Valentino Rossi sucht das Glück

Stefan Bellof: Ferrari-Vertrag, verlorener Champion

Von Rainer Braun
​An diesem 20. November 2024 wäre Stefan Bellof 67 Jahre alt geworden. Das Schicksal hat für ihn einen anderen Weg bestimmt. Wie er seinen ersten Grand Prix fuhr und was aus ihm geworden wäre.

Vor 40 Jahren fuhr der 26 Jahre alte Stefan Bellof beim GP Brasilien in einem Tyrrell-Ford sein erstes Formel 1-Rennen. Wie es dazu kam, wo und wie ich dieses denkwürdige Wochenende erlebt habe, möchte ich hier erzählen.

Dazu muss ich etwas ausholen. Stefan und ich hatten uns etwa ein Jahr vor seiner F1-Premiere hinsichtlich der Beratung getrennt. Grund war eine Forderung seines Managers und Formel 2-Teamchefs Willi Maurer, der aus verschiedenen Gründen klare Verhältnisse verlangte. Unter Androhung von Konsequenzen bestand er darauf, dass Stefan auf diesem Gebiet ausschließlich mit ihm und keinen weiteren Personen zusammenarbeitet.

Man kann auch sagen, Maurer hat Stefan unter Druck gesetzt. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als dem Diktat seines Formel 2-Teamchefs zu folgen, weil die gesamte Finanzierung seines F2-Programms an Maurer gekoppelt war. Daraufhin habe ich mich zurückgezogen, aber unsere persönliche Freundschaft blieb bestehen.

Wir hatten uns rein beratungstechnisch zwar getrennt, aber er wusste, dass er jederzeit mit meiner Hilfe rechnen konnte, falls er sie benötigen sollte. Außerdem habe ich ihm alle verauslagten Kosten für die Jahre 1981 und 1982 erlassen, weil er in dieser Zeit ohnehin kein Geld verdient hat. Über einen längeren Zeitraum gab es dann nur noch selten Kontakt zwischen uns.

Erst im Februar 1984 meldete sich Stefan überraschend, um mich und meine Frau für ein Wochenende im März nach Monaco einzuladen. «Wir können dann ein bisschen quatschen und auch noch ein paar andere Dinge in Ordnung bringen», sagte er am Telefon. Wir einigten uns auf den 17./18. März 1984.

Ab nach Monaco

So viel zur Vorgeschichte. Am 17. März, einem Samstag, saßen wir im Flieger nach Nizza. Im «Loews» in Monaco hatte Stefan ein Zimmer mit tollem Ausblick bestellt. Am Flughafen erwartet uns aber statt des Gastgebers dessen Lebensgefährtin Angelika. «Der Stefan lässt sich entschuldigen, weil er gestern ganz schnell nach Brasilien fliegen musste. Er fährt nächstes Wochenende seinen ersten Formel 1-Grand Prix für Tyrrell. Das hat sich erst ganz kurzfristig ergeben.»

Für mich ist das die schönste Nachricht des Tages. Stefan ist also in der Formel 1 angekommen, da, wo er von Anfang an hin wollte. Mir fällt sofort wieder sein erster Besuch bei mir vom Oktober 1980 ein. Fröhlich lachend hatte er mir seinerzeit auf die Frage, wo es denn so hingehen soll, erklärt: «In die Formel 1 natürlich, wohin sonst, da will ich hin, und dafür werde ich alles opfern.»

Donnerwetter, dachte ich mir, mit seinem eisernen Willen hat er sein Ziel tatsächlich schon nach dreieinhalb Jahren erreicht. Nach dem im Herbst 1983 ohne seine Schuld gescheiterten F1-Deal mit BMW jetzt also Tyrrell. Gerade für junge Neueinsteiger sicher keine schlechte Adresse, denke ich mir.

In bester Laune verbringen wir mit Angelika den restlichen Samstag, bevor es tags darauf wieder heimwärts geht. Zum Abschied drückt sie mir einen Umschlag in die Hand: «Den wollte dir Stefan eigentlich persönlich übergeben. Es ist sein Dankeschön für all die Mühe und so manchen Ärger, den du wegen ihm hattest.»

Als ich den Umschlag später im Flieger öffne, lacht mich ein Bündel Geldscheine an. Dazu eine Aufstellung seiner Porsche- und Sponsoren-Bezüge aus der Saison 1983 mit einem prozentualen Anteil für mich. Und einem Fetzen Papier, auf den er «Danke, Entschuldigung und Grüße, Stefan» gekritzelt hat. Er hat das aus eigenem Antrieb erledigt, ich hatte nichts von ihm gefordert.

Der erste Grand Prix

Als eine Woche später der Brasilien-GP in Rio gestartet wird, sitzen meine Frau und ich aufgeregt und zugleich erwartungsfroh zuhause vorm Fernseher. Die Übertragung, ich glaube die ARD war dran, sollte um 18.00 Uhr beginnen, aber es dauerte und dauerte, weil grad irgendwelche Wahlen in Baden Württemberg analysiert wurden und der Abgeordnete Rezzo Schlauch von den Grünen nicht aufhören wollte zu reden.

Um diese Zeit gab es ja auch noch keine transparente Wochenend-Berichterstattung in den Medien und schon gar kein Internet – so waren noch nicht mal die Trainingszeiten vom Vortag bekannt.

Mit Verspätung geht’s endlich los, ich bin total nervös und habe Hitzewallungen vor Aufregung. Stefan hatte ein ordentliches Trainings-Resultat hingelegt. Lediglich 6/10 Sekunden Rückstand auf seinen Tyrrell-Teamkollegen Martin Brundle konnten sich durchaus sehen lassen.

Später hat mir Stefan dazu mal erzählt, dass er mit seinem Trainings-Ergebnis überhaupt nicht zufrieden war. Am meisten hat er sich darüber geärgert, dass sein Teamkollege Brundle, wie er ebenfalls F1-Neuling, vier Plätze vor ihm in der Startaufstellung stand. Und dann war auch noch sein deutscher Konkurrent Manfred Winkelhock im ATS-BMW im Qualifying um einiges besser. Dabei hatte Winkelhock schon zwei Jahre F1-Erfahrung und überdies einen rund 300 PS stärkeren BMW-Turbomotor.

Kleine Anmerkung am Rande: Auch Stefan hätte schon 1984 einen strammen BMW-Turbomotor im Rücken haben können, wäre sein Manager Maurer nicht so maßlos in seinen Forderungen gewesen. Die Verhandlungspartner BMW und Arrows fühlten sich brüskiert und beendeten die Diskussion.

BMW-Sportchef Dieter Stappert sagte mir im Herbst 1983 enttäuscht: «Wir hatten für Stefan das beste Paket geschnürt, das BMW jemals für einen Formel 1-Neuling bereitgestellt hat. Er hätte Werksfahrer-Status bekommen und wir sind dafür wirklich bis an die Schmerzgrenze gegangen. Ich bin maßlos enttäuscht.»

Für Herrn Maurer war das aber alles nicht gut genug – und Stefan musste gute Miene zum weniger guten Spiel machen. Auch in der PS-Branche kam das damals nicht so gut an und Maurer wurde in den Fachblättern für sein Verhalten durchweg heftig kritisiert.

Wie ein Fisch im Wasser

Zurück zum Rennen. Nach dem Start kämpfte sich Stefan, so zeigten es die TV-Bilder, schnell Platz für Platz durchs Feld, überholte schon in Runde 1 den Teamkollegen Brundle und setzte sich ab Runde 2 auf Rang 13 fest – drei Positionen vor Brundle. Den unterlegenen Saugmotor-Tyrrell bewegte Stefan so, als habe er nie was anderes gemacht. Man hatte den Eindruck, dass ihm die Zweikämpfe und Ausbremsmanöver riesigen Spaß bereiten.

Dann die Riesen-Enttäuschung, Stefan muss mit einem defekten Gaspedal aufgeben. Dabei wäre sogar ein Podiumsplatz möglich gewesen, denn das Rennen wird in der Folge von einer hohen Ausfallquote geprägt. Nach 61 Runden erreichen nur acht von 26 Autos das Ziel in Wertung, ab Platz vier beginnen bereits die Rundenrückstände. Fast alle Ausfälle sind auf technische Defekte zurückzuführen.

So landet Stefans Teamkollege Brundle trotz einer Runde Rückstand immerhin auf Platz fünf. Vielleicht wäre Stefan bei der hohen Ausfallquote tatsächlich aufs Podium gefahren. Egal, er hat gezeigt, was er kann, das reicht. Ich war so stolz auf ihn.

Was Stefan in der Folge rein fahrerisch mit dem unterlegenen Tyrrell Ford V8-Sauger geboten hat, ist bekannt. Einschließlich der unvergessenen Monaco-Regenschlacht, die er aus der letzten Startreihe in Angriff genommen und auf Rang drei beendet hat. Noch heute schau‘ ich mir das Video mit der unglaublichen Szene Bellof vs. Arnoux in der Mirabeau-Kurve an.

Und wer weiß, wie das ausgegangen wäre, hätte die umstrittene rote Flagge den Vormarsch der Herren Senna und Bellof in Richtung Führungsübernahme nicht vorzeitig beendet. Zum Zeitpunkt des Abbruchs war noch nicht mal die Hälfte der Distanz absolviert, Senna hatte nur noch acht und Bellof 21 Sekunden Rückstand auf den führenden Alain Prost im McLaren-Porsche Turbo. Dessen Vorsprung schmolz von Runde zu Runde, weil die beiden Prost-Jäger zum Zeitpunkt des Abbruchs den regennassen Monaco-Parcours um bis zu eineinhalb Sekunden pro Runde schneller als der Leader umrundeten.

Leider verlor Stefan ebenso wie sein Teamkollege Brundle im Laufe der Saison alle eingefahrenen WM-Punkte durch Komplett-Disqualifikation der FIA, weil Tyrrell eine Manipulation im Bereich des Benzintanks nachgewiesen wurde.

Senna und Bellof

Ich bin fest davon überzeugt. dass Stefan in der Formel 1 alles hätte erreichen können. Ihm und Ayrton Senna hätte womöglich die Zukunft gehört, die beiden hätten sich um die WM-Titel innerhalb der nächsten, sagen wir, fünf, sechs Jahre duelliert. Stefan bei Ferrari (der Vertrag für 1986 war schon besiegelt) und Senna bei McLaren. Oder auch beide irgendwann bei McLaren als konkurrierende Teamkollegen – das wäre ein Fest geworden …

Ich weiß, dass Stefan ebenso wie Senna damals wegen des Monaco-Abbruchs sehr wütend auf Rennleiter Jacky Ickx war. Dass ausgerechnet Ickx 1983 und 1984 auch Stefans Teamkollege im Porsche-Werksteam in der Sportwagen-WM war, hat das ohnehin angespannte Verhältnis der beiden Alpha-Tiere in der Folgezeit nicht einfacher gemacht.

Stefans Tod am 1. September 1985 beim Sportwagen-WM-Lauf in Spa hat alle Träume zerstört und Deutschlands Rennsportfans in tiefe Depression gestürzt. Ein Tod, der vielleicht zu vermeiden gewesen wäre, hätten sich da nicht ausgerechnet zwei rivalisierende Superstars in der Eau Rouge-Senke von Spa zum verhängnisvollen Prestige-Duell getroffen. Oder sollte man besser Showdown sagen?

Was bleibt, ist eine große, weltweite Fan-Gemeinde, die dem «Lost Talent» Stefan Bellof bis heute und wohl auch in Zukunft huldigt.

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