Formel 1 im Wandel: Den Todesfallen entkommen
Das halbe Leben begleitet die Königsklasse nun schon den zweifachen Formel-1-Weltmeister Emerson Fittipaldi. Die Motorsport-Karriere des heute 67-Jährigen begann im Teenager-Alter auf zwei Rädern und endete erst im Alter von fast 50 Jahren mit einem harten Abflug auf dem Michigan International Speedway. «Und in dieser langen Zeit hat sich im Motorsport nichts so sehr verändert wie die Sicherheit», erklärt Fittipaldi in seiner neuen McLaren-Kolumne.
Der Brasilianer fügt an: «Sogar vor 80 Jahren waren die GP-Boliden unglaublich schnell. Nehmen wir beispielsweise den Mercedes-Benz W125, in dem sich der grossartige Rudolf Caracciola in der Europäischen Meisterschaft 1937 zum Champion kürte. Das Monster wurde von einem 5.7-Liter-Achtzylinder-Motor angetrieben, der mehr als 600 PS auf die Strasse brachte. Auf dünnen Diagonalreifen brachte er es im Renntrimm mühelos auf 298 km/h!»
W125: Liebe auf den ersten Blick
Tatsächlich gelang es den Silberpfeilen, mit einer Hochgeschwindigkeits-Version des W125 im gleichen Jahr einen neuen Rekord aufzustellen. Der «Rekordwagen» genannte Flitzer war auf einem gezeiteten Kilometer 432,7 km/h schnell. Fittipaldi kommentiert: «Das ist nicht gerade das, was man unter langsam versteht. Auf der Geraden war der W125 nicht langsamer als die heutigen Formel-1-Boliden und IndyCar-Flitzer. Trotzdem erkennt man auf den alten Fotos, die den W125 in Rennaction zeigen, dass die Fahrer ohne Helm oder andere Schutzbekleidung unterwegs waren. Und man darf nicht vergessen: Auch wenn der W125, was die Beschleunigung und den Speed angeht, an die heutigen Renner herankommt, sieht das bei den Bremsen, der Lenkung, dem Fahrverhalten und der Strassenlage ganz anders aus.»
Fittipaldi weiss, wovon er spricht: «Ich fuhr einst einen W125 im Rahmen einer Demofahrt für Mercedes-Benz. Das war auf dem alten Hockenheimring, beim GP-Wochenende 1997. Ich trug dabei eine Lederkappe, wie sie die Piloten früher verwendeten, um die Bilder noch authentischer aussehen zu lassen. Ich hatte meine aktive Rennfahrer-Karriere damals schon beendet und die Idee war, dass ich eine gemütliche Spazierfahrt unternehme. Doch sobald ich in diesem grossen, alten Renner auf die Strecke beschleunigte, schoss mir schon das Adrenalin durch den Körper und es war unmöglich, mich zurückzuhalten. Später wurde mir gesagt, dass ich in den Bremszonen vor den Schikanen bis zu 274 km/h schnell war und das obwohl ich mich die ganze Zeit über konzentrieren musste, um nicht aufs falsche Pedal zu steigen. Denn im W125 ist die Kupplung rechts, die Bremse links und das Gaspedal in der Mitte. Trotzdem war es sofort um mich geschehen, ich liebte es, in diesem Auto unterwegs zu sein. Doch war es sicher? Nein, das war es zweifellos nicht.»
Lorbeeren für Jackie Stewart und Co.
Dass sich in Sachen Sicherheit so viel getan hat, liegt nicht zuletzt an den Bemühungen der Fahrervereinigung Grand Prix Drivers Association (GPDA). Fittipaldi erklärt: «Damals verloren viel zu viele Rennfahrer ihr Leben in einem GP, deshalb entschieden sich die GP-Fahrer in den 60er-Jahren, die Sicherheit selbst in die Hand zu nehmen. 1961 wurde die GPDA ins Leben gerufen, die heute noch existiert und bei der alle Formel-1-Piloten mitmachen sollten. Auch ich war ein sehr stolzes Mitglied während meiner aktiven F1-Karriere, die von 1970 bis 1980 dauerte.»
Dann schwärmt Fittipaldi: «Die drei aktivsten GPDA-Mitglieder, die sich in den 60ern für die Sicherheit einsetzten, waren Jo Bonnier, Jochen Rindt und Jackie Stewart – und es ist in dieser Hinsicht besonders tragisch, dass Jochen sein Leben 1970 in Monza verlor und Jo 1972 in Le Mans tödlich verunglückte. Gottseidank ist Jackie am Leben geblieben, für mich ist er einer der grossartigsten Figuren, die der Motorsport je hervorgebracht hat. Er war nicht nur jener Rivale, den ich während meiner Motorsport-Karriere am meisten respektiert habe und der bis heute zu meinen Freunden zählt. Darüber hinaus hat er mehr als jeder andere Pilot die Rennfahrerei sicherer gemacht. Jeder der aktuellen Piloten ist ihm zu Dank verpflichtet, denn er hat unglaublich viel zur Sicherheitsentwicklung des Sports beigetragen, den sie so lieben und mit dem sie sich ihre Brötchen verdienen.»
Der 14-fache GP-Sieger erinnert sich: «Als ich 1969 in Europa ankam, um erst in der Formel Ford, dann in der Formel 3 und schliesslich in der Formel 1 anzutreten, waren die Autos auf der Geraden nicht schneller als jener W125 von 1937. Doch auf der Bremse und in den Kurven waren sie klar überlegen. Deshalb war das Rundentempo auch entsprechend höher. Einige der WM-Strecken, auf denen wir in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren unterwegs waren, hatten kaum sicherheitsrelevante Änderungen erfahren seit der Zeit, als Caracciola und seine Freunde noch dort unterwegs waren.»
Todesfalle Nordschleife
Eines der offensichtlichsten Beispiele für die fehlende Streckensicherheit war die Nordschleife des Nürburgrings. Fittipaldi gesteht: «Sie mag hinreissend gewesen sein – und ist es immer noch. Aber damals war sie auch eine Todesfalle – anders lässt sich das nicht sagen. Auch die Sicherheitsvorkehrungen beim Rennen auf dem Montjuic in Barcelona waren ein trauriger Witz – weshalb ich den Spanien-GP von 1975 boykottierte.»
Emerson erzählt weiter: «Und ich zähle Rouen-les-Essarts auch zu den Kursen, die in einem unzumutbaren Ausmass unsicher waren. Ich bestritt nie einen Frankreich-GP auf diesem furchterregenden, 6,5 km langen Strassenkurs, denn der letzte fand 1968 statt, also ein Jahr vor meiner Europa-Ankunft, und er forderte das Leben des armen Jo Schlesser. Aber die Formel 2 war da bis 1978 unterwegs, und ich war in einigen dieser Rennen mit von der Partie. Es war ein aufregender Rundkurs, und auch ein schwieriger, aber er war auch viel zu gefährlich. Kaum zu glauben, aber eine Kurve war gepflastert und der Rundkurs umfasste auch eine ganze Reihe von sehr schnellen blinden Kurven, die durch den Wald führten. Die Bäume schossen dort auf beiden Seiten neben dem Asphalt aus dem Boden. Aus der heutigen Perspektive war das ein irre gefährlicher Rundkurs.»
Deshalb war es es auch kein Wunder, dass die GPDA bei der Streckensicherheit ansetzte, denn dort bestand der dringendste Handlungsbedarf. Fittipaldi beschreibt: «Die Schutzschienen und Fangnetze waren entweder gar nicht oder in unzureichendem Zustand vorhanden, Auslaufzonen gab es für gewöhnlich keine. Die medizinische Versorgung war von Strecke zu Strecke unterschiedlich gut organisiert – einige waren in einem fürchterlichen Zustand, andere waren erbärmlich eingerichtet, und wiederum andere waren ganz okay – gut war in dieser Hinsicht keiner aufgestellt.»
In den 70er-Jahren konzentrierte sich die GPDA schliesslich auf die Autos. Aus gutem Grund, wie Fittipaldi erklärt: «Eine der Hauptgefahren lag damals im Feuer. Wenn der Tank bei einem Unfall beschädigt wurde, verwandelten sich selbst relativ harmlose Abflüge in ein tödliches Inferno. Zu viele Piloten verbrannten in diesen Tagen in ihren Autos und es läuft mir heute noch ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke. Es war die amerikanische Reifenfirma Goodyear, die schliesslich einen sichereren Treibstofftank entwickelte, der für Hubschrauber konstruiert worden war. Einer seiner grossen Vorteile war das Einweg-Ventil, mit dem er ausgestattet war. Das war eine unglaublich wichtige Entwicklung, die den Rennsport schlagartig bedeutend sicherer machte. Auch die Cockpits wurden angepasst – sodass der Kopf des Fahrers weniger exponiert war. Auch das Gurtsystem und die Helme wurden laufend verbessert.»
Wie riskant die Formel 1 vor und während der GPDA-Bemühungen war, zeigt die neuste Dokumentation «One – Leben am Limit», in der neben vielen Zeitzeugen auch heutige Formel-1-Grössen wie Sebastian Vettel und Lewis Hamilton sowie Rekord-Weltmeister Michael Schumacher zu Wort kommen.