Armes Deutschland: Vettel und DTM weg, kaum Nachwuchs
2010 ist schon ein wenig her. Schaut man sich die aktuelle Formel 1 an, wirkt es wie eine Ewigkeit. Michael Schumacher, Sebastian Vettel, Nico Rosberg, Nico Hülkenberg, Adrian Sutil, Nick Heidfeld und Timo Glock – sage und schreibe sieben deutsche Fahrer prägten das schwarz-rot-goldene Bild in der Königsklasse.
Zehn Jahre später ist das Bild ein tristes, denn übrig geblieben ist nur Vettel. Noch. Denn der Heppenheimer könnte nach der gescheiterten Vertragsverlängerung bei Ferrari über 2020 hinaus ebenfalls bald von der Bildfläche verschwinden. Zumindest ist seine Zukunft komplett offen, sogar über ein sofortiges Karriereende gibt es Gerüchte.
Für den deutschen Motorsport wäre das besonders bitter, denn die Nachwuchsarbeit steckt in einer tiefen Krise. Timo Scheider zum Beispiel kennt die Herausforderungen und Probleme, welche Nachwuchsarbeit mit sich bringt. Er war mit seinem Team 2015 und 2016 in der Formel 4 unterwegs. Die tiefste Nachwuchsklasse im deutschen Formelsport, als Start in die Formel-Karriere. Günstig ist es deshalb trotzdem nicht.
Schon damals war es das nicht. Anfangs war man mit 150.000 Euro dabei, am Ende wurden Budgets jenseits der 500.000 Euro aufgerufen, «weil die Teams noch eine andere Meisterschaft gefahren sind und noch Testtage oben draufgelegt haben. Wie pervers ist diese Welt?, habe ich mich gefragt», so Scheider gegenüber SPEEDWEEK.com.
In der Tat geht im Nachwuchs nichts über Fahrzeit, über Erfahrung, Testtage. Sind diese nicht beschränkt, kann das schnell ausufern. Teams finanzieren sich auch über das Budget der Fahrer, die sich aufgrund der hohen Kosten eine Saison aber nicht mehr leisten können.
Und das ganz unabhängig vom vorhandenen Talent. Heißt: Qualität muss sich auf dem Niveau nicht unbedingt durchsetzen. Das war schon vor Corona ein Problem, das nun nochmals verschärft wird.
Die Folgen sind gravierend: «Der deutsche Nachwuchs fehlt im Moment völlig, weil ihn sich keiner mehr leisten kann. Wir haben von der Basis her fast keinen leistbaren und realisierbaren Motorsport mehr», sagt Scheider. An der Spitze kämpft Mick Schumacher in der Formel 2 um einen Platz in der Formel 1, dahinter wird es in der Tat dünn.
Die perverse Situation habe er damals schon angemerkt und moniert. «Ich sagte – es kann nicht sein, dass man 250.000 Euro investieren muss, um halbwegs mithalten zu können, und als Antwort habe ich bekommen: ‚Wenn du dir das nicht leisten kannst, kannst du dir die Formel 3 eh nicht leisten.‘ Wenn das die Herangehensweise ist, wie wir Motorsport groß machen wollen, ist das falsch.»
Gewisse Dinge wird man auch durch die Coronakrise nicht ändern können, weiß Scheider. «Wir werden uns am Geld orientieren müssen, das wird bleiben. Es wird immer Menschen geben, die mehr Geld haben, und die werden das dann auch investieren und dadurch einen Vorteil haben. Das ist die Problematik im Sport, wenn das Reglement das auch zulässt. Eine greifbare Lösung gibt es im Moment nicht», sagt Scheider.
Klar ist: Sollten in der DTM durch den Audi-Ausstieg die Lichter ausgehen, wäre das ein fataler Schlag, denn die Plattform fällt als Ziel, als Fixpunkt für viele Fahrer von jetzt auf gleich weg.
Und: Durch die Coronakrise und die wirtschaftlichen Folgen ist nicht absehbar, wie Karrieren noch finanziert und gefördert werden sollen.
«Ich denke, dass es noch schwieriger wird, weil es komplizierter wird, Partner und Sponsoren zu finden», sagt Timo Glock. «Die müssen schauen, dass sie in und nach der Krise selbst über die Runden kommen. Das wird im ganzen Sport zu Einschnitten führen, weil sich viele Partner auch zurückziehen müssen.»
Auch der frühere GP-Pilot, Sportwagen-Weltmeister und DMSB-Präsident Hans-Joachim Stuck macht sich Sorgen um den Nachwuchs. «Wie geht es weiter? Ist noch Geld da? Man weiß, was Saisons in den Formelserien kosten. Da ist die Frage, wo das Geld künftig herkommt. Die Nachwuchsfrage ist eine sehr schwierige. Man muss schauen, wie die Wirtschaft wieder angekurbelt wird, was Sponsoren machen. Das wird eine Herausforderung.»
Wichtig ist, dass man oben anfängt, Kosten zu sparen. «Wenn man in der Formel 1 eine vernünftige Kostendeckelung anleiert, dann geht das herunter auf andere Klassen. Man kann in den unteren Serien selbst sicherlich auch sparen. Man sollte auch da anfangen, über Lösungen nachzudenken», so der 69-Jährige.
«Es wird zudem darüber nachgedacht werden müssen, wie man diese Unzahl an Serien in vernünftiger Art reduziert. Das wäre ein guter Zeitpunkt, Diskussionen zu führen, über den Weltverband FIA, und über die Landes-Motorsportverbände, um ein vernünftiges Programm auf die Beine zu stellen.»