Patrick Friesacher: Wie die Sommerpause Pérez hilft
Patrick Friesacher analysiert das Rennen in Belgien
George Russell hat in Spa-Francorchamps ein großartiges Rennen gezeigt. Im Hintergrund sitzen die Strategie-Leute und berechnen jedes kleinste Detail. Aber George hat gespürt, dass die Ein-Stopp-Strategie die richtige Wahl ist. Als Fahrer kriegst du direktes Feedback vom Auto. Du spürst, ob das Handling gut ist, wie das Auto beim Anbremsen liegt und ob es in den schnellen Kurven angenehm zu fahren ist. Genauso fühlst du, wenn die Reifen anfangen abzubauen. Das Auto rutscht mehr und man hat als Fahrer viel mehr mit dem Auto zu kämpfen.
George hat sich im Auto wohlgefühlt und schliesslich absolvierte er 34 Runden auf dem harten Reifen – mehr als jeder andere Pilot im Feld. Im Vorjahr war die Reifenstrategie zum Sieg eine völlig andere. Die Strategen von Red Bull Racing setzten auf Soft – Medium – Soft und Max Verstappen gewann den Großen Preis von Belgien mit 22 Sekunden Vorsprung auf seinen Teamkollegen. Allerdings wurde dieses Jahr Dreiviertel der Rennstrecke neu asphaltiert. Entsprechend hat keiner aktuelle Daten gehabt und konnte vorhersagen, wie sich der Grand-Prix-Kurs entwickelt.
George und Mercedes haben gepokert und ihr Gambling ging auf. Umso bitterer ist es für George, dass er nach dem Rennen disqualifiziert wurde, weil sein Wagen eineinhalb Kilogramm zu leicht war. Das Mindestgewicht eines Formel-1-Boliden liegt bei 798 Kilogramm, der Mercedes wog nur 796,5 Kilogramm. In der heutigen Zeit darf so etwas eigentlich nicht passieren, aber in der Formel 1 sind ebenfalls nur Menschen am Werk. Es kann immer etwas schiefgehen, das macht auch ein wenig den Nervenkitzel aus.
Und was man nicht vergessen darf – normalerweise fahren die Piloten nach der schwarz-weiß-karierten Zielflagge noch eine Runde und sammeln dabei den ganzen Pickup der Reifen auf. Damit wird der Wagen automatisch höher und schwerer. Der Circuit Spa-Francorchamps ist 7,004 Kilometer lang – die Autos hätten auf einer Runde ordentlich Pickup aufgesammelt. Doch in Spa-Francorchamps fahren die Piloten keine zusätzliche Runde, sondern biegen nach La Source direkt in die Boxengasse ab. Es ist schwer zu sagen, ob eine weitere Runde über die Rennstrecke am Gewicht des Mercedes etwas verändert hätte, denn eineinhalb Kilogramm ist eine Menge.
George selbst hat nichts falsch gemacht. Selbstverständlich freut man sich als Fahrer über einen Sieg, den man sich so hart erarbeitet hat. Das ist natürlich bitter, aber er wird diesen Rückschlag schnell abhaken. Er weiß, dass er aus eigener Kraft vorne mitfahren und gewinnen kann. Genau dieses Mindset nimmt er in die restliche Saison mit.
Jetzt geht es für die Piloten und Teams zuerst in die verdiente Sommerpause. Diese Pause hilft auch Sergio Pérez, der Zeit zum Durchatmen hat. Red Bull Racing hat mit seiner Entscheidung mit ihm weiterzumachen, gezeigt, dass sie hinter ihm stehen. Das tut ihm gut und kann ihm helfen, sich aus der Abwärtsspirale, in der er sich momentan befindet, wieder hinaus zu manövrieren. Wichtig für ihn – und für Red Bull Racing mit Blick auf die Konstrukteurswertung – ist es, dass er die restlichen Rennen konstant in die Punkte fährt.
Denn McLaren hat mit Lando Norris und Oscar Piastri zwei starke Fahrer, die regelmäßig Punkte holen. Damit sind sie in der Konstrukteurswertung bis auf 42 Punkte an Red Bull Racing herangerückt. Das lag auch daran, dass Red Bull Racing zuletzt ein Ein-Mann-Team gewesen ist. Max hat mit 277 Zählern mehr als doppelt so viele WM-Punkte geholt, wie Sergio mit 131. Sergio ist an einem guten Tag ein bärenstarker Fahrer. Er hat in den ersten Rennen der Saison eine solide Performance gezeigt. Wenn er zwei, drei Zehntel hinter Max liegt, dann ist das völlig okay. Max ist ein Ausnahmetalent.
Doch Sergio baut sich über das Jahr hinweg den Druck selbst auf. Er will Rennen gewinnen, er will Weltmeister werden – und dann kommt er an die Rennstrecke. Es reicht schon, wenn im Freien Training ein paar Kleinigkeiten nicht passen und er sich im Wagen nicht hundertprozentig wohl fühlt. Sobald er dann raus aus dem Auto ist, bekommt er zusätzlich von den Journalisten immer wieder die gleichen Fragen gestellt. Der eine Fahrer steckt das leichter weg, der andere fängt an zu grübeln und irgendwann ist es im Hinterkopf drin.
Wie gesagt, ist es gut, dass jetzt die Sommerpause ansteht. Ich bin schon sehr gespannt, wie es danach weitergeht. Das Feld ist auf jeden Fall enger zusammengerückt. Wenn man sich die Qualifyings der letzten Zeit ansieht, dann haben sich die ersten 13, 14 Autos innerhalb von neun Zehntel bewegt. Solch geringe Zeitabstände haben wir lange nicht mehr in der Formel 1 gesehen. Ich finde die Entwicklung gut. Je enger das Feld, desto besser für den Sport und für die Motorsport-Fans vor Ort an der Rennstrecke und zu Hause vor den TV-Geräten.
Die Teams sehen das natürlich anders, denn bereits der kleinste Fehler kann dazu führen, dass man statt auf Platz 1 auf Platz 8 steht. Deshalb wird im Hintergrund weiterentwickelt. In der Formel 1 herrscht niemals Stillstand. Die Teams dürfen sich nie ausruhen, sondern müssen immer am Drücker bleiben.
Zum Abschluss noch kurz zum Wechsel von Carlos zu Williams. Die Nachricht hat mich ein wenig überrascht, denn er wechselt von Ferrari zu einem Team im Mittelfeld. Carlos hat bestimmt all seine Optionen angesehen und die für ihn persönlich einzig richtige Entscheidung getroffen. Und wer weiß, wie es mit Williams weitergeht. Im Moment erlebt das Team einen Aufwärtstrend. Sie haben gute Ingenieure und Mechaniker an Bord und wollen auf jeden Fall wieder nach vorne. Das zeigt auch die Verpflichtung von Carlos. Ich bin gespannt.
Wer PS-starke Boliden selbst einmal erleben will, ist am Red Bull Ring genau richtig. Die Red Bull Ring-Instruktoren wie Patrick Friesacher verraten Tipps und Tricks, wie man sich im sicheren Rahmen an das eigene Limit herantastet. Informationen zu den Fahrerlebnissen am Red Bull Ring und Buchungen sind online möglich.