Raffaele Marciello: Erster F1-Italiener seit 2011
Die goldenen Stunden für italienische Formel-1-Fans liegen schmerzlich weit zurück: Die einzigen beiden Weltmeister aus Italien – Nino Farina und Alberto Ascari in den 50er Jahren, gewissermassen in der Steinzeit der Formel 1. Der letzte italienische Sieger in Monza – Ludovico Scarfiotti 1966. Der vorderhand letzte italienische GP-Sieger – Giancarlo Fisichella in Malaysia 2006. Die letzten italienischen GP-Piloten am Start: Tonio Liuzzi und Jarno Trulli beim WM-Finale von Brasilien 2011.
Ende 2013 hofften die Italiener auf einen neuen Mann. Aber als Kimi Räikkönen im Lotus wegen seines Rückens nicht einsatzfähig war, da setzte Teambesitzer Gerard Lopez nicht etwa Test- und Ersatzfahrer Davide Valsecchi ins Auto, sondern Heikki Kovalainen! Die Tatsache, dass der einen enttäuschenden Job machte, war für die Italiener dann auch kein Trost.
Seit rund dreieinhalb Jahren also nimmt erstmals wieder ein italienischer Rennfahrer an einem Formel-1-Wochenende teil: der in Zürich geborene Raffaele Marciello wird im ersten freien Training zum Malaysia-GP am nächsten Freitag den Sauber von Felipe Nasr bewegen.
Marciello ist eine Leihgabe von Ferrari: der mit 186 Zentimetern für einen modernen Rennfahrer recht grosse Marciello soll in Ruhe auf die mögliche Rolle des Ferrari-Werksfahrers vorbereitet werden – mehr als 20 Jahre, nachdem Nicola Larini beim Unglücks-GP von Imola 1994 der vorderhand letzte Italiener am Lenkrad eines GP-Boliden aus Maranello gewesen ist.
Raffaele Marciello sagt: «Es wird ein bewegender Moment für mich sein, mit dem Sauber auf die Bahn zu gehen. Und ich freue mich für die italienischen Fans, dass ich das machen darf. Ich bin überzeugt davon, dass ich solide Arbeit abliefern kann. Ich will dem Team helfen, in Sepang eine gute Abstimmung zu finden.»
Marciello kennt zwar nicht Strecke noch nicht, «aber ich habe sie virtuell befahren, im Ferrari-Simulator in Maranello. Das wird mir sehr helfen.»
Aber wieso musste es mehr als drei Jahre dauern, bis die italienischen Fans wieder einen der ihren im Feld haben?
Die Fahrermisere in Italien wurzelt tief und ist für Rennfans südlich der Alpen schwer zu verdauen.
Die Hochblüte des italienischen Engagements liegt 25 Jahre zurück: Ende der 80er und anfangs der 90er Jahre tummelte sich mehr als ein Dutzend italienischer Piloten in der Formel 1! Was ist dann nur passiert? Wieso die derzeitige Flaute?
Das Grundproblem liegt darin, dass die Nachwuchsförderung in Italien verschlampt worden ist. Die schwächelnde Wirtschaft in Italien hat auch nicht geholfen. Denn viele Rennställe sind auf Fahrer mit Mitgift angewiesen, und in der Regel können italienische Piloten keinen Geldkoffer vorweisen – das war auch der Grund, wieso GP2-Champion Davide Valsecchi trotz Testfahrer-Jobs bei Lotus 2013 keine Formel-1-Zukunft für sich sah.
Ex-GP-Ass Jarno Trulli schimpft: «Die Fahrermisere geht auf die Tatsache zurück, dass unsere Talente nicht gezielt unterstützt werden. Wir hätten durchaus viele begabte junge Piloten. Aber irgendwann kommen sie aus finanziellen Gründen nicht mehr weiter. Da Problem hat vor vielen Jahren begonnen, und so richtig aufgewacht ist bis heute keiner.»
Das ist nicht ganz richtig, denn Hoffnung ist in Sicht: Zwei von fünf Absolventen der Ferrari-Fahrerakademie treten für Italien an – Raffaele Marciello und Antonio Fuoco. Der 20jährige Marciello bestreitet 2015 seine zweite GP2-Saison (2014 wurde er Gesamtachter) und fährt ein halbes Dutzend Freitagseinsätze für Sauber. Der 18jährige Fuoco bestreitet 2015 für Carlin die GP3-Meisterschaft.