Stefano Domenicali: So tickt der neue Formel-1-Chef
Stefano Domenicali arbeitete jahrelang als Teamchef von Ferrari
Nun ist es bestätigt: Stefano Domenicali wird zum dritten Formel-1-CEO nach Bernie Ecclestone und Chase Carey. Der 55jährige Italiener, in der GP-Stadt Imola geboren, in der GP-Stadt Monza wohnhaft, tritt in ziemlich grosse Fussstapfen. Aber in seiner Zeit bei Ferrari hat der Italiener etwas geschafft, das in der Königsklasse selten ist – er hat sich mit seiner Leidenschaft für den Sport, seiner umsichtigen Arbeitsweise und seiner Integrität einen erstklassigen Ruf geschaffen, die Reaktionen auf seine Ernennung sind sehr positiv.
Wer ist dieser Mann, der ab 1. Januar 2021 die Geschicke des grössten Sportspektakels der Welt leitet? Wie tickt Stefano Domenicali? Wo kommt er her?
Domenicali wuchs mit der Rennstrecke Autodromo Enzo e Dino Ferrari in Imola in Hörweite auf. Wir würden nicht so weit gehen und behaupten, dass er seine Kindheit auf der Rennstrecke verbracht hat, aber er selber sprach oft davon, wie ihn Imola geprägt hat.
Mit einem Abschluss in Betriebswirtschaft an der Universität von Bologna klopfte er 1991 bei Ferrari an. Sein erster Job in Maranello – in der Administration, mit der Zeit begann Domenicali, sich mehr und mehr um logistische Aufgaben zu kümmern, Ferrari-Präsident Luca Cordero di Montezemolo berief ihn 2002 auf den Posten des Sportchefs.
Im November 2007 übernahm Domenicali von Jean Todt den Job des Ferrari-Teamchefs. Er blieb bis zum 14. April 2014 auf diesem Posten. Dann wurde ihm zum Verhängnis, dass Ferrari es trotz des Engagements von Superstar Fernando Alonso nicht geschafft hatte, den ersten Fahrer-WM-Titel seit 2007 und Kimi Räikkönen an Land zu ziehen. Zwei Mal schrammte Alonso am Titel vorbei, vielleicht wäre dann die Karriere von Domenicali ganz anders verlaufen.
An dieser Stelle ein kleiner Einschub: Seine Nachfolger Marco Mattiacci, Maurizio Arrivabene und Mattia Binotto haben den WM-Titel bis heute auch nicht geschafft.
Stefano Domenicali sagte damals, ehrlich wie immer: «Es gibt in jedem Berufsleben Momente, in welchen man mutig sein muss, um schwierige oder sehr schmerzende Entscheidungen zu fällen. Nun ist es Zeit für einen Wechsel. Als Chef obliegt es mir, wie immer, die Verantwortung zu übernehmen. Meine Entscheidung gründet im Willen, etwas zu tun, das zum Wohle unserer Gruppe ist, der ich mich sehr verbunden fühle. Ich danke aus ganzem Herzen den Frauen und Männern unseres Teams. Ich hoffe, Ferrari kehrt bald auf jenes Niveau zurück, das Ferrari verdient. Ich bedaure, dass wir nicht mehr ernten konnten, was wir gesät hatten.»
Mit seinen Nachfolgern Mattiacci und Arrivabene brachen dunkle Zeiten an: Mattiacci verstand vom Sport zu wenig, Arrivabene versteckte sich hinter einer Mauer des Schweigens. Vorbei die Zeiten des offenen Umgangs mit den Medien, wie Domenicali ihn gepflegt hatte.
Der Stachel sass tief. Erst fast ein halbes Jahr nach der Entlassung konnte Domenicali über die schwärzteste Stunde seiner Karriere sprechen. Er sagte damals meinem Kollegen Leo Turrini: «Ich habe die Verantwortung für ein Versagen auf mich genommen. Die Dinge sind nicht so gelaufen, wie ich mir das erwartet, wie wir alle uns das erwartet hatten. Also was soll ich nun gross dozieren? Natürlich habe ich so meine eigenen Vorstellungen und vielleicht finde ich einen Freund, der mit mir eines Tages ein Büchlein schreibt. Aber ich trachte nicht nach Polemik. Es ist nun mal so gelaufen, es hätte nicht so laufen sollen, es tut mir leid. Ende der Übertragung.»
«Zu Ferrari nur so viel, und ich sage das in Demut und nicht ohne Selbstkritik: es wäre nicht schlecht, wenn intern eine gewisse Abgeklärtheit wiedererlangt würde. Dann würden wir auch nicht gute Leute verlieren, die dann anderswo ihre Talente zeigen. Und nochmals: das ist durchaus als Selbstkritik zu verstehen.»
«Von allen Fahrern habe ich mich mit Michael Schumacher am besten verstanden. Er war deshalb so wundervoll, weil sich sein Beitrag nicht auf die Rolle des Fahrers beschränkte. Er hat es verstanden, Unzufriedenheit nie nach aussen zu tragen, wenn es mal nicht gut gelaufen ist. Privat und im Team konnte er sehr ernst sein, teilweise sogar unbarmherzig. Aber gegen aussen hat er sich immer schützend vor den Rennstall gestellt.»
«Es stimt nicht, dass ich mit Alonso ein schwieriges Verhältnis hatte. Fernando ist ein vortrefflicher Mensch und das sage ich mit Ehrlichkeit. Gemessen an Schumi kommuniziert er offener, und es kommt vor, dass ihm eine seiner Aussagen falsch ausgelegt wird. Dem Team oder Ferrari gegenüber war er nie negativ eingestellt. Er hatte in entscheidenden Situationen auch nicht das notwendige Quäntchen Glück. Natürlich haben wir auch Fehler gemacht, aber wenn wir zwei Titel geholt hätten, so hätte niemand den Erfolg angefochten.»
Domenicali richtete sich neu aus.
Im Dezember 2014 übernahm er den Vorsitz der Einsitzer-Kommission beim Autosport-Weltverband FIA. Einen Monat zuvor hatte er bei der Audi AG einen Job übernommen, neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Im März 2016 wurde ihm die Leitung der Sportwagenfirma Lamborghini übertragen.
Immer wieder war in diesen Jahren davon die Rede, dass Domenicali in die Formel 1 zurückkehren könnte. Viele träumten von einer GP-Rückkehr von Lamborghini. Domenicali pflegte zu sagen: «Ein schöner Traum, aber wir haben andere Prioritäten.»
Was die Formel 1 mit Stefano Domenicali erhält: Einen Mann des Dialogs, der sich aber auch nicht davor scheut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist.
Ein Mann, der zuhören kann, zu immer zugänglich ist, der den Sport und die Autoindustrie kennt, die wirtschaftliche ebenso wie die sportliche Seite, ein echter Allrounder, auf den zutrifft, was auch Luca Montezemolo zu sagen pflegte: «Man kann mich aus den Sport entfernen, aber man kann den Sport nicht aus mir entfernen.» Neben aller Vernunft schlägt in der Brust von Domenicali das Herz eines echten Racers.
Und das ist für die Formel 1 eine wunderbare Nachricht.