10. Januar 1971: Vom sinnlosen Tod des Ignazio Giunti
Der legendäre Enzo Ferrari schrieb in seinem Buch «Piloti, che gente»: «Ignazio Giunti kam von den Sportwagen, und auf unseren 312P hat er sich voll entfaltet. Aber er hätte auch auf den Einsitzern eine glänzende Zukunft haben können. Er hatte viel Talent und Leidenschaft und viele von uns liebten ihn.»
Giunti, Sprössling kalabrischer Aristokraten, hatte sich im Tourenwagensport einen Namen gemacht und in der italienischen Formel 3, Alfa Romeo holte ihn in die Sportwagen-WM, dann kam der Anruf von Enzo Ferrari.
Giunti wurde 1970 in seinem ersten Grand Prix auf dem sündhaft schnellen Kurs von Spa-Francorchamps gleich Vierter, parallel dazu gab Ferrari auch dem Tessiner Clay Regazzoni eine Chance. Der wurde in Zandvoort ebenfalls Vierter.
In Frankreich, Österreich und Italien konnte Giunti nicht mehr so glänzen wie in den Dünen von Zandvoort: 14. und 7., Motorschaden in Monza. Regazzoni hingegen setzte zu einem Höhenflug an: Vierter auch in England, Zweiter in Österreich, Sieg beim fünften GP in Monza, in Monza, dann Zweiter in Kanada und Mexiko. Obschon Regazzoni fünf Rennen der Saison 1970 nicht bestritten hatte, wurde er WM-Dritter.
Für 1971 blieb Regazzoni daher im GP-Team, an der Seite von Jacky Ickx, Enzo Ferrari wollte Giunti aber nicht verlieren und behielt ihn als Fahrer für die Sportwagen-WM.
Ignazio Giuntis erster Einsatz 1971: die 1000 Kilometer von Buenos Aires, am 10. Januar.
Und es lief gut für Giunti beim Saisonbeginn in Argentinien. Im Training konnte er den kleinen, offenen Ferrari-Sportwagen vom Typ 312PB gegen die starke Konkurrenz von vier Porsche 917 der Teams von John Wyer und Hans-Dieter Dechent in die erste Reihe stellen.
In den ersten Rennrunden gab es einen verbissenen Dreikampf der 917er von Vic Elford und Pedro Rodríguez mit Giuntis Ferrari.
Die durstigen Porsche mussten früher zur Tankstelle, somit übernahm der Italiener die Führung.
Den Zeitpunkt zum Tanken verpasst hatte hingegen Jean-Pierre Beltoise, der sich mit seinem Namensvetter Jabouille einen Matra teilte. Der Wagen blieb 600 Meter vor der Boxeneinfahrt stehen.
Der Franzose Jean-Pierre Beltoise hatte seine Karriere auf zwei Rädern begonnen. Ab 1963 nahm er an Sportwagenrennen teil. 1964 erlitt er beim 12-Stunden-Rennen von Reims so schwere Armverletzungen, dass er den linken Arm nie wieder voll nutzen konnte.
Beltoise schob nun in Buenos Aires – mit mehr oder weniger nur einem Arm – seinen Wagen auf der Strecke. Doch er musste nicht nur die leicht ansteigende Bahn bewältigen, sondern auch noch die Piste queren, da die Boxengasse an der rechten Streckenseite lag, sein Matra sich aber auf der linken Seite befand.
Drei Runden ging das gefährliche Unterfangen gut, dann drehte Beltoise das Lenkrad nach rechts und schob den Wagen Richtung Streckenmitte.
Im 38. Umlauf befand sich Giunti im Windschatten des Fillipinetti-Ferrari von Mike Parkes. Parkes fand links um Haaresbreite einen Weg vorbei am Matra. Doch Ignazio, der hinter einer leichten Kuppe und dazu noch direkt hinter seinem Konkurrenten Parkes fuhr und den Matra nicht sehen konnte, scherte aus und knallte voll in den Wagen von Beltoise. Der Franzose hatte Glück, weil er gerade wieder neben seinem gestrandeten Boliden stand.
Der Ferrari explodierte regelrecht, Ignazio Giunti hatte keine Chance.
Ein Unfall wie damals wäre heute nicht mehr möglich: Der spritlose Fahrer hätte seinen Wagen sofort zur Seite stellen müssen, es hätte doppelt geschwenkte gelbe Flaggen gegeben, vielleicht sogar einen Rennabbruch mit der roten Flagge.
Beltoise wurde kurz nach dem Unfall von den argentinischen Behörden verhört. Später erhielt er Geldstrafen und zeitweisen Lizenzentzug des Automobil-Weltverbands.
Beltoise blieb Matra bis ins Jahr 1971 treu, Privatleben und Karriere waren jedoch weiter von Rückschlägen geprägt: 1966 kam seine erste Gattin Éliane bei einem Autounfall ums Leben. Jean-Pierre wechselte für 1972 zu BRM und gewann im Regen-GP von Monaco seinen einzigen Grand Prix. Die Verhältnisse waren wie gemacht für das extreme Feingefühl des Parisers, und Lenkkräfte spielten bei solchen Bedingungen keine grosse Rolle.
Die Erinnerung an den Tod von Giunti hat ihn bis zu seinem Tod 2015 verfolgt, unter vielen Fahrerkollegen blieb der Franzose verhasst.
Der langjährige Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo sagt: «Enzo Ferrari hat Giunti in wohlwollender Erinnerung behalten. Vor allem weiss ich noch, wie sehr die Mechaniker Ignazio geliebt haben. Und das tun sie nur bei Fahrern, von welchen sie überzeugt sind.»
Rennwagenkonstrukteur Mauro Forghieri: «Giunti war ein Gentleman, wie man ihn in der Welt des Autosports selten findet. Und ich glaube, dass dies auf seine Herkunft zurückzuführen war. Er hat einen besonders menschlichen Eindruck hinterlassen. Damals war es schwierig, in die Formel 1 zu kommen, aber ich glaube, wenn er nicht gestorben wäre, hätte er es weit gebracht.»
Giunti wurde in der Familien-Gruft des Friedhofs Verano von Rom zur letzten Ruhe gebettet.