Coronakrise New York: So versagt US-Präsident Trump
Joshua Paul ist kein GP-Fotograf wie jeder andere. Der US-Amerikaner macht Bilder mit einer mehr als 100 Jahre alten Kamera. So entstehen Aufnahmen mit modernen Sujets, die aber wirken, als seien sie vor vielen Jahren geschossen worden. Der mehrfach preisgekrönte Künstler arbeitete jahrelang als Reise- und Porträt-Fotograf, bevor er sich 2013 für den spanischen Grand Prix in Barcelona anmeldete. Eigentlich wollte er in die Stadt reisen, um ein Rockkonzert zu sehen. Zu seiner grossen Verblüffung erhielt er eine Akkreditierung für den Grand Prix.
Seine ungewöhnliche Arbeit führte zu weiteren Besuchen an GP-Schauplätzen, in Monaco, Silverstone, Hockenheim. Das Rockkonzert hat er übrigens verpasst.
Seither verfolgt Paul den Formel-1-Zirkus permanent. Er gründete die Webpage www.lollipop-gp.com und führt auch die Seite joshuapaul.com.
In den USA ist die Anzahl Covid-19-Erkrankter auf mehr als 96.000 geschnellt und muss laufend nach oben korrigiert werden, erst 2400 Menschen sind vom Virus genesen. 1500 Todesopfer sind zu beklagen. Der Staat New York wird mit Abstand am grausamsten heimgesucht, mit fast 5700 neu Erkrankten alleine in den vergangenen 24 Stunden. Mehr als 42.000 Menschen sind derzeit positiv auf SARS-CoV-2 getestet, 519 Menschen sind gestorben.
Die Bilder aus der Stadt sind gespenstisch und gruselig: Leere Strassen, Not-Zelte werden errichtet, weil die Behörden fürchten, dass bald kein Platz mehr da sein wird, um Leichen zu lagern.
Joshua Paul erzählt: «Dies ist Tag 5 der offiziellen Quarantäne in New York. Geöffnet sind nur noch Supermärkte, Apotheken und Läden, die als wichtig eingestuft worden sind. Wir dürfen vor die Tür, um uns fit zu halten, aber wir müssen einen Mindestabstand von zwei Metern zur nächsten Person einhalten. Machen dies alle Menschen? Nein, ich sehe viele Familien, Leute, welche die Hunde Gassi führen, Gruppen von Menschen. Wir haben wundervolles Frühlingswetter, es zieht die New Yorker nach draussen. Ich habe mich selber seit zwölf Tagen isoliert und gehe nur noch raus, wenn ich wirklich muss. Und auch dann marschiere ich mitten auf der Strasse, es fahren ohnehin kaum Autos herum.»
Josh sagt knallhart, wo das Grundübel liegt, dass die Corona-Zahlen in den USA so in die Höhe geschossen sind: «Wie die ganze Welt weiss, wird unser Land von einem Geschäftsmann regiert, der die Tatsachen nicht erkennen will. Ihm geht es ausschliesslich um die Wirtschaft. Unser Land hat viel zu spät Massnahmen ergriffen, besonders wenn wir uns vor Augen führen, dass wir 300 Millionen Einwohner haben, viele davon leben in Metropolen. Ich habe auf die Wintertests von Barcelona und die Reise nach Australien verzichtet, weil ich diesen Ausbruch befürchtet hatte.»
«Unsere Regierung hat jämmerlich auf die Krise reagiert. Es dauerte eine Woche, bis sie sich überhaupt einig war, mit welchem Budget gegen Corona vorgegangen werden soll, eine Woche! New York hat vor zwei Wochen darum gebeten, vom Militär ein Spitalschiff geschickt zu bekommen, mit 1000 Krankenhausbetten. Nach jüngsten Informationen soll es Mitte Mai hier sein, kannst du dir das vorstellen?»
«Im Moment hält das Gesundheitswesen dem unglaublichen Druck Stand, aber wenn das so weitergeht, weiss ich nicht, wie lange noch. Es ist eine echte Zerreissproble.»
«Als wir das erste Mal von Corona gehört haben, dachten die meisten Menschen doch – das ist ein Problem in China. Als sich der Virus dann dermassen in Italien verbreitete, erwachten viele Menschen. Zum Glück preschten zahlreiche Gouverneure in den USA vor, um Massnahmen zu ergreifen, besonders hier und in Kalifornien. Sie haben den Ernst der Lage erkannt. Was sie sagen, nehmen die meisten Bürger als Befehle und Ratschläge ernst. Das kann ich vom Präsidenten nicht behaupten.»
«Ich bin jetzt seit 1997 Profi-Fotograf – und im Moment habe ich keine Arbeit. Aber ich darf mich glücklich schätzen: Ich habe eine Wohnung, ich habe ein wenig Geld gespart, ich habe genug zu essen, ich habe Bücher, ich habe Musik. Ich versuche, mich zu beschäftigen. So sauber war meine Wohnung vermutlich noch nie! Wir sind mit der Formel 1 neun Monate im Jahr auf Achse, da ist Einiges liegengeblieben.»
«Ich bin bislang nicht krank geworden, aber meine Freundin ist positiv auf Covid-19 getestet. Ihre Mutter aus Brasilien hatte sie besucht, sie ist ebenfalls krank. Inzwischen befindet sie sich wieder in São Paulo, und wir können nur auf das Beste hoffen. Meine Freundin Giovanna ist mit ihrem neunjährigen Sohn bei sich zuhause, er ist gesund. Für sie ist ist nicht so leicht: Dem Sohn fällt es schwer, die ganze Lage zu verstehen, und der Hund kläfft ständig, weil er drinnen frustriert ist.»
«Sie kann Ärztetermine derzeit nur virtuell bekommen, es mangelt in den USA an Covid-19-Tests. Sie gilt als zu jung, um prioritär getestet zu werden. Ich versuche sie aufzumuntern, aber leicht ist es nicht.»
«Der schwierigste Aspekt von allem ist die Ungewissheit, dieses Surreale. Ich meine, wir haben einen strahlend schönen New Yorker Tag, und da draussen lauert ein potenziell tödlicher Virus.»
Josh macht sich überhaupt keine Illusionen: «Die Zahlen werden explosionsartig nach oben schiessen und jeden Winkel erreichen. Hier aus New York City sind viele Leute aufs Land gefahren oder in ihre Strandhäuser – das hat die Gemeinden dort nicht sehr erfreut. Wenn so viele Menschen unterwegs sind, dann ist es für den Virus ein Leichtes, sich zu verbreiten. Was mir Sorgen macht: Auf dem Land haben wir nicht die Infrastruktur, um der Bedrohung Corona zu begegnen.»
«Via Instagram fragen mich viele Menschen, wann ich ich glaube, dass wir wieder Rennen fahren können. Ehrlich gesagt ist die Formel 1 ungefähr das Letzte, was mir Sorgen macht! Mir ist wichtig, wie es Giovanna geht, ihrer Mutter und ihrem Sohn. Damit wir uns richtig verstehen: Ich liebe meine Arbeit, aber es muss auch klar sein, wie letztlich unbedeutend der Rennsport ist, wenn wir uns ansehen, was gerade in der Welt passiert. Angesichts der Situation in den USA frage ich mich, ob wir überhaupt eine Saison haben werden! Aber ich habe genügend Ehrgeiz und Fähigkeiten, mich auch ohne Grands Prix über Wasser zu halten, hoffentlich mit Arbeit hinter der Kamera.»