Verdacht auf Spionage: Mercedes verklagt Mitarbeiter
Mercedes gegen Ferrari im Bahrain-GP 2015
Die Nachrichtenagentur Bloomberg hat gemeldet: Die Rennmotorenabteilung von Mercedes-Benz, Mercedes AMG High Performance Powertrains, hat im Oktober einen Mitarbeiter verklagt, der zu Ferrari wechseln will. Es besteht der Verdacht, dass Benjamin Hoyle bestimmte Daten über die Laufleistung oder Schäden der in England hergestellten Rennmotoren herunter geladen hat. Möglicherweise, um sie seinem künftigen Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen.
Es besteht die Unschuldsvermutung.
Benjamin Hoyle kam 2012 zur Rennmotorenabteilung von Mercedes, zuvor war er unter anderem für Cosworth und Prodrive tätig. Im Mai teilte er seinem Arbeitgeber mit, er wolle seinen Ende 2015 auslaufenden Vertrag nicht verlängern.
Mercedes fand dann offenbar heraus, dass Hoyle einen Wechsel zu Ferrari ins Auge gefasst hatte und zog ihn von Arbeiten am Formel-1-Projekt ab. Dennoch soll Hoyle nun nachgewiesen werden können, dass er den Rennbericht des Ungarn-GP und vertrauliche Daten studierte und herunterlud.
In der Anklageschrift von Mercedes steht: «Herr Hoyle und möglicherweise Ferrari haben einen unrechtmässigen Vorteil gewonnen.»
Mercedes fordert die Rückgabe aller Dokumente und Informationen, die Bezahlung der Anwaltskosten, zudem soll Hoyle mit einem Arbeitsverbot in der Formel 1 bis Ende 2016 belegt werden.
Mercedes nimmt zum möglichen Spionagefall wie folgt Stellung: «Eine Klage ist eingereicht, welche Mercedes AMG High Performance Powertrains Ltd und einen Angestellten einschliesst, der die Firma zu Ende des Jahres verlassen soll. Die Firma hat alle angemessenen rechtlichen Schritte eingeleitet, um ihr geistiges Eigentum zu schützen. Wir bitten um Verständnis, wenn derzeit diese Angelegenheit nicht weiter kommentiert wird.»
Werksspionage: Erinnerungen an Spygate
Der Fall weckt Erinnerungen an die so genannte Spygate-Affäre, welche 2007 die Formel 1 erschütterte. Nigel Stepney, damals Chefmechaniker von Ferrari, stellte seinem englischen Landsmann Mike Coughlan (Chefdesigner von McLaren) Informationen über den damaligen Ferrari-GP-Renner zur Verfügung. Die Sache wurde erst bekannt, als Coughlans Ehefrau in einem Kopierladen die Unterlagen vervielfältigen wollte. Ein Mitarbeiter erkannte auf den Dokumenten das Ferrari-Logo und schlug Alarm.
Wie der frühere FIA-Präsident Max Mosley in seiner 2015 veröffentlichten Autobiographie vertieft, versuchte McLaren damals zu erklären, es habe sich lediglich um ein Fehlverhalten von Einzelpersonen gehandelt. Die FIA liess aber nicht locker und konnte dem Rennstall nachweisen, dass mehr Mitarbeiter von den Unterlagen gewusst hatten.
Nach einer zweiten Anhörung gab die FIA vor dem Belgien-GP bekannt, dass McLaren 2007 aus dem Konstrukteurspokal gestrichen wird und eine Strafe in Höhe von 100 Millionen Dollar bezahlen musste. Gemäss Mosley wurde der Betrag so verrechnet, dass McLaren seinen Anteil des Preisgelds nicht erhielt, der Rest musste tatsächlich bezahlt werden und wurde beim Autoverband für den Breitensport eingesetzt.
«Was damals wirklich alles im Detail passiert ist, wird sich nie nachvollziehen lassen», schreibt Mosley in seinem Buch.
Mike Coughlan fand eine Beschäftigung beim Kraftübertragungs-Spezialisten Ricardo, wanderte dann in die USA aus, um im NASCAR-Sport zu arbeiten, wurde später von Williams engagiert und kehrte in die Formel 1 zurück, musste aber als Sündenbock für die schwachen Ergebnisse den Hut nehmen und reiste erneut Richtung NASCAR über den grossen Teich.
Nach dem Spionageskandal heuerte Stepney bei Nissan an und verantwortete zum wesentlichen Teil die Entwicklung der GT1- und GT-Versionen des Nissan GT-R. 2011 gewann Stepney mit dem britischen Team JRM gemeinsam mit Michael Krumm und Lucas Luhr den GT1-WM-Titel, 2012 war er für den Einsatz des HPD ARX03a von JRM in der Sportwagen-WM FIA WEC verantwortlich. Zuletzt war Stepney als Technischer Direktor und Teammanager des von Nissan werksunterstützten JRM-Team tätig. Im Mai 2014 kam er in England bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Sein Ziel, seine Version der Spionageaffäre in einem Buch zu erklären, hat er nie umgesetzt.