Kein Silverstone: Chancen von Hockenheim steigen
Dunkle Wolken über Silverstone
Die Aufgabe von Formel-1-CEO Chase Carey wird nicht einfacher. Der US-Amerikaner arbeitet mit F1-Sportdirektor Ross Brawn sowie der WM-Kalender-Verantwortlichen Chloe Targett-Adams an einem Ersatzprogramm 2020 – nachdem bislang wegen der Corona-Pandemie zehn WM-Läufe abgesagt oder verschoben werden mussten. Der jüngste Rückschlag: Setzt die britische Regierung eine Quarantäne-Regel buchstabengetreu um, dann wird es nach dem WM-Auftakt in Österreich (Rennen am 5. Juli und am 12. Juli) keine Grands Prix in Silverstone geben.
Am 10. Mai hatte Premierminister Boris Johnson in einer Fernsehansprache angekündigt, eine neue Quarantäne-Vorschrift einzuführen. Die Menschen müssen nach ihrer Einreise nach Grossbritannien sofort 14 Tage in Isolation, an einer Adresse, welcher den Behörden gemeldet werden muss. Im 50seitigen Leitfaden der Regierung war damals von Ausnahmen die Rede.
Johnson liess durchblicken, dass Sportveranstaltungen wie Fussball und Formel 1 einen wichtigen Beitrag dazu leisten könnten, die Menschen wieder in die Normalität zurück zu führen. Aber nach jüngsten Informationen aus Regierungskreisen wird es nun wohl doch keine Ausnahmen für den Sport geben. Grund: Oliver Dowden – Staatssekretär für Kultur, Medien und Sport – sei vom Gesundheitsministerium überstimmt worden. Ausnahmeregeln soll es ab 1. Juni nur für Lastwagenfahrer (Transport lebenswichtiger Güter) und für Diplomaten geben. Das Gesundheitsministerium befürchtet, dass mehr und mehr Menschen Anträge für Ausnahmeregeln stellen könnten. Das würde den Sinn der Massnahme aushebeln.
Chase Carey und seine Arbeitskollegen haben deshalb vor mehreren Wochen mit den Betreibern des Hockenheimrings Kontakt aufgenommen, als Plan B, falls mit Silverstone etwas schiefgeht. Die Hockenheimring-Geschäftsleiter Jochen Nerpel und Jorn Teske haben Carey klargemacht – das finanzielle Risiko für Rennen in Süddeutschland würde die Formel-1-Gruppe tragen müssen, denn natürlich würde ein Grand Prix in Hockenheim als Geisterrennen stattfinden, so wie alle europäischen Läufe. Aber grundsätzlich ist Hockenheim bereit. Wenn der Renntross vom Red Bull Ring nach Hockenheim zieht (670 Kilometer), dann müsste er nur eine Grenze überqueren, und die ist zwischen Österreich und Deutschland ab 15. Juni wieder offen, so wie zur Schweiz, zum Fürstentum Liechtenstein, zu Ungarn und Tschechien, zur Slokawei und wohl auch zu Kroatien und Slowenien.
Plan C von Carey – im Anschluss an Grands Prix auf dem Red Bull Ring weitere Rennen auf dem Hungaroring durchführen (Distanz 420 Kilometer).
Nach Rennen in Österreich das WM-Programm in Deutschland oder Ungarn fortzusetzen, würde bedeuten: Das britische Fachpersonal aus der Formel 1 (und aus den Rahmenprogramm-Formeln 2 und 3) wäre einen Monat lang auf Achse, bevor sie nach Rückkehr in die Heimat in besagte Isolation müssten – sofern diese Regel dann noch gilt.
Formel-1-CEO Carey hoffte: Wenn Rennfachkräfte in den Fahrerlagern regelmässig auf Corona getestet werden und entsprechende Bescheinigungen vorweisen können, dann sollten sie bei Rückreise nicht in 14tägige Isolation gezwungen werden. Aber offenbar ist das britische Gesundheitsministerium von diesem Argument nicht überzeugt.
Ein Sprecher der Formel 1 bestätigt: «Eine 14tägige Quarantäne macht die Durchführung eines britischen Grand Prix unmöglich. Das hätte direkte Auswirkungen auf zehntausende Jobs, die mit der Formel 1 zusammenhängen. Wenn der Sport ins Fernsehen zurückkehren soll, dann müssen Ausnahmen gestattet werden.»
Noch will Carey nicht alle Hoffnung fahren lassen: 4500 Firmen bilden in Grossbritannien die Motorsport-Industrie, mit einem Umsatzvolumen von 10 Milliarden Euro im Jahr. Gemäss Informationen der «Motorsport Industry Association» (MIA) leben 40.000 Fachkräfte direkt vom Rennsport.