginnen.

Sir Frank Williams: Die Erinnerung verblasst

Team-Gründer Francis Owen Garbett Williams wurde als Sohn eines Offiziers der Royal Air Force und einer Lehrerin im englischen South Shields geboren. Als die Ehe seiner Eltern zerbrach, kümmerten sich in erster Linie seine Tante und sein Onkel in Jarrow um ihn, den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte er jedoch im Internat St. Joseph's College in Dumfries in Schottland. Seine Liebe zum Motorsport wurde geboren, als er in den 1950er Jahren bei einem Freund in einem Jaguar XK150 mitfuhr.

Nach einem kurzen Ausflug als Rennfahrer, ein Hobby, das er durch Arbeit als fliegender Händler finanzierte, gründete Frank Williams 1966 seinen ersten Rennstall «Frank Williams Racing Cars», für den in den nächsten Jahren unter anderen Piers Courage und Tony Trimmer in der Formel 2 und der Formel 3 antraten. Eine Zusammenarbeit mit dem italienischen Sportwagenhersteller De Tomas endete tragisch – der von Dallara gebaute Renner von Piers Courage ging in Zandvoort 1970 in Flammen auf, der Erbe der Bierdynastie hatte keine Überlebenschance. 1972 baute Williams das erste eigene Formel-1-Auto, den Politoys FX3, Henri Pescarolo zerstörte den bei einem Unfall aber schon im ersten Rennen.

Williams finanzielle Lage war zu dem Zeitpunkt so angespannt, dass er Telefonate von einer öffentlichen Telefonzelle aus führen musste, nachdem sein Telefon wegen unbezahlter Rechnungen gesperrt worden war. Jahrelang war es kein ungewöhnliches Bild, dass Williams um Geld oder Benzin bettelte, um von Rennen irgendwie wieder nach Hause zu kommen. Der unbeugsame Engländer sah sich immer nach Sponsoren um und klopfte auch bei Marlboro und Iso Rivolta, einer italienischen Automarke, an. Beide versprachen Unterstützung, hielten ihre Zusagen auf langfristige Abkommen aber nicht, und Williams tat sich 1976 mit dem Öl-Magnaten Walter Wolf zusammen.

Ein Jahr später verließ Williams gemeinsam mit seinem Angestellten Patrick Head das Team, die beiden Freunde gründeten gemeinsam Williams Grand Prix Engineering. 1979 feierte das Team mit Clay Regazzoni beim Grand Prix von Großbritannien in Silverstone seinen ersten Sieg, 1980 holte Alan Jones den Fahrertitel, und das Team wurde zum ersten Mal Konstrukters-Weltmeister. Zwischen 1981 und 1997 sammelte Williams sechs weitere Fahrer- und acht weitere Konstrukteurstitel.

Am 6. März 1986 veränderte sich Frank Williams' Leben von einer Minute auf die andere. Er war auf dem Weg von der Rennstrecke Paul Ricard zum Flughafen in Nizza, als er die Kontrolle über seinen Ford Sierra verlor, sich überschlug und zwischen Sitz und Dach eingeklemmt wurde. Dabei brach er sich zwischen dem 4. und 5. Rückenwirbel das Rückgrat und ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen.

1987 wurde Frank Williams von der Queen mit dem CBE (Commander of the Most Excellent Order of the British Empire) ausgezeichnet, 1999 wurde er zum Ritter geschlagen. Außerdem wurde er von Frankreich für seine Arbeit mit Renault-Motoren mit dem Titel des Chevalier der Ehrenlegion ausgezeichnet. Die bisher letzte Ehrung bekam Frank Williams in Form seiner eigenen Straße in Didcot. Am 15. Oktober 2012 enthüllte er das Schild der «Sir Frank Williams Avenue» persönlich.

Am 1. Mai 1994 schlug für Frank Williams und sein Team die schwärzeste Stunde, als Ayrton Senna in Imola in seinem Auto tödlich verunglückte. Im Anschluss wurde Williams von der italienischen Staatsanwaltschaft wegen Totschlags angeklagt, wurde nach einem jahrelangen Verfahren aber freigesprochen. Alle Williams-Renner tragen seitdem einen Aufkleber mit dem Senna-S auf den Frontflügeln.

Frank Williams ist bis heute offizieller Teamchef von Williams F1, am 2. März 2012 gab das Team aber bekannt, dass er sich aus dem Tagesgeschäft zurückziehen und seine Tochter Claire als stellvertretende Teamchefin die Leitung übernehmen werde.

Frank Williams war seit 1974 mit Virginia Berry verheiratet. Sie schenkte ihm zwei Söhne, Jonathan und Jaime, und eine Tochter, Claire. Virginia (Ginny) Williams erlag am 7. März 2013 im Alter von 66 Jahren dem Krebs.

Im September 2016 zog sich Sir Frank eine Lungenentzündung zu, nachdem er sich einem Eingriff am Rücken unterzogen hatte. Aufgrund seines generellen Zustandes erholte er sich langsamer als ein normaler Patient. Erst Anfang November konnte seine Tochter Claire Williams verkünden, dass es dem Rennstallgründer wieder besser geht.

Die Zeit geht auch an Frank Williams nicht spurlos vorbei, 2017 wurde er 75 Jahre alt. Viele Details über sein Hollywood-reifes Leben sind nicht mehr abrufbar, sein brillanter Verstand verblasst. Aber Frank Williams hat sich von seinem Schicksal nie unterkriegen lassen. Wie sein früherer Pilot Clay Regazzoni hat er gezeigt: Man kann auch im Rollstuhl aufrecht durchs Leben gehen.

2018 musste Williams erleben, was beim dritterfolgreichsten Rennstall unmöglich zu sein schien: Die Engländer hatten das schlechteste Auto im Feld gebaut und wurden WM-Zehnter und damit -Letzter. Zudem verabschiedete sich Hauptsponsor Martini.

2019 kam der Rennstall vom Regen in die Traufe: Erneut letzter Platz, nur ein WM-Punkt (Rang 10 von Robert Kubica in Hockenheim). Technikchef Paddy Lowe musste daraufhin gehen.

Williams: Dritterfolgreichster F1-Rennstall

Williams ist hinter Ferrari und McLaren die Nummer 3 der drittältste Formel-1-Rennstall. Und auch bei Erfolgen ist das von Frank Williams gegründete Team die Nummer 3. 2020 treten für Williams die jungen George Russell (21 Grands Prix) und Nicholas Latifi (0 Grand Prix) an. Früher war das anders. Jahrelang engagierten Williams und sein Technikchef Patrick Head einige der besten Piloten der Formel 1, die Fahrer wurden an der Schwere ihres rechten Fusses bemessen, nicht am Gewicht des Geldkoffers.

Sieben Fahrer wurden mit Williams Formel-1-Weltmeister.

Williams: Die Champions
1980: Alan Jones (AUS)
1982: Keke Rosberg (FIN)
1987: Nelson Piquet (BR)
1992: Nigel Mansell (GB)
1993: Alain Prost (F)
1996: Damon Hill (BR)
1997: Jacques Villeneuve (CDN)

Clay Regazzoni konnte 1979 in Silverstone den ersten Grand-Prix-Sieg für Williams erzielen, 2012 gewann der Venezolaner Pastor Maldonado den bislang letzten Grand Prix der Engländer, es war Sieg Nummer 114 für Williams.

Williams: Die GP-Sieger
Nigel Mansell (GB) 28
Damon Hill (GB) 21
Jacques Villeneuve (CDN) und Alan Jones (AUS), je 11
Alain Prost (F) und Nelson Piquet (BR), je 7
Ralf Schumacher (D) 6
Keke Rosberg (FIN) 5
Juan Pablo Montoya (COL) und Ricciardo Patrese (I), je 4
Carlos Reutemann (RA) und Thierry Boutsen (B), je 3
Clay Regazzoni (CH), David Coulthard (GB), Heinz-Harald Frentzen (D) und Pastor Maldonado (YV), je 1

Am meisten Rennen hat Nigel Mansell für Williams bestritten (95), hier alle Piloten in der Übersicht.

Williams: Die GP-Piloten
Nigel Mansell (GB) 95
Ralf Schumacher (D) 94
Riccardo Patrese (I) 81
Felipe Massa (BR) 78
Valtteri Bottas (FIN) 77
Nico Rosberg (D) 70
Juan Pablo Montoya (COL) 68
Damon Hill (GB) 65
Keke Rosberg (FIN) 62
Alan Jones (AUS) 60
Pastor Maldonaco (YV) 58
Jacques Villeneuve (CDN) 48
Rubens Barrichello (BR) 38
Mark Webber (AUS) und Kazuki Nakajima (J), je 36
Heinz-Harald Frentzen (D) 33
Thierry Boutsen (B) 32
Nelson Piquet (BR) und Carlos Reutemann (RA), je 31
Jacques Laffite (F) 29
David Coulthard (GB) 25
George Russell (GB) und Robert Kubica, je 21
Lance Stroll (CDN) und Bruno Senna (BR), je 20
Nico Hülkenberg (D) 19
Jenson Button (GB) 17
Alexander Wurz (A), Alessandro Zanardi (I) und Alain Proste (F), alle 16
Clay Regazzoni (CH) 15
Nick Heidfeld (D) 13
Derek Daly (GB) 12
Antonio Pizzonia (BR) 9
Marc Gené (E) und Ayrton Senna (BR), je 3
Mario Andretti (USA), Martin Brundle (GB), Paul di Resta (GB), Jonathan Palmer (GB) und Jean-Louis Schlesser (F), je 1

Wer war von diesen Piloten der schnellste Mann? Hier die Liste jener Williams-Fahrer, die eine Pole-Position erringen konnten (insgesamt 128).

Williams: Die Pole-Positions
Nigel Mansell (GB) 28
Damon Hill (GB) 20
Jacques Villeneuve (CDN) und Alain Prost (F), je 13
Juan Pablo Montoya (COL) 11
Alan Jones (AUS), Nelson Piquet (BR) und Riccardo Patrese (I), je 6
David Coulthard (GB) und Ralf Schumacher, je 5
Keke Rosberg (FIN) 4
Ayrton Senna (BR) 3
Carlos Reutemann (RA) 2
Heinz-Harald Frentzen (D), Felipe Massa (BR), Thierry Boutsen (B), Pastor Maldonado (YV), Nico Hülkenberg (D) und Nick Heidfeld (D), je 1

Und hier die schnellsten Williams-Piloten im Rennen, 133 beste Rennrunden haben die Briten erobert.

Williams: Die besten Rennrunden
Nigel Mansell (GB) 23
Damon Hill (GB) 19
Alan Jones (AUS) 13
Nelson Piquet (BR) und Juan Pablo Montoya (COL), je 11
Riccardo Patrese (I) 10
Jacques Villeneuve (CDN) 9
Ralf Schumacher (D) 7
Alain Prost (F) und Heinz-Harald Frentzen (D), je 6
David Coulthard (GB) 4
Carlos Reutemann (RA) und Keke Rosberg (FIN), je 3
Clay Regazzoni (CH) und Nico Rosberg (D), je 2
Bruno Senna (BR), Thierry Boutsen (B), Valtteri Bottas (FIN) und Felipe Massa (BR), je 1

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